Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 28. | 1855. |
Im Hause van Houwening’s war’s düsterer und stiller. Der Vater sah die Lücken in den Arbeitskräften und strengte sich wacker an und die Mutter half; aber manche stille Thräne rann in den trockenen Sandboden, der nach Regen lechzte und es kam doch keiner; die Kinder mußten nun, soweit sie es konnten, tüchtig mit angreifen, und sahen ihre Spielstunden verkürzt, und der muntere Claas fehlte, der ihnen so oft zu heiterem Spiele den rechten Ton und Weg angegeben; der sinnige Jan war nicht mehr da, der ihnen Mährlein und Geschichten erzählte, aber tiefer noch beklagten sie ihrer lieben Elsje’s Verlust, denn die hatte Frieden gestiftet, wenn sie haderten, ihre Wünsche bei Vater und Mutter vermittelt und manchmal von dem Obste mehr gegeben, als geschehen sollte, weil es ja zu Markte gebracht werden mußte. Elsje hatte selbst ihren Antheil dann unter sie vertheilt, und es war ganz seltsam, wenn sie es zu Markte brachte, hatte sie stets mehr gelöst, als alle Anderen, die etwa einmal verkauften. Das begriffen freilich die Kinder nicht, daß die Leute alle bei dem scheuen, reinlichen, sittigen Mädchen lieber kauften, die es zudem auch noch verstand, Früchte und Blumensträußer viel lockender, geschmackvoller und schöner zu ordnen, als irgend Jemand in der Familie. Selbst Jan brachte es nicht so fertig. Allmälig gewöhnte man sich an das stillere Leben. Alles ordnete sich unter des Vaters Leitung, und es ging ziemlich, zumal wenn in dringender Arbeit Piet’s geschickte und starke Arme von sechs bis zehn Uhr abends halfen. Da wurde ein Stück weggearbeitet, daß man’s gar nicht begreifen konnte, denn die Arbeit förderte ihm verwunderlich, und doch that er sie so gut, daß der alte van Houwening sagte: „Es ist Jammer und Schade,. daß Du nicht die Gärtnerei allein treibst, Piet, mein Neef – oder – was noch immer häufiger vorkam – mein Sohn!“
Dann lächelte Piet und sagte: „Kommt Zeit, kommt Rath. Ich denke, es soll noch werden, ehe ich vergraue oder vor Alter sterbe, und Elsje versteht sich ja auch drauf!“
Dann nickte der Gärtner und sagte' „Gott walt’s! – Es ist das schönste Geschäft auf Gottes Erdboden.“
Die Stimmung wurde indessen immer heiterer, denn es liefen die besten Nachrichten ein.
Het Lammetje legte bald wieder im Hafen von Gorkum an, und Claas kam fröhlich in’s Vaterhaus gelaufen. Er sah aus, wie das frische Leben, hatte Backen wie ein Trompeter, und die Sonne hatte das Ihrige an seiner Gesichtsfarbe gethan, denn wenn er den Südwester ablegte, so war der Theil der Stirne, den er bedeckte, hellweiß und in schnurgerader Linie darunter sah’s braun aus, aber frisch, und die Augen leuchteten wie Fackeln. Fragte ihn der Vater, ob er schon vertraute Bekanntschaft mit dem „Tauende“ oder der „neunschwänzigen Katze“ gemacht, so lachte er hell auf und rief: „Daß ich ein Narr wäre! Wenn ein Schiffsjunge flink, gefällig und dienstfertig ist, dabei einen Witz oder eine Schnake in Bereitschaft für die Matrosen und stillen Gehorsam für den Patron hat, so sind die beiden Dinger seinem Rücken und Rippen fremd! Sie haben mir noch nicht einmal ihre blaue Schrift auf den Rücken geschrieben.“
Fragte er den Patron, ob damit der Knabe nicht geflunkert, so lachte der und sagte: „Nein, Baas van Houwening, gelogen hat er nicht. Er ist der beste Schiffsjunge, der jemals an Bord von het Lammetje gewesen ist. Er hat sich auch so gestreckt und seine Kräfte so gestärkt, daß er bald Matrose wird, was die Matrosen und ich darum nur ungerne sehen, weil der „Blexemskeerl“ kocht, wie eine Hausfrau!“
Claas war auch einmal bei Jan in Haarlem gewesen und brachte einen Gruß und einen Brief. Darin stand zu lesen, wie Baas Daatselaar in Haarlem so gut gegen ihn sei, und wie er in der Zwiebelzucht bald erster Gehülfe werden würde und ein unbeschnittener Dukaten für die Mutter lag dabei.
Claas wußte gar nicht fertig zu werden, wenn er auf die Beschreibung des Gartens von Baas Daatselaar kam; denn solchen Garten hatte er noch gar nicht gesehen.
„Da sind Stücke mit Tulpenzwiebeln, Hyazinthen und Gott weiß, wie das Geknolle all’ heißt,“ sagte er, „deren jedes dreimal so groß ist, als unser ganzer Garten! Und Jan hantiert mit Spaten und Kanne drin herum, daß es ein Plaisir ist.“
In Rotterdam war er nicht gewesen, seit Elsje bei van Groot’s in Diensten war. Kam er aber auf die Städte zu reden, die er gesehen, so verschwand sein liebes Gorkum, das er bisher als den Mittelpunkt der Erde angesehen, völlig aus dem Gesichtskreise.
Alle hörten ihm gerne zu und die kleineren Jungen hingen mit voller Seele an seinem Munde und spