Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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durch einen Rausch in den Zustand der Besinnungslosigkeit versetzt waren, und in diesem Zustande sich öffentlich auf Straßen und Plätzen zeigten. Der alte Johann Jakob Moser erzählt in seinem „Leben,“ daß es beim Reichskammergericht in Wetzlar Sitte war, Solche, die sich zu einer Assessorstelle meldeten, nicht blos in der Jurisprudenz, sondern auch im Trinken einer Prüfung zu unterwerfen, damit sie, so oft es nöthig sei, in diesem Punkte ordentlich ihren Mann stellen und dem höchsten Gerichtshofe des Reichs Ehre machen könnten. Viel Trinken galt damals wirklich für einen Ehrenpunkt, eine zugebrachte Gesundheit schuldig bleiben, für eine Beleidigung. Manche Höfe hielten daher, auch nachdem sie feinere Sitten angenommen und dem übermäßigen Trinken entsagt hatten, immer noch eine Anzahl bewährter Zecher, welche beim Besuche fremder Cavaliere die schuldigen Honneurs machen und etwaige Herausforderungen zu Trinkduellen annehmen und ausfechten mußten. Denn manche der Virtuosen im Trinken, deren es namentlich an den geistlichen Höfen viele gab, machten sich ein Vergnügen daraus, an benachbarten Höfen umherzureisen und ihre Ueberlegenheit in dieser ächt vaterländischen Kunst zu zeigen. So wird uns in einer Reisebeschreibung aus dem Jahre 1729 von einem fürstbischöflich würzburgischen Geheimrath erzählt, der in Stuttgart die sämmtlichen Herren vom Hofe unter den Tisch trank, indem er in einem Niedersitze zehn Maß Burgunder zu sich nahm, und der, als Triumphator, mit stolzer Bescheidenheit rühmte, daß es seines Gleichen am Hofe zu Würzburg noch sieben gebe. Der bekannte Memoirenschreiber Baron von Pöllnitz, ein ganz französisch gebildeter und daher in diesen gothisch-vandalischen Künsten (wie ein englischer Reisender jener Zeit das unmäßige Trinken der Deutschen nannte) völlig ungeübter Mann, hatte bei seiner Rundreise an den deutschen Höfen, die er im Jahre 1729-30 machte, die komischesten Scenen in dieser Hinsicht zu bestehen. An eben jenem Hofe von Würzburg war er nach seinem eigenen Bericht Tag für Tag bis zur Bewußtlosigkeit berauscht. So oft er an der Tafel des Bischofs erschien, ward ihm, trotz aller Protestationen von seiner, und aller Versprechungen von der andern Seite, so lange zugesetzt, bis er sich für todt nach Hause tragen oder fahren lassen mußte. Da gab es erst während des Essens wohl zwanzig Gesundheiten zu erwidern, die ihm von den Anwesenden einzeln zugebracht wurden; dann, wenn der Bischof sich zurückzog und Pöllnitz ein Gleiches thun wollte, ward er noch im Vorzimmer von dem Oberstallmeister, dem Hofmarschall oder einem andern Herrn vom Hofe festgehalten und gezwungen, erst auf die Gesundheit des Fürsten, dann auf das Wohlbefinden des ehrwürdigen Domkapitels, zuletzt auf das Glück und Gedeihen des Stammhauses ihres geistlichen Oberhauptes, und zwar jedesmal ein großes Glas voll, zu trinken, und wenn er endlich, schon schwankend und kaum seiner Sinne mächtig hinaustappen wollte, fiel man ihm unter zärtlichen Liebesbetheuerungen um den Hals, nannte ihn Herr Bruder und nöthigte ihm noch so viel „Freundschaftsgläschen“ ein, bis es völlig um ihn geschehen war. Am Allerschlimmsten ging es ihm aber am Hofe zu Heidelberg. Der Kurfürst, der ihn sehr gastfrei aufgenommen, führte ihn, dem Herkommen gemäß, in Begleitung des ganzen Hofes zu dem bekannten großen Faß. Als Willkomm ward ihm hier ein ungeheuerer Pokal voll Wein gereicht. Pöllnitz überstand diese erste Probe glücklich, indem er einen Theil des Inhaltes hinter dem Rücken des Kurfürsten ausgoß. Aber immer stärker setzte man ihm zu. Auch die Damen nippten von dem Weine und nöthigten so die Herren zum fortwährenden Trinken. Pöllnitz, der seine Kräfte schwinden fühlte, ersah einen günstigen Augenblick, um sich unter dem Faß zu verstecken. Allein nur zu bald ward er vermißt, und der Kurfürst gab Ordre, den Flüchtling „todt oder lebendig“ zurückzubringen. Er ward entdeckt, hervorgezogen und vor seinen Richter geführt. Der Kurfürst beauftragte seine Tochter und deren Damen mit Fällung des Urtheilsspruchs über den Deserteur. Der Spruch lautete: er solle so lange trinken, bis er todt umfalle. Der Kurfürst erklärte, als Landesherr das Urtheil dahin mildern zu wollen, daß Pöllnitz stehenden Fußes vier grosse Humpen, jeden von einem halben Maß leeren solle. Der Verurtheilte verlor zwar nicht das Leben, aber Sprache und Besinnung; man trug ihn auf ein Bett, welches schon in Voraussicht dessen, was kommen würde, bereit stand. Als er nach mehreren Stunden wieder zu sich kam, hörte er zu seiner Genugthuung, daß es seinen Anklägern nicht besser ergangen sei, als ihm selbst, und daß der ganze Hof das Gewölbe in einem wesentlich andern Zustande verlassen habe, als in welchem er dasselbe betreten.
