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Seite:Die Gartenlaube (1855) 366.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Von Elsje kamen ebenso erfreuliche Botschaften. Sie war von Cornelis van Breigem selbst zu Mevrouw van Groote geführt worden. „Die edle Frau – und wie ist sie schön und stattlich,“ schrieb Elsje, „hatte sie mit herzgewinnender Güte und Freundlichkeit aufgenommen und bisher in stets wachsendem Maße behandelt. Das Wort, sie zu halten, wie ihr eigen Kind, hatte sie getreulich bethätigt. Elsje gewann sich bald ihre volle Liebe, ihr unbedingtes Zutrauen. Alle Schränke und Truhen standen ihr offen, und als ihre alte Amme, die Leibdienerin bei ihr war, starb, rückte Elsje in diese ungemein bevorzugte Stelle ein. Sonst pflegt das den Neid der Mitdiener in hohem Grade zu erregen; aber Elsje’s liebes, treues und freundliches Wesen ließ so etwas nicht einmal keimen, geschweige aufgehen und arge Frucht tragen. Sie war Allen gefällig, rieth, half, diente Allen, und gewann sich so ihre vollkommenste Liebe. Dabei stand sie bei Allen in hoher Achtung, durch ihren sittlichen Ernst und ihre Strenge in der Zucht und Ordnung, also, daß sie die von Allen hochgeschätzteste Schiedsrichterin in allen Zwisten war.

Solche Nachrichten dienten dazu, die Familie van Houwening glücklich zu machen, selbst unter dem schweren Drucke der Zeit, und Piet hörte die Kunde von Elsje allemal am Abend, wenn er kam. Dies war jedoch nicht regelmäßig der Fall, denn er war der beliebteste Schiffer der Offiziere von Löwenstein geworden, die sich von keinem Andern heimfahren ließen. Die Soldaten der Besatzung des Schlosses kannten ihn als den Liebling ihrer Befehlshaber, und erwiesen sich freundlich gegen ihn. Sein Verdienst wuchs und mit ihm seine Heiterkeit und sein Eifer. Er konnte wieder einen Sparpfennig zurücklegen und sah sich in der Weise dem Ziele seiner Wünsche näher rücken, das machte ihn fröhlich und die Grüße Elsje’s unendlich glücklich.



IV.

Vielleicht selten mag es geschehen sein, daß zwei Menschen, der Eine in ein dienendes, der Andere in ein befehlendes Verhältniß kamen, die in allen Punkten so sich ähnlich waren, wie Elsje van Houwening und Mevrouw Maria de Groot. Freilich ist da nur von dem inwendigen Menschen die Rede, denn das Alter hätte eben sonst allein schon einen Unterschied begründet, welcher ausreichend gewesen, sie als sehr verschieden zu bezeichnen. Diese innere Verwandtschaft, diese Gleichheit der Seele, möchte man sagen, fühlt sich schnell heraus. Es ist, als ob von dem Menschen ein geistiger Hauch ausgehe, der anziehe oder abstoße, der Verwandtes berühre und sich daher als solches zu verstehen gebe oder das Gegentheil wirke. So war es bei Elsje und ihrer Mevrouw. Beide erkannten sich schnell als verwandte Naturen, denn es war ja in ihnen, wie bei zwei gleichgestimmten Saiteninstrumenten, der Ton des Einen weckt die gleichen Saitenschwingungen des Andern, und es fehlte in jenen Tag an Ereignissen nicht, welche die wechselnden Stimmungen hervorriefen, bald so, bald so, bald froh, bald traurig. Allmälig aber kam es, daß die letzteren die Ueberhand bekamen, namentlich in dem Leben des Rathspensionärs Hugo de Groot.

So hoch gelahrt und geachtet dieser seltene Mann war, so hatte er doch der bittern Verfolgung, dem grimmigen Hasse nicht entgehen können, denn es war die Zeit der erbittertsten Religionsstreitigkeiten, welche Holland in zwei Lager theilten, aus denen des Hasses Flamme zum Himmel auflohete, und sie meinten in ihrer Blindheit, das sei gottgefällige Glut.

In solchen Zeiten lösen sich die heiligsten Bande, scheiden sich die Herzen, die sich gehörten, in Summa, es wird Inneres und Aeußeres anders, denn es gewesen ist in ruhigen Zeiten, da der Friede seinen Palmenzweig schwang und die Liebe waltete. Wer hätte früher denken können, es breche ein Wetter herein über das Haupt des weltberühmten Mannes, und seine Schläge drohten ihn zu verderben? Und doch war es so.

Die Glaubensstreitigkeiten der Arminianer und Gomaristen hatten schon lange gewaltet und wahrlich, keinen Segen gebracht in einem Lande, welches der äußere Krieg so lange und schwer heimgesucht. Hugo de Groot gehörte den Ersteren an und verfocht ihre Sache. Man nannte sie, von einer Vertheidigungsschrift her, auch Remonstranten.

