Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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langsam zur Thüre und – Frau de Groot stand vor ihm. War er schon bleich an und für sich, so machte ihn der Schrecken der unerwarteten Erscheinung jetzt noch bleicher. er glich wirklich einer Leiche.
„Piet!“ sagte sie, „erschreckst Du vor mir, so denke ich, erschreckst Du nicht vor dieser!“ Und mit diesen Worten zog sie Elsje, die hinter ihr stand, hervor.
Wie gelähmt, sanken Piet’s Arme herunter im ersten Augenblicke, aber dann hoben sie sich rasch, das erglühende Mädchen zu umarmen, und dann sank in fast lautem Weinen sein Kopf auf Elsje’s Schulter. Sie wollte ihn aufrichten, aus Scham vor ihrer Herrin.
„Laß ih, Elsje, laß ihn,“ sagte gerührt Frau de Groot, „diese Thränen sind ihm Wohlthat und führen zur Genesung!“ Sie trat in die innern Gemächer der prunkvollen Wohnung und ließ die beiden allein.
Erst gegen Abend kehrte Herr de Groot von Hofe zurück. Elsje sah er zuerst. Sie saß bei Piet am Kamine. Er weinte heftig, denn er hatte so dringend nach seiner Mutter gefragt, daß Elsje nicht mehr ausweichen konnte, ihm ihren Tod kund zu thun.
De Groot starrte Elsje an. „Kind,“ rief er, „Du bist nicht allein, wo ist meine Maria?“ Aber die Antwort des Mädchens wartete er nicht ab und eilte in die Gemächer, wo er die ihn sehnsüchtig Erwartende und auch seine Sehnsucht ihr beglückendes Ziel fand.
Gar Vieles gab’s zu erzählen, doch hatte Mevrouw Maria weniger zu verschweigen als Elsje, die ihrer Herrin gelobt hatte, Piet Alles zu verschweigen, was sich auf sein Haus und Garten irgend bezöge. Von der Mutter besonders erzählte sie Piet, und das war Balsam für seine Seele.
Wohl war er tief betrübt, aber dennoch ging eine Veränderung in ihm vor. Sein Auge war klar und seine Wangen begannen nach wenigen Tagen sich wieder zu röthen. Lächelnd bemerkte der Arzt gegen Herrn de Groot, das schöne Mädchen scheine die Heilkunde zwar nach einem andern System, aber mit einem so überraschenden Erfolge auszuüben, daß er sich mit der seinen ganz zurückziehen müsse, zumal die Krankheit, wie sie Piet gehabt, so eigenthümlicher Art gewesen sei, wie ihm Aehnliches in seiner langen Praxis in Frankreich noch nicht vorgekommen sei.
„Eins aber, sag’ ich Dir, Elsje,“ sprach in einer vertraulichen Stunde Piet, „wenn ich leben und genesen soll, muß ich aus diesem abscheulichen, wälschen Lande; muß wieder niederländische Luft athmen.“
Elsje seufzte tief. „Wirst Du denn heimkehren dürfen?“ fragte sie.
„So hab’ ich mich auch gefragt,“ sagte darauf Piet, „aber Deine und Mevrouw’s Freiheit reden ja dafür. Haben sie Euch frei gegeben, warum sollten sie mich strafen, warum allein mich verfolgen?“
Herr de Groot hörte im Nebenzimmer diese Worte. Er trat zu ihnen heraus.
„Piet,“ sagte er, „sei geduldig noch eine kleine Zeit. Ich selbst hoffe in’s Vaterland zurückzukehren, denn mir geht’s wie Dir, hier gefällt mir’s nicht!“
Zu dieser Aeußerung hatte er zureichenden Grund. Er hatte dem mächtigen Richelieu nicht genug geschmeichelt, nicht genug sich gebeugt vor dem stolzen Manne, dessen Launen Frankreich zitternd sich fügte, der König war, ohne es doch zu sein, weil er den König am Gängelbande leitete und nur sein Wille, nicht der des Königs geschah.
Manche Kränkung bereitete de Groot der mächtige Minister; entfremdete ihn dem Könige und entzog ihm selbst den Gehalt von 3000 Livres. Hugo de Groot fühlte sich tief gekränkt, und würde augenblicklich Paris und Frankreich verlassen haben, hätte er nicht gehofft, der edle, ihm wohlwollende Prinz Friedrich Heinrich von Oranien bewirke seine Zurückberufung in’s Vaterland. Diese erfolgte zwar nicht, aber ein Brief voll Wohlwollen und Hochachtung, den ihm der Prinz in dieser Zeit schrieb, bewog ihn zu einem raschen Entschlusse.
Er verließ plötzlich Paris und Frankreich, und betrat mit sichern Hoffnungen den Boden des Vaterlandes wieder. Nach Gorkum drängte Mevrouw Maria. Dort wollte sie ihm das Stübchen zeigen, wo sie getrauert, wo der Plan gereift war, der seine Befreiung erzielte, und – dort wollte sie die Menschen belohnen, die ihr so treu und wacker zur Seite gestanden und ihr so große Opfer gebracht hatten.