Von dem soldatischen König Friedrich Wilhelm I. von Preußen ist bekannt, daß er in seinem Tabakscollegium sich beinahe allabendlich mit seinen Generälen, Ministern und den fremden Gesandten betrank. Sein hochgebildeter, genialer Sohn liebte solche Bacchanalien nicht, er huldigte neben dem Mars nur den Musen und dem Apollo, und hatte nur Sinn für eine feine, vergeistigte Geselligkeit. Schon als Kronprinz hatte er sich, in seinem unfreiwilligen Exil zu Rheinsberg, mit einem Kreise geistvoller Männer und anmuthiger Damen umgeben. In diesen Cirkeln herrschte zwar Frohsinn, Witz und heitere Laune, aber auch Mäßigkeit und edler Anstand. Doch fehlte es auch hier nicht ganz an etwas munteren Scenen, die indeß, im Vergleich zu dem, was an den meisten andern Höfen vorkam, immerhin sehr gehalten und, weil sie eben nur eine Ausnahme von der Regel einer streng geordneten Lebensweise bildeten, sogar etwas anmuthig Reizendes hatten. Wir wollen daher mit der Schilderung einer solchen, als einem heitern Bilde, diese Skizze schließen, die im Uebrigen unsern Lesern leicht einen etwas wüsten Eindruck von dem Leben unserer ehrwürdigen Altvordern hinterlassen möchte.
„Wir hatten uns,“ erzählt ein Augenzeuge und Mitbeteiligter jener Scene, der Freiherr von Bielfeld, „kaum zur Tafel gesetzt, als der Kronprinz den Anfang machte, viele wichtige Gesundheiten eine nach der andern auszubringen, auf welche man nothwendig Bescheid thun mußte. Auf dieses erste Scharmützel erfolgte eine ganze Lage von scherzhaften und sinnreichen Einfällen, sowohl von Seiten des Prinzen, als einiger andern Anwesenden. Die finstersten Stirnen heiterten sich auf, die Fröhlichkeit ward allgemein, und selbst die Damen nahmen daran Theil. Nach Verlauf von zwei Stunden bemerkten wir, daß auch die größten Behältnisse nicht einem Schlunde glichen, worein man ohne Aufhören flüssige Materie schütten kann, ohne ihnen wieder einen Ausgang zu verschaffen. Die Nothwendigkeit litt kein Gesetz, und selbst die Ehrfurcht, welche man der Gegenwart der Prinzessin schuldig war, konnte mehrere der Gäste nicht abhalten, aufzustehen, um im Vorgemach frische Luft zu schöpfen. Ich selbst war von dieser Zahl. Beim Hinausgehen befand ich mich noch ziemlich frisch, aber nachdem mich die Luft getroffen, spürte ich beim Hineingehen in den Saal eine kleine Umnebelung, welche mir den Verstand zu umdunkeln anfing. Ich hatte ein großes Glas Wasser vor mir stehen gehabt. Die Prinzessin, der gegenüber zu sitzen ich die Ehre hatte, war durch eine kleine Schalkheit bewogen worden, mir das Wasser ausgießen und das Glas mit Sillerywein, so klar wie Quellwasser, anfüllen zu lassen; überdies hatte man noch den Schaum davon abgeblasen. Auf diese Art, da ich schon das Feine im Geschmack verloren hatte, vermischte ich wider Willen meinen Wein mit anderem Wein, und statt der gehofften Abkühlung trank ich mir ein Räuschchen, das einem Rausche ziemlich nahe kam. Um mir völlig den Rest zu geben, befahl der Prinz, daß ich mich an seine Seite setzen sollte; er schwatzte mir viel von seinen gnädigen Gesinnungen vor, ließ mich einen Blick in die Zukunft thun, so weit als damals meine umnebelten Augen sehen konnten, und nöthigte mich dabei, ein gestrichenes Glas nach dem andern von seinem Lunelwein zu trinken. Indessen empfand auch die übrige Gesellschaft die Wirkung des Nectars, der an diesem Feste wie Wasser floß. Eine der fremden Damen, die sich in interessanten Umständen befand, verspürte die gleiche Ungemächlichkeit wie wir, und stand hastig von der Tafel auf, um sich einige Augenblicke in ihr Zimmer zu begeben.
„Wir fanden diese heroische Handlung bewunderungswürdig. Die Dame wurde bei ihrer Zurückkunft mit Schmeicheleien und Lobeserhebungen überhäuft. Endlich, es sei nun aus Zufall oder aus Vorsatz, zerbrach die Kronprinzessin ein Glas. Dies war gleichsam die Losung für unsere ungestüme Freude und erschien uns als ein großes, der Nachahmung würdiges Beispiel. Im Augenblick flogen die Gläser in alle Winkel des Saales, und alles Krystall, Porzellan, Schaalen, Spiegel, Lichter, Geschirr u. dgl. wurde in tausend Stücke geschlagen. Mitten in dieser gänzlichen Verwüstung bezeigte sich der Prinz wie der gesetzte Mann beim Horaz, der beim Umsturz des Weltgebäudes die Trümmer desselben mit ruhigem und heiterm Auge betrachtet. Allein da sich die Freude in einen Tumult verwandelte, entzog er sich dem Handgemenge und begab sich mit Hülfe seiner Pagen in sein Zimmer. Die Prinzessin verschwand in dem nämlichen Augenblick. Ich für meine Person hatte das Unglück, daß ich auch nicht einen Bedienten antraf, der so viel Menschlichkeit besessen hätte, sich meiner wankenden Figur
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_373.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)