Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Die Abfassung des anderen Briefes war, wie man sich leicht denken kann, viel schwieriger und es bedurfte mehr als eines Glases Whiskey ohne Wasser, ehe ich meine Phantasie hoch genug hinaufgeschraubt hatte, die folgende Composition vom Stapel laufen zu lassen:
„Wie langsam streichen meine traurigen und einsamen Stunden dahin! Will der Tag niemals, niemals anbrechen, welcher das Urbild des schönen Geschlechts in die sehnsüchtig ausgestreckten Arme Deines Charles bringen wird. O, möchte der längst ersehnte Tag für diesen Augenblick anbrechen. Ich schwöre bei dem rosigen Lichte des Liebesgottes selbst, daß kein Sterblicher jemals so herzlich, so wahnsinnig, so uninteressirt geliebt hat, als ich. Ja, ich vergöttere Dich, Schönste der Schönen. In den einsamen Grübeleien meiner schlaflosen Nächte habe ich mich häufig selbst ertappt mit dem Wunsche, daß Du, am Morgen nach unserer Heirath durch irgend ein Mirakel blutarm und so häßlich als die alte Martha sein möchtest, welche ich von ganzer Seele hasse – doch wie kann ich jemals solch ein Wort, als Hassen, niederschreiben, während ich an das reine Wesen denke, welches für immer die Liebe und Ruhe meines Herzens besitzt. Bist Du ganz wohl, Theuerste? Bist Du jetzt um halb drei Uhr halbwach und ist der Gegenstand Deiner jungfräulichen Gedanken Dein Charles?
„Wenn das nicht ihr altes Herz rührt, dachte ich, als ich den Brief faltete und ein anderes Glas trank, dann ist ihr nicht zu helfen. Es ist mir bis aus den heutigen Tag ein unerklärliches Räthsel, wie es gekommen, aber die traurige Wahrheit ist, daß ein schadenfrohes Geschick es wollte, daß ich den Brief an Carl an meine Heißgeliebte adressirte und den ihrigen in Carl’s Umschlag steckte. Man denke sich daher meines Carl’s Ueberraschung, als er die wahnsinnigen Tiraden zu Gesichte bekam, und andererseits die entsetzliche Wuth meiner Emilie. Man verlasse sich darauf, selbst die Furien der Unterwelt sind nichts im Vergleiche zu der Raserei einer verschmähten und hintergangenen Frau. Aber meine Emilie war ein Wesen von sehr soliden Nerven, ausgenommen in Bezug auf eine bedeutende Aengstlichkeit, unter die Haube zu kommen. Ich bin fest überzeugt, daß selbst ihr Herz von Knochen oder Stein war. Sie wußte indessen ihre Gefühle so ausgezeichnet zu bemeistern, daß ich auch nicht das Geringste von dem bevorstehenden Sturme und Donnerwetter ahnete, ehe es auf mich mit voller Gewalt herabrollte und plötzlich zerschmetterte. Aber ich will der Geschichte selbst nicht vorgreifen.
„Nachdem ich die beiden Briefe gehörig versiegelt hatte, ließ ich sie für meinen Burschen auf dem Tische liegen, welcher sie am Morgen auf die Post trug, und da sich Carl gerade auf Urlaub befand, so bekam er den seinigen erst nach Verlauf mehrerer Tage, während der meiner Schönen richtig eingetroffen war, um meinen Honig in bitterste Galle zu verwandeln und mich um ihre kostbare Hand zu bringen. Nachdem ich den Morgen, wie gewöhnlich, bis drei Uhr verträumt hatte, machte ich mich auf den Weg, meine Verlobte in ihrer schönen und bequemen Behausung zu besuchen, und sie empfing mich eben so freundlich als gewöhnlich, nur schien die alte Martha – welche die Stelle einer Gesellschafterin und Ehrendame bei meiner Holden ausfüllte – und die gewöhnlich noch mürrischer als häßlich zu sein pflegte, ausnahmsweise und ich möchte sagen, unnatürlich zuvorkommend; aber ich war so völlig ohne allen Verdacht, daß ich glaubte, dies geschähe nur in der Absicht, sich bei mir in Gunst zu setzen. Nach Verlauf einiger Minuten entließ Emilie die abscheuliche Martha, und nachdem sie ihre allersüßeste Miene angenommen hatte, erklärte sie mir, daß sie eine Bitte an mich hätte, welche für ihre Gefühle von der allerwichtigsten Bedeutung wäre, so daß selbst die Verwirklichung unserer Vereinigung von deren Erfüllung abhängig wäre.
„Bei Jupiter Ammon! Ich glaube wirklich, ich hätte Alles lieber bewilligt, als meine Braut mit ihrer Kasse, ihren Hypotheken, und allen ihren anderen liegenden und persönlichen Reichthümern einer kleinen Grille wegen fahren zu lassen. Ich erklärte ihr daher mit der feurigsten Leidenschaft, daß jeder ihrer geringsten Wünsche mir stets heiliges Gesetz sein würde, daß ich, wenn dies ihr Wunsch sei – von Stunde ab dem Whiskey entsagen, keine Cigarren mehr rauchen, meinen Burschen entlassen, ja selbst meinen herrlichen Schnurrbart opfern würde.