Als aber die Synode von Dordrecht gesprochen hatte, brach die Verfolgung herein und traf zunächst die hervorragendsten Glieder der Gemeinschaft, und auch über den mächtigen Rathspensionär der Stadt Rotterdam, Hugo de Groot, brach sie herein. Er wurde eingekerkert und darauf zur lebenslänglichen Gefangenschaft verurtheilt, die er auf dem festen Schlosse Löwenstein bei Gorkum zu verbüßen hatte. Dorthin wurde der edle Mann gebracht, und seine Haft war anfänglich sehr hart und enge, bis nach und nach mildere Behandlung eintrat und man dem „hochgelahrten Herrn“ so viel Bücher zukommen ließ, als er zu seiner gelehrten Beschäftigung bedurfte und wünschte. Sonst wurde er sehr menschenfreundlich und gut behandelt. Ja es wurde nicht einmal die strenge Wachsamkeit geübt über die Bretterkiste, darinnen ihm die Bücher geschickt wurden.

Der Schlag, welcher den geliebten und hochverehrten Gatten traf, fiel mit ganzer Schwere auf das Haupt Maria’s, seiner Gattin. Er kam so wuchtig und schwer, daß er sie anfänglich völlig betäubte und der Schmerz alle ihre geistigen Kräfte lähmte. Recht viele und große Liebe wurde ihr bewiesen, und solche Theilnahme hätte sie trösten mögen, wäre nicht das Herz zu schwer und tief getroffen worden.

Er sollte leben und doch todt sein! Nicht todt und doch für dieses Leben von ihr geschieden! Er sollte die einsame Haft dulden und sie frei sein! Er sollte leiden und sie ihn nicht pflegen! Das waren Gedanken, die den Geist einer noch so starken Frau trüben und erschüttern konnten, zumal sie wußte, daß er unschuldig dieses Urteils Schwere trug.

Wenn sich an das Mißgeschick, an das Leiden, welches unsre Liebsten und Theuersten trifft, noch ein Schimmer von Hoffnung schmiegt, wenn es noch eine Handhabe bietet, daran die Liebe den Anker der Hoffnung befestigen mag, und wäre das Ankertau auch nur der Faden einer Spinne, dann drückt es nicht völlig zu Boden, aber wenn, wie mit dem Schwertstreich des Nachrichters, jeder Faden des Lebens, der ja auch noch ein Faden der Hoffnung ist, zerschnitten wird, ja, dann gehört eine rechte Kraft dazu, solch Schicksal zu tragen, ohne alsogleich von seinem breiten Fuße zertreten zu werden, und solche Kraft ist nur eine – die des Glaubens. Eine andere giebt’s nicht. Maria de Groot wurde fürchterlich von dem Urtheile, welches über ihren edlen Gatten gefällt wurde, getroffen. – Niedergeschmettert war das edle Weib, wie von einem Donnerschlage. Sie war unzugänglich jedem Troste, der ohnehin oft so leidig ist, weil nichts dahinter ist, nicht einmal Wahrheit, sondern eitel Heuchelei. Wie könnte da solches Wort Friede wirken? Das empfand Frau Maria wohl tief und schmerzlich. Um so inniger schloß sie sich an das einzige Wesen, welches ihr blieb, welches ihr in wahrer, ächter Liebe zugethan war, an die liebliche Elsje. In diesem Herzen wohnte Treue, aufrichtige Theilnahme, ächte Liebe. Niemanden ließ sie mehr zu sich. Elsje und sie lebten allein und einander genug, und Beide richteten sich auf im belebenden Hauche des Glaubens und in seinem warmen Strahle. Die weite Trennung von ihrem Gemahle aber lag drückend auf der Seele der edlen Frau.

„Was hindeert Euch, Mevrouw,“ sagte eines Tages Elsje, „diese Stadt zu verlassen und nach Gorkum zu siedeln? Meines Vaters stilles Häuslein steht Euch offen; ja, es wird leicht sein, daß er Euch ein Stüblein einräumen kann, von dannen Ihr Löwenstein sehen könnt, was gewiß zu Eurer Ruhe beiträgt.“

Frau de Groot faßte des Mädchens Hände mit Heftigkeit. „Kind,“ sagte sie, „glaubst Du, daß das gehe? Glaubst Du, daß ich dort heimlich sein könnte?“

„O, da wird Euch keine Seele vermuthen, kein Auge sehen!“ rief Elsje aus. „Es sind Eure Glaubensgenossen und treue Seelen, auf die Ihr bauen könnt, wie auf Felsengrund!“

Frau de Groot sann, dan sagte sie zu Elsje: „Schreib heim, ob es gehen könne, aber bald!“

In van Houwening’s Hause war um Elsje große Sorge eingekehrt. Die Verurtheilung Hugo’s de Groot war kein Geheimniß geblieben unter den Remonstranten. So hatte durch vertrauliche Mittheilung auch der Gärtner Kunde davon erhalten; aber, wie es mit mündlichen Ueberlieferungen zu gehen pflegt, so kam es denn auch hier: Das Kleine wächst zu riesiger Größe heran, und das Mäuslein wird zum Elephanten. Es hieß nämlich, und Daatselaar theilte es mit, nicht nur sei der Rathspensionär zu ewiger Haft verurtheilt und nach Löwenstein gebracht worden, sondern auch seine Gattin und das dem Ehepaar treu ergebene Dienstbotenthum des Hauses sei wegen seiner Treue gegen die Herrschaft zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_366.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)