Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 30. | 1855. |
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Es war ihm schon aufgefallen, daß das Abendbrot des Gefangenen noch so unberührt auf dem Tische des Vorgemachs stand, wie er es am Abende vorher niedergesetzt hatte. Der Gedanke, der Gefangene sei krank, lag ihm nahe. Als er das Frühstück hingestellt auf den mit Büchern bedeckten Tisch, die er leise wegschob, sah er die Kerze tief herabgebrannt. „Der hat wieder die halbe Nacht studirt!“ sagte er zu sich. „Mußt doch einmal nach ihm sehen!“
Er schlich leise zum Himmelbette, schob die damastenen, steifen Behänge zurück und – stieß einen Schrei des Erschreckens aus, denn da lag in ihren dunkeln Gewändern, in reizender Stellung, sanft schlafend, eine wunderschöne Frau!
Als sich Maria de Groot erschrocken aufrichtete, sprang der Soldat einen Schritt zurück und rief: „Hebe dich weg, Satanas!“ – Aber dann ergriff ihn eine Todesangst. Er rannte hinaus und spornstreichs zum Commandanten. Der saß ruhig und friedlich beim Frühstücke, als der Adjutant meldete, der Soldat, welcher de Groot aufwarte, wolle durchaus den hochmögenden Herrn Commandanten sprechen, dieweil er behaupte, der Teufel befinde sich in des de Groot’s Gemach in Gestalt einer bildschönen Frau.
„Ist er denn närrisch geworden, der Blexemskeerl?“ fragte der Commandant.
„Das scheint nicht!“ versetzte der Adjutant.
„So laßt ihn kommen!“ lautete darauf der Befehl, und Soldat trat bleich und zitternd ein und berichtete, was er gesehen und erlebt hatte.
„Halt!“ rief der Commandant und sprang auf, „da ist’s jedenfalls nicht richtig!“ Er eilte hinaus und der Adjutant, und von ferne und scheu auch der Soldat, der sich aber stets umsah und auf jeder Stufe anhielt, um im Augenblicke der Gefahr sich salviren zu können.
Als der Commandant hereinstürzte, saß Maria de Groot, die ihren Anzug etwas geordnet hatte, ruhig am Tische und erhob sich, ihn zu begrüßen.
Der Commandant fuhr entsetzt zurück, denn er kannte die Gattin des Rathspensionärs von Rotterdam aus früheren Zeiten.
„Was ist das, Mevrouw?“ fragte er voll Schrecken. „Wie kommt Ihr hierher? Wo ist Euer Gemahl?“
„Gestattet mir, Euch zu antworten,“ sagte mit Würde, und doch so demüthig, das heldenmüthige Weib. „In der Bücherkiste, darin mein Eheherr entflohen, kam ich hierher, ihn mit Aufopferung meines Lebens zu retten. Er ist, so der Herr mein Gebet erhört hat, längst auf brabantischem Boden und in Freiheit und Sicherheit, und ich bin Eure Gefangene!“
„Mein Gott, was habt Ihr gethan?“ rief außer sich der Commandant. „Euch und mich habt Ihr unglücklich gemacht!“
„An mir liegt nichts,“ erwiederte gottergeben die edle Frau. „Von Eurem Haupte, der Ihr unschuldig seid, wird des Herrn Gnade das Unglück abwenden!“
Der Commandant erinnerte sich plötzlich seiner Pflicht. Er wandte sich zum Adjutanten und sagte: „Schnell drei Kanonenschüsse! Ein Detachement von 25 Mann sofort zur Verfolgung nach Gorkum“! Darauf verließ er das Gemach und schloß selbst die Thüre ab.
Drüben am Fenster des Gärtnerhäuschens saß Elsje und ließ ihr weißes Tuch gegen Löwenstein wehen, aber Niemand gab dort ein Zeichen, daß das ihre verstanden worden sei. Endlich sah sie das wehende Tuch und wußte nun, daß sie verstanden worden war. Ihr Zeichen sagte der Herrin, daß de Groot’s Flucht ungefährdet ausgeführt worden sei.
In diesem Augenblicke ertönten die drei sich rasch folgenden Schüsse, welche die Flucht eines Gefangenen ankündigten. Ganz Gorkum kam in Bewegung. Alles müssige Volk rannte nach dem Hafen, wo alsbald das Detachement landete.
Der bei den Booten zurückbleibende Soldat erzählte den Hergang einfach und wahr.
Nun stürmten Viele den Soldaten nach, um anzuzeigen, daß Daatselaar um die Flucht wisse.
Daatselaar war klug genug, jede Spur des Kastens zu vertilgen, so wie er die Kleidung de Groot's ebenfalls den Flammen übergeben hatte. Niemand hatte eigentlich das Hineintragen der Kiste gesehen, noch weniger Jemand die Flucht aus dem Hause; er kam also blos mit dem Schrecken weg. Nach Piet van Halver wurde indessen gesucht, und als man ihn nicht fand, Elsje wie eine Verbrecherin nach Löwenstein gebracht, wo sie ihre liebe Herrin wiedersah, die dem ängstlich gewordenen Mädchen Trost und Muth zusprach.
Vergebens fahndete man nach dem Entflohenen in Gorkum und der Umgegend.
Piet war sogleich abgesegelt als de Groot sein Boot betreten hatte. Wie ein Pfeil schoß das Boot durch die Wellen. So lange es noch hell war, wurde Piet’s Seele von Angst vor Verfolgung nicht frei; aber als nun die Nacht kam und der Mond mit seinem Lichte den Strom beglänzte, da wuchs ihm der Muth.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_391.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2019)