Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Komm’ sobald es zu dunkeln beginnt und die Kinder drüben in Deinem Hause zur Ruhe gegangen sind!“
Piet versprach es. Er schwieg, und auch Elsje versank in ein brütendes Nachdenken. Sie landeten endlich in Gorkum, und die Kiste wurde zu Daatselaar getragen, wie es immer geschehen war.
Die beiden jungen Leute gingen dann neben einander ihren Wohnungen zu, aber ganz anders, wie sonst. Stille und schweigsam schritten sie neben einander her, und nur selten wechselten sie ein freundlich Wort. Beider Seelen beschäftigten schwere Gedanken.
Mehrere Stunden hatte der Gärtner, Elsje und Piet bei Mevrouw de Groot zugebracht in lebhaftem Gespräche, welches Elsje’s Mutter in der Vorderstube vor Störung bewachte. Endlich, gegen zehn Uhr des Abends, gingen sie aus einander. Alle waren ernst, und es schien der Ernst der Sache schwer auf ihren Herzen zu liegen.
Einige Tage später sah man Piet van Halver in einem eifrigen Gespräche mit einem alten Schiffer, der auf einem Holze am Hafen saß.
„Baas Voos,“ sagte er zu ihm, „könnet Ihr mir nicht diese Woche einmal Euer Boot leihen, um eine Kiste von Bücher nach Löwenstein zu fahren? Ich will Euch die Hälfte des Fährlohns geben.“
„Was fährst Du nur so oft Bücher dahin?“ sagte der Alte. „Wer ist denn der Bücherwurm in dem Neste? Der Commandant doch nicht? Der hat eine blaurothe Nase und scheint lieber französischen Rothwein zu trinken als in Büchern zu lesen.“
„Nein,“ sagte Piet; „es ist der gefangene Rathspensionär Hugo de Groot, der hochgelahrte Herr, dem ich sie bringe.“
„Ach, der eifrige Remonstrant?“ sagte der alte Voos. „Ja, für den Ehrenmann sollst Du es haben; aber was ist denn an dem Deinigen passirt?“
„Ich muß es ausbessern und frisch verfändeln,“ sagte Piet.
„Nun, das ist früh!“ bemerkte der Schiffer. „Hast’s doch selbst gebaut?.“
„Freilich, aber, wisset Ihr, es ist doch Lehrlingsarbeit!“
Der Schiffer nickte bejahend, und Piet ging nach seinem Boote, zog es auf’s Land und klapperte stundenlang daran herum als hätte er viel daran zu machen. Dann, als er endlich fertig war, brachte er es an die äußerste Spitze des Werftes vor Anker, trug Mast und Segel hinein und legte in die Kiste Brot und geräuchertes Fleisch. Als dies geschehen war, kam er zu Voos und sagte ihm, daß er Morgen gegen Abend hinüberfahren würde.
Am folgenden Tage, ziemlich spät gegen Abend lag bei dem günstigsten Winde, der frisch blies, das Boot des Baas Voos segelfertig im Hafen und Piet saß in demselben, aber in einer seltsamen Bewegung. Seine Augen blickten scharf nach dem Thore. Endlich sah er den alten van Houwening, Elsje und die beiden Buben die Bücherkiste bringen. Sie stellten sie vorsichtig in das Boot, Elsje sprang hinein und einer der Knaben. Sie faßten die Riemen, und pfeilschnell schoß das Boot vor dem Winde dahin, der das Segel lustig füllte. An dem Kasten hing diesmal ein Schloß.
Elsje betete inbrünstig, während sie den Riemen im Takte hob und senkte. Manchmal lauschte sie gegen die Kiste, was dem Knaben lächerlich vorkam.
„Man meint, da in der Kiste wär’ eine Nachtigall, auf deren Gesang Du horchtest? Ich glaub’, das „„Meisje““ ist geckig!“ – sagte er, zu Piet gewendet.
„Laß ihr den Spaß!“ war dessen kurze Antwort. „Heb nur den Riemen flink!“
In einer außerordentlich kurzen Zeit legte das Boot vor Löwenstein an.
Ein Soldat, den Piet wohl kannte, kam auf seinen Ruf, um Hülfe zu leisten.
