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Seite:Die Gartenlaube (1855) 390.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

seiner Schulden abgemüht und viel schöne Zeit dabei verloren hat, muß er sich noch an einen Rechtsbeistand wenden, muß wohl gar vor Gericht klagbar werden, und hat nicht selten neben großen Verdrießlichkeiten nur neue Geldverluste an der Stelle der gehofften Einnahmen.

Die Unsicherheit, worin der größte Theil unserer Handwerker und kleinen Kaufleute in Betreff der Zeit ihrer Einnahmen, ja, bei vielen ihrer Forderungen, der Realisirbarkeit derselben überhaupt sich befindet, wird für sie nicht selten ein wesentliches Hinderniß eines geregelten, soliden und schwunghaften Betriebes ihres Gewerbes. Ein Handwerksmeister könnte durch Anschaffung von Rohmaterial im Großen, ein Detailhändler durch stärkere Ankäufe einer gerade besonders gangbaren Waare vielleicht ein sehr vortheilhaftes Geschäft machen, wenn er nur einen Theil von dem Gelde zur Verfügung hätte, welches ihm seine Kunden für längst und richtig abgelieferte Arbeit schulden. So aber sieht sich der Eine wie der Andere genöthigt, von dem gewünschten Handel abzusehen und den günstigen Moment unbenutzt zu lassen, ja wohl gar selber die nothwendigen Einkäufe auf Credit zu bewirken und vielleicht (denn der Großhändler borgt selten lange umsonst) Zinsen zu zahlen, während das Geld, welches Andere ihm schulden, keine Zinsen für ihn trägt. Sind die Zeiten besonders ungünstig und hat ein solcher Mann nicht ein nachhaltiges Anlagekapital, so kommt es leicht dahin, daß er, weil die erwarteten und mit Recht erwarteten Gelder nicht eingehen, statt seinen Betrieb auszudehnen, sich genöthigt sieht, ihn einzuschränken, oder daß er seine Kunden nicht mehr pünktlich und solid befriedigen kann, weil er nicht die Mittel hat, genug tüchtige Arbeiter zu halten, und weil er von dem Großhändler, dem er noch früheres Material schuldet, neues nur schwer und in mangelhafter Qualität erhält.

Am Härtesten treffen alle diese Uebelstände den minder bemittelten Gewerbs- oder Kaufmann und den Anfänger. Der letztere darf am Wenigsten wagen, in der Einziehung seiner Schulden sich von der hergebrachten Gewohnheit des geduldigen Abwartens und bescheidenen Bittens zu entfernen, sonst würde es ihm schwer fallen, Kundschaft zu bekommen. Er muß daher, will er nicht gleich in den ersten Jahren in Bedrängnisse und Schulden gerathen, ein größeres Kapital in sein Geschäft mitbringen, als sonst nothwendig wäre; er muß dieses Kapital, wenn er es nicht selbst besitzt, verzinsen, vielleicht hoch verzinsen; besitzt er es selbst, so muß er es lediglich dazu verwenden, den Ausfall, welcher das unvermeidlich lange Borgen in seinen berechneten Einnahmen hervorbringt, zu decken, statt daß er unter andern Umständen dasselbe zur Erweiterung seines Geschäftes hätte benutzen können.

Der reiche Gewerbtreibende hilft sich zwar scheinbar über die Mißlichkeiten des erzwungenen langen Creditgebens leichter hinweg. Mit Hülfe seines bedeutenderen Kapitals oder seines ausgedehnteren Credits hält er es schon so lange aus, bis die außenstehenden Summen eingehen, und für den gehabten Zinsenverlust entschädigt er sich durch höhere Preise, die er, bei größerer Kundschaft und ausgebreitetem Renommé eher, als sein geringerer Gewerbsgenosse, stellen kann oder durch die stärkere Zahl der Kunden, die er eben durch sein leichteres und längeres Creditgeben an sich zieht. Allein auch dieser günstiger gestellte Gewerbsmann bleibt selten von den Folgen jenes Uebels gänzlich verschont. Gerade er läßt sich durch die Leichtigkeit, eine zahlreiche aber schlecht zahlende Kundschaft zu bekommen, am Ersten verführen, sein Geschäft in’s Großartige auszudehnen, um seine Mitmeister zu überflügeln. Inzwischen kommen aber ungünstige Zeiten; die außenstehenden, oft zu bedeutenden Summen angewachsenen Reste gehen nun vollends nicht ein, und der vor Kurzem scheinbar so tief im Glück sitzende Handwerker oder Kaufmann hat dann bisweilen alle Hände voll zu nehmen, um sich nur, wie man zu sagen pflegt, über dem Wasser zu halten.

