Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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vieljähriger Einsperrung nach Middelburg gebracht worden. – Daß da Elsje der härteste Spruch getroffen, das lag außer allem Zweifel, denn sie wußten ja, wie das Kind zu der edeln Frau stand, und sie zu ihm.
Wie gelähmt waren sie alle und Piet, der seiner Hoffnungen Ziel in eine nebelgraue Ferne gerückt sah, war wie eine Bildsäule. Was die Armen in dem trostlosen Wahne bestärken mußte, das war das Ausbleiben aller Nachrichten von Elsje, mit denen sie sonst nicht zu kargen pflegte. So verging eine Woche nach der andern; Piet wußte, daß Herr de Groot in Löwenstein war; allein weiter konnten ihm die Offiziere nichts sagen.
„Sie darf nicht schreiben, sonst würde sie es gewiß thun!“ sagte die weinende Mutter. „Du, mein armes, gutes Kind! Ach, wie hart, hinter Mauern eingeschlossen sein ohne alle Schuld als die, daß man seinem Glauben treu und in der Liebe zu guten Menschen beständig ist!“
„Gerade das wird ihr die Haft leicht machen,“ sagte der Gärtner tröstend zu seiner Frau. „Sie hat das Zeugniß eines guten Gewissens, und das gilt vor Gott, auch ohne Brief und Siegel!“
Wenn er das auch aus innerster Ueberzeugung sagte, so war dennoch sein Herz voll Trauerns um seines lieben Kindes Loos, und er machte sich innerlich bittere Vorwürfe, daß er die Schuld trage, weil er sie dorthin gebracht, wo das Unglück über sie kam.
Endlich fiel ein lichter Sonnenstrahl in dies Dunkel. Es kam ein Brief von Elsje und nicht aus Middelburg, sondern aus Rotterdam und auf dem Wege, auf dem auch die früheren gekommen waren.
Schon diese äußeren Umstände gaben der Hoffnung Raum, sie sei wieder ledig ihrer Haft; als aber der Gärtner den Brief erbrach und laut vorlas, da jubelten die Herzen in Preis und Dank zum Herrn, denn es war ja Alles, was sie beängstigt hatte, eitel Lüge. Sie war nie verurtheilt, nie verhaftet worden. Nur die betrübte Lage ihrer Herrschaft, die ihrer Herrin alsdann, war der Grund ihres langen Schweigens gewesen. Innig sprach sie ihr volles Mitleiden aus gegen die unglückliche Frau, die sie so sehr liebte; aber dann kam ein Punkt, der plötzlich dem Gärtner Schweigen auflegte, bis die Kinder entfernt waren; alsdann las er vor der Mutter und Piet weiter und enthüllte den Plan des Mädchens, mit ihrer Herrin nach Gorkum zu kommen und heimlich sich daselbst und im Vaterhause aufzuhalten.
„Ach, du lieber Gott,“ sagte die Mutter, ihre Hände zusammen schlagend, „wie soll denn das gehen? So eine Dame und unser Häuslein!“
Durch Piet’s Seele fuhr’s wie ein zuckender Strahl. „Elsje kehrt zurück!“ der Gedanke machte ihn von unaussprechlicher Lust und Freude erbeben.
„Tante Kaatje,“ sagte er, „lasset den Ohm Claas weiter lesen. Es ist nicht Elsje’s Art, ein Schloß in die Luft zu bauen. Was sie will, das hat sie überlegt, rechts und links, hinter sich und vor sich. Ich wette mein Boot gegen eine oberrheinische Nußschaale, sie weiß Rath, und macht’s gerecht, daß an der Möglichkeit der Ausführung kein Zweifel ist!“
Da hast Du wieder einmal Recht, Neef Piet,“ versetzte der Gärtner, der, während dieses Zwiegesprächs zwischen der Mutter und Piet, stille das Weitere des Briefes überlesen hatte. „Das Kind ist klüger als wir Alle. Hört nur weiter!“
Er las: „Die Sache, herzlieber Vater und herzliebe Mutter, hab’ ich mir recht sonderlich überlegt, denn da ist ein stürmisch Zufahren vom Uebel, wo es gilt, für eine tief bekümmerte, edle Frau ein verborgen Winklein zu suchen, von dannen sie ihres Gatten Gefängniß sehen möchte, auf daß sie ihm näher sei, und darin einen Trost fände, und ein Strohhälmlein, daran sich ihre Hoffnung möge halten. Ist mir’s denn auch in die Seele gekommen, wie es könnte gemacht werden, ohne große Hinderniß und viel Umschweifens, und das solcher Gestalt: Ihr wisset ja, herzlieber Vater und herzliebe Mutter, daß wir das Hinterstüblein neben der Küche haben. Es ist wohl enge und klein, aber die edle Frau ist also demüthig, daß sie sich vollkommlich damit begnügt, sintemalen sein Fensterlein gegen Schloß Löwenstein schaut, woselbst ihr Eheherr sitzt im Gefängniß und vielleicht in schweren Ketten und Banden. Nun weiß ich wohl, daß darinnen Kaatje und Mietje, Piet und Niel’s schlafen, und ist kein ander Plätzlein wohl für sie zu finden, aber Tante van Halver und unser lieber Piet haben ein solch’ Stüblein ledig und brauchen’s nicht. Was hindert’s, daß der Kinder Bettlein in der Stille hinüber gebracht werden und solche allabendlich hinüber gehen, zu schlafen? Niemand sieht’s, Niemand weiß es. Redet mit der guten Mutter van Halver, die Ihr wohl grüßen müsset und mit meinem lieben Piet, und es wird gehen. Schreibt mir bald. Grüßet mir Piet und alle unsere Kinder. Wie geht’s unserm Jan in Haarlem und unserm Claas auf dem Lammetje? Mich verlanget herzlich nach Euch Allen! Seid Alle Gott befohlen!“
Piet wäre fast in einen Ausruf der im Herzen zusammengepreßten Freude ausgebrochen, als sie ihn ihren lieben Piet nannte, und zu den „Allen,“ nach denen sie herzlich verlangte, gehörte er ja auch, aber er wurde doch Herr über sein Gefühl und wartete, was van Houwening sagen werde, als er den lieben Brief sorgfältig zusammengelegt.