„Meine Emilie warf mir einige dankvolle Blicke zu, als ich mit dem größten Pathos bis zur Klimax meiner großherzigen Anerbietungen hinaufstieg und ich muß gestehen, daß keine Frauensperson weder auf noch von der Bühne die Rolle besser gespielt haben könnte. Aber während sie mich mit Schmeicheleien überschüttete für – als sie es zu bezeichnen beliebte – meine verschwenderische und wirklich edle Generosität, versicherte sie mich, daß ihre Bitte selbst nicht das geringste der Opfer fordere, welche ich freiwillig und so großherzig angeboten hätte. Sie wünsche nämlich, sagte sie, daß theilweise ihrer eigenen Schüchternheit wegen, doch hauptsächlich aus Furcht vor ihrem Bruder, der unsere Verbindung durchaus mißbillige, unsere Hochzeit durchaus privatim sei und eine kurze Strecke außerhalb der Stadt verherrlicht werden möchte. – Ich sah sofort, worauf es abgesehen war, die alte Dame wollte von sich sprechen machen und wünschte deshalb allen Ernstes entführt zu werden. Da es mir ganz gleichgültig war, wie und wo die Geschichte vor sich ging, wenn ich nur die Baarschaft erlangte, so kamen wir überein, daß ich in der kleinen häßlichen Dorfkirche in Kingston eine Licenz zu unserer Heirath nehmen sollte, und daß sie, um ihren Bruder desto besser zu täuschen, alle Vorkehrungen zu der Festlichkeit unter dem Vorgeben einstellen sollte, daß ihr Entschluß durch seine Vorstellungen bedeutend erschüttert sei. Wie gesagt, so gethan. Ich verschaffte die nöthige Licenz, und in dem Halbdunkel eines kalten und regnerischen Morgens fand ich mich, unserer Verabredung gemäß, an der Ecke von Cavendish Square mit einer Chaise und vier Halbblutspferden ein. Es schlug sieben Uhr, dann acht, dann neun und meine Holde wollte noch immer nicht erscheinen. Neugierige Vagabunden, in guter und schlechter Kleidung, fingen bereits an, ihre Bemerkungen zu machen; alle trafen stets den Nagel auf den Kopf und einige spotteten sogar – was ich selbst zu fürchten begann – daß ich tüchtig angeführt sei. Doch schlimmer als Alles war, daß die Knechte an zu klagen begannen, daß die Pferde den Kropf bekommen würden, wenn sie noch lange zu warten hätten, und ich stand gerade auf dem Punkte, Emilien einen Besuch in ihrer Wohnung zu machen, um die Ursache dieser Zögerung zu erfahren, als eine Miethskutsche anlangte, und heraus kam die sehnsüchtig Erwartete. Sie war so dicht verschleiert, daß ich wirklich fürchtete, sie würde ersticken, und ich bat sie daher, sie möchte ihren Schleier abnehmen, da wir ja nun außer dem Bereiche aller Gefahr wären. Anstatt meinem Wunsche nachzukommen, legte sie ihren Kopf auf meine Schulter und flüsterte: „Erinnere“. Es war nämlich zwischen uns Beiden abgemacht, daß sie bis zum Augenblicke unserer Verheirathung verschleiert bleiben und daß auf unserer Fahrt kein Wort gesprochen werden sollte. Da ich ihre Halsstarrigkeit sehr wohl kannte und außerdem dachte, daß ich ihre eisigen, erstarrten Gesichtszüge noch genug nach der Hochzeit zu betrachten Gelegenheit haben würde, so begnügte ich mich, stillschweigend den Druck ihrer knöchernen Hand zu erwiedern, und ein oder zwei Mal die Seiten ihres Hutes zu küssen.
„Wir hatten soeben die Südseite der Vauxhall Bridge erreicht, als ich eine Kutsche im Galopp hinter uns herkommen hörte und ich sah bald, daß sie sich uns bedeutend zu nähern begann. Zweifelsohne war dies der gefürchtete Bruder, der uns verfolgte. Ich schrie deshalb unsern Kutschern zu, so schnell als irgend möglich zu jagen und versprach einem Jeden zwei Pfund Sterling, falls sie unsern Verfolger überflügeln würden. Meine Heißgeliebte zitterte am ganzen Körper und ihre Seufzer schienen so beklommen und so eigenthümlich, daß unter weniger ernsten Umständen ich sie für ein herzliches Gelächter genommen haben würde. Aber damals konnte ich sie nur für Seufzer nehmen und ich bemühte mich, sie auf alle mögliche Weise zu beruhigen, indem ich ihr die freudige Nachricht wiederholte, daß wir unsern Verfolger bedeutend überholten und daß die Distanze zwischen uns und ihnen zunehmends größer würde, und daß übrigens ihr Bruder, da sie nicht mehr minorenn – die weibliche Methusalem – minorenn – weder ein gesetzliches noch moralisches Recht hätte, über ihre Hand zu verfügen. Wir flogen unaufhörlich weiter, und wiewohl unsere Verfolger nicht näher kamen, so verloren sie uns doch nie ganz aus dem Gesichte. Wir hatten soeben Kingston Bottom hinter uns gelassen und bogen gerade in Kingston selbst hinein, als unsere Verfolger an uns vorüberjagten und vor der Kirchthüre anhielten. Man denke sich meine Ueberraschung, meinen Schreck und meine Verwilderung! In dem Augenblicke, als die Kutsche an uns vorüberschoß,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_371.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2023)