Während so der Gewerbestand fast ohne Ausnahme unter dem angeführten Uebelstande leidet, hat selber das Publikum von dem langen Creditgeben, welches durch falsche Nachgiebigkeit von der einen, Nachlässigkeit oder Unbilligkeit von der andern Seite zur herrschenden Sitte geworden ist, weit mehr Nachtheile als Vortheile. Ich will nicht davon sprechen, welche große Verführung es für den Leichtsinnigen ist, ohne baare Mittel, ja vielleicht ohne eine sichere Aussicht, solche in nächster Zeit zu bekommen, sich in den Stand gesetzt zu sehen, sein Bedürfnisse, nothwendige und überflüssige, nach Belieben zu befriedigen; auch nicht davon, wie störend und verdrießlich es oft für Denjenigen ist, welcher auf eine geregelte Bilanz in seinen Einnahmen und Ausgaben hält, seine Handwerker- oder Kaufmannsrechnungen nur in langen Zwischenräumen (weil es einmal so die Sitte mit sich bringt) und denn gewöhnlich zu solchen Zeiten zu erhalten, wo ohnehin drängende Ausgaben sich häufen. Ein viel reellerer und empfindlicherer Nachtheil geht gerade für den solidern Theil der Kunden aus jener Gewohnheit des langen Creditgebens hervor. Der Handwerker oder Kaufmann kann natürlich den Verlust an Zinsen und bisweilen sogar an Kapital, den er durch jenes Verhältniß erleidet, nicht selber tragen – er würde sonst bald unfehlbar zu Grunde gehen –; er muß sich also dafür zu entschädigen suchen, und wodurch könnte er dies anders, als durch einen Zuschlag auf seine Arbeit oder Waare im Allgemeinen. Dieser Zuschlag aber fällt vorzugsweise gerade den pünktlich zahlenden Kunden zur Last, welche nichts dafür können, daß der Gewerbtreibende durch den Leichtsinn der andern so zu verfahren genöthigt wird. Müßte der Handwerker und Kaufmann nicht den Verlust, den er durch das lange Creditgeben und die vielen bösen Schulden erleidet, auf seine Waaren schlagen, so könnte er diese bedeutend billiger liefern, und würde sich doch dabei besser stehen.

So verlieren beide Theile – der Gewerbsmann wie der Kunde – bei einer Gewohnheit, welche Niemandem eigentlich Nutzen bringt, ausgenommen etwa einigen Leichtsinnigen auf beiden Seiten. Das Handwerk selbst aber und der bürgerliche Verkehr im Allgemeinen müßte nothwendig durch diese immer weiter um sich greifende Sitte je mehr und mehr an Solidität verlieren.

Besonders fühlbar machen sich die Folgen dieses Uebelstandes in Zeiten, wie die gegenwärtigen, wo Jeder ohnehin alle seine Kräfte anspornen muß, um der Ungunst der Verhältnisse die Stirn zu bieten. Wie mancher Handwerker, zumal von den kleineren, kommt da in die drückendste Noth, weil er sein wohlverdientes Geld nicht herein bekommen kann! Wie manchem wäre geholfen, wenn er nur Das erhielte, was ihm von Rechts wegen gehört und gebührt!

Der Handwerker und der Kleinhändler sind darin ungleich schlimmer daran, als der Großhändler, der Banquier oder der Hausbesitzer. Wenn der Großhändler seinen Abnehmern einen Credit gewährt, so geschieht dies immer nur auf kurze und bestimmte Zeit; gegen eine willkürliche Ausdehnung desselben schützt er sich durch die strenge wechselrechtliche Verpflichtung, welche er dem Abnehmer auferlegt, und lässt sich zu einer Verlängerung der gestellten Frist nur schwer und nicht leicht anders, als gegen eine entsprechende Zinsenvergütung bewegen. Gerade so macht es der Banquier mit den Kapitalien, die er verleiht, der Hauseigenthümer mit den Räumen die er vermiethet. Der Handwerker und Kleinhändler dagegen ist der Willkür seiner Kunden im weitesten Umfange preisgegeben. Vielleicht bezahlen ihn diese nach einem Vierteljahre, vielleicht nach einem halben, vielleicht auch erst nach einem oder nach mehreren Jahren. Will er sie drängen, mahnen, am Ende wohl gar mit gerichtlichen Maßregeln drohen und solche, wenn alles Andere nichts hilft, in Vollzug setzen, so kann er zwar möglicher Weise auf diesem Wege zu seinem Gelde kommen (obgleich ihm auch das nicht immer gelingt) – aber er riskirt auch, seine Kundschaft einzubüßen und einen Collegen damit zu bereichern, der mehr Geduld oder mehr Mittel zu längerem Nachsehen und Abwarten besitzt.

Man hat in neuerer Zeit an vielen Orten die Einrichtung von Vorschußvereinen, Creditkassen, Handwerkerbanken u. dgl. betrieben, um dem minder bemittelten oder von Verarmung bedrohten Handwerker die mangelnden Betriebsmittel für sein Geschäft zu verschaffen. Gewiß ein löbliches Unternehmen, dem man nur den besten Erfolg wünschen kann! Aber sollte es nicht näher liegen, statt dem Handwerker Geld zu borgen, vor allen Dingen ihm dazu behülflich zu sein, daß er zu dem Gelde komme, welches Andere ihm schulden? Wenn man unsern Handwerkern das sichere, pünktliche und unverkürzte Eingehen ihrer Gelder verbürgen könnte, so würde dies für die Meisten eine weit größere und zuverlässigere Hülfe sein, als alle Vorschüsse aus fremdem Gelde, da diese bei der Schwierigkeit, sie zurückzuzahlen, eben wegen des mangelhaften Eingehens ihres eigenen verdienten Geldes, nicht selten für sie nur eine neue drückende Last werden.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_390.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2023)