Unaussprechlich war die Freude im Hause van Houwening’s, groß die Theilnahme in Gorkum und die Liebe und Ehrerbietung, welche man dem großen Manne bewies. Piet war völlig genesen, ehe er Frankreich verließ. Des Doctors Wort war bewährt worden. Dennoch war er traurig, als er am Abend Gorkum erreichte und wußte, daß er das treue Mutterherz nicht mehr fände. Er wollte noch am Abend in sein Haus eilen; allein das wußte Herr de Groot zu verhindern, und am Morgen begleiteten sie ihn alle.
Betroffen stand er da, als er das neue, schöne Haus sah, das doch unter der herrlichen Linde stand; noch betroffener machte ihn der Garten mit dem Treibhause, das neu eingehegte Feld, das noch eine weitere Ausdehnung hatte, als es jemals Eigenthum seines Vaters gewesen war.
„Was ist hier geschehen?“ rief er ganz erschrocken aus. „Ist das Alles confiscirt, versteigert worden und in fremde Hände gelangt?“
Da reichte ihm Elsje die Schenkungsurkunde. Er las sie durch und dann stand er da und sah bald Herrn, bald Mevrouw de Groot an. – Er wollte reden – aber er konnte nicht. Die Lippe bebte, und endlich trat ihm eine Thräne in das Auge, die den Bann löste.
„Ach,“ sagte er, „gnädiger Herr –“
„Piet,“ rief de Groot , „danke mir nicht, sonst beschämst Du mich. Ich bin und bleibe Dir und Elsje zu ewigem Danke verpflichtet. Freiheit, Heimath – Alles, was dem Herzen theuer ist, habt Ihr mir zum Opfer gebracht: das läßt sich nicht belohnen, nicht vergelten. Nimm das als Beweis unsrer nie erlöschenden Liebe und Dankbarkeit; aber Vater van Houwening ,“ wandte er sich an diesen, „laßt uns in den wenigen Tagen, die wir hier weilen, ein frohes Fest feiern, die Hochzeit Piet’s und Elsje’s!“
„In Gottes Namen!“ sprach der Gärtner.
Da war die Freude voll und alle gingen in das schöne, neue Haus, das einfach und bescheiden, wie es zu Elsje’s Sinn paßte, eingerichtet war, so daß sie es Morgen schon beziehen konnten.
Das Alles hatte im Auftrage der Frau de Groot der alte Gärtner besorgt.
Hand in Hand durchstreifte das glückliche Paar Haus, Garten und Feld. Ihre Freude, ihr Glück hatte kein Maß, und dennoch sagte Piet, die Hand auf das Herz legend. „Hätte das doch meine liebe Mutter noch erlebt!“
Elsje blickte ihn liebevoll an und sagte: „Lieber Piet, sie sieht vom Himmel auf uns nieder und freuet sich unseres Glückes.“
Piet drückte innig ihre Hand, und blickte hinauf in das reine Blau des frühlinglichen Himmels lange Zeit und mit einem Gefühle, dessen Ausdruck sein Antlitz verklärte.
„Es ist Gottes Wille so gewesen, daß ich sie nicht wieder finden sollte,“ sagte er dann. „Ich will mich in Demuth beugen; aber in unserer Liebe wird sie bleiben, nicht wahr, Elsje?“
„Und wir in der ihrigen,“ sagte das Mädchen, „und das ist ein Band, das Himmel und Erde verbindet!“
Dieser Ton einer geläuterten Liebe eines lebendigen Glaubens und eines heiligen Ernstes war auch über die Hochzeitsfeier ausgegossen, die sie in der Stille begangen, bei der, außer dem Ehepaare de Groot, nur die Frau Daatselaar und ihr Bruder, der Maurer, anwesend waren, denn Baas Daatselaar hatte eine Abhaltung. – Freilich – es war die Scham über seine Muthlosigkeit und Unfähigkeit, ein Opfer der Treue zu bringen, was ihn aus dem Kreise bannte, der sich um das glückliche Paar schloß.
Hugo de Groot und seine Gattin begaben sich nach dem Haag; aber ihre Ankunft war das Zeichen für die feindliche Partei, sich mit aller Macht gegen den verhaßten Remonstranten zu erheben, dessen Ansehen, dessen Gelehrsamkeit man fürchtete. Der Prinz vermochte nicht zu hintertreiben, daß der Urtheilsspruch einer ewigen Verbannung aus dem Vaterlande den vielgeprüften, edlen Mann traf: Mevrouw Maria theilte sein Loos. Als sie sich nach Hamburg begaben, weilten sie noch einmal einige Stunden bei Elsje und Piet, und verließen, von ihren Segenswünschen begleitet, das theure Heimathland. Beide Familien blieben in einer stäten Verbindung, und manches Zeichen dauernder Liebe empfingen Elsje und Piet von Schweden aus, wohin de Groot sich begab. Wie groß auch die Ehre und das Ansehen war, welches er in Stockholm empfing, so überwog dennoch die Liebe zum Vaterlande,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_394.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)