„Schon wieder Bücher?“ fragte der Soldat. „Was nur der hartköpfige Arminianer mit all’ dem Quark treibt? – Der muß ein Erzbücherwurm sein! Gestern saß er noch um ein Uhr beim Lichte. Ich war auf der Wache und sah’s.“
„Es giebt allerlei Narren,“ sagte Elsje, gezwungen lachend, „auch Büchernarren. Man muß halt Jedem seine Schellenkappe lassen!“
„Da hast Du Recht, Du lieblich „„Meisje,““ sagte der Soldat. „Ich meines Orts mag dem seine nicht aufsetzen!“
„Ich auch nicht!“ sagte lachend Piet, und die Kiste war mit aller Vorsicht auf“s Ufer gesetzt. Dann nahmen sie sie auf und trugen sie hinauf. Herr de Groot kam ihnen entgegen. Er sah bleich und angegriffen aus; riß Elsje den Schlüssel aus der Hand und eilte, nachdem sie sich schnell entfernt, in das Gemach, das er hinter sich schloß. Alle Viere gingen nun in den Hof und setzten sich in das Boot, Elsje’s Augen waren starr nach einem Fenster gerichtet. Sie sah bleich, wie eine Leiche aus und zitterte wie Espenlaub im Winde. Vielleicht zehn Minuten mochte sie so da gesessen haben, da sah man das Fenster, welches nach dem Rheine ging, sich öffnen. Es blieb eine Weile offen, dann wurde es wieder geschlossen.
„Gottlob!“ sagte das Mädchen leise. Die Farbe ihrer Wangen kehrte zurück und sie nickte Piet, der sie stets im Auge hatte, während er mit dem Soldaten lustig plauderte, lächelnd zu.
„Wenn der Bücherwurm da droben nur fortmacht,“ sagte Piet sich zu Elsje wendend. „Der wird uns eine schöne Last in den Kasten packen. Das letztemal war er viel schwerer als heute, nämlich als ich ihn brachte, denn ich nahm ihn ganz leer und federleicht zurück. Er mag leicht ein anderthalb Centner Bücher da droben haben!“
„Wir sind ja zu Vier,“ tröstete ihn der Soldat. „Da werden wir ja schon den Kasten fortbringen.“
Elsje sah wieder unverrückt nach dem Fenster und auch Piet warf unbemerkt manchen Blick hinauf. Plötzlich hing ein weißes Tuch zu dem Fenster heraus.
„Weißt Du was, Piet,“ sagte sie jetzt zu diesem, „mich friert’s. Der Abendwind bläst scharf, ich will einmal hinaufgehen und mahnen – oder wollt Ihr es thun?“ fragte sie den Soldaten.
„Meiner Treu,“ rief der Soldat, „der ganze Remonstrant ist mir nicht so viel werth, daß ich die Treppen noch einmal mehr als nöthig ist, steige! Mein Steuvertje, das mir Piet für einen Genever giebt, wird mir beim Heruntertragen sauer genug. Geh’ Du nur, Kind; Du bist leichter auf den Ständern!“
„Man hört doch gleich, daß Dein Vater ein Förster ist, Lips,“ sagte Piet lachend. Der Soldat lächelte auch, und in diesem Augenblicke erschien Elsje am Fenster und winkte.
„Siehst Du, Lips, das Mädchen winkt! Wir sollen die Kiste holen!“
„Meiner Treu!“ war des Soldaten Antwort, als auch er hinauf geblickt hatte.
Sie gingen.
Elsje stand bei der bereits abgeschlossenen Kiste im Vorgemach. Wer sie genauer angesehen hätte, der hätte die große innere Aufregung wahrnehmen müssen, in welcher sie sich befand.
Zum Glück faßte Piet sogleich an, und dadurch war der Soldat von jeglicher Beobachtung abgehalten.
„Nur langsam und stät,“ bat Elsje. „Die Bücher rollen, wenn Ihr die Kiste vornen tiefer haltet als Niel’s und ich hinten, alle Euch zu, und dann könnt Ihr sie ja nicht bewältigen.“
„Brrrr!“ rief der Soldat, „die hat ein anderes Gewicht, als da wir sie herauf trugen! Man meint, es wäre lauter Blei!“
Elsje lachte und sagte. „Die arminianischen Bücher sind eben recht schwer!“
„Ich glaub’, meiner Treu,“ sagte ächzend unter der Last der Soldat, „der ganze Arminius steckt lebendig darin!“
Elsje zitterte, daß sie fast die Kiste nicht mehr halten konnte.
„Halt doch!“ rief der stämmige Niel’s. Ich muß Alles allein heben! Ein Bub’ ist mir doch lieber zum Heben und Tragen, als sechs solcher „„Meisje’s!““
„Das Wollen ist schon da, aber das Vollbringen nicht!“ sagte der Soldat mit Salbung und blickte dem schönen Mädchen in’s Gesicht, um zu sehen, welche Wirkung seine salbungsvolle Bemerkung gemacht.
„Ich halte mit Anstrengung aller Kräfte!“ sagte Elsje.
„Glaub’s,“ rief der Soldat, „denn sie ist leichenblaß!“
Unter solchen, mitunter durch lange Zwischenräume unterbrochenen Reden erreichten sie den Hof. Gruppen von Soldaten lungerten
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_380.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)