„Siehst Du’s, Kaatje,“ nahm er dann das Wort, „daß Neef Piet Recht behält. Es ist ein kluges Ding, und wo das eine Sache anfaßt, da geht’s.“
„Geht’s denn?“ fragte seine Frau, die zwischen der Freude, ihr theures Kind wieder um sich zu haben und dem erschreckenden Gedanken an die Anwesenheit einer so vornehmen Dame unter ihrem bescheidenen Dache ordentlich hin und her geworfen wurde.
„Ob’s geht, Kaatje, darüber wird Neef Piet und seine gute Mutter zu entscheiden haben,“ sagte der Gärtner und sah Piet forschend in das große strahlende Auge, in dem die Hoffnung, Elsje wieder zu sehen, leuchtete.
„Ob’s geht?“ rief Piet. „Blexem! Es muß gehen, sag’ ich Euch, Ohm Claas, und sollt’ ich mir auf der Linde ein Nest neben die Elster bauen, die da hauset seit langen Jahren und alle Jahre ihr Nest länger bauet, daß es schier wie ein Fischkorb aussieht; aber das Alles ist nicht nöthig, nicht einmal das Küchenstüblein; denn die Buben schlafen in meinem Kämmerlein und die Mädchen in dem der Mutter. Es ist Platz genug!“
„Ach, du lieber Herr!“ rief die Gärtnerin, „so wär’s ja fix und fertig! Aber, aber, die Dame! Claas, die Dame!“
„Kaatje, die ist keine Menschenfresserin, wie die auf der Insel, da sie den Matrosen van Diemens verspeisten!“ sagte lächelnd der Gärtner. „Wäre sie das, so lebte Dein Elsje schon lange nicht mehr!“
„Wer denkt denn an so etwas?“ wehrte die Gärtnerin ab, nicht ohne von dem Spotte ihres Mannes unangenehm berührt worden zu sein.
„Ist so bös nicht gemeint gewesen,“ sagte der Gärtner begütigend, „Ich weiß wohl, was Dich quält. Erstens, der Gedanke an ein vornehm Bette, da laß Du Dein Elsje sorgen. Das weiß so gut, wie es bei uns bestellt ist, wie Du und ich, und das wird schon sorgen, und sodann das Essen kochen. Du kochst aber, wenn Du’s hast, vortrefflich, und Elsje wird auch wissen, was die edle Frau begehrt. Ueberdies waren die van Reigersberg sehr reich und der Rathspensionär von Rotterdam hat auch eine Einnahme gehabt, die ein Bischen weiter reicht, als die des Claas van Houwening, wenn auch die Herren de Groot in Delft nicht zu den reichsten Leuten in Altniederland wären gerechnet worden. Da brauchst Du nicht Vorspann zu leisten! Sei aber dem Allem, wie ihm wolle, laß auch hier den lieben Gott gewähren, der unsere Burg und unser Fels ist, darauf wir bauen!“
„Amen!“ schloß Piet. Ihr macht immer Euern Schluß am Besten, Ohm Claas, gerade wie unser Domine. Wenn der ein rechtes Kraft- und Kernwort gesagt hat, so folgt allemal das „„Amen,““ das hab ich ihm abgemerkt. Wozu sich da den Kopf zerbrechen? Wir lassen’s kommen. Die Hauptsache ist abgemacht, und es ist mir recht lieb, wenn meine alte Mutter nicht so allein schläft, denn die Opwerkens überfallen sie manchmal in der Nacht. Dann ist auch Hülfe da und mit den Jungens werd’ ich prächtig zurecht kommen, und sie recht an’s Frühaufstehen gewöhnen. Das ist ihnen gut, denn die „Blexemskeerle“ sind ja Morgens, wenn ich komme, gar nicht wacker zu machen. – Schreibt nur gleich an’s Elsje, es sei alles rund gemacht und es solle nur bald kommen. Uns verlangte auch herzlich nach ihr.“
Der Gärtner sah ihn lächelnd an und sagte scherzend: „Wenn’s wahr wäre?“
„Blexem!“ rief Piet und schlug auf seine hohe und breite Brust, daß es hämmerte „Zweifelt Ihr daran?“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_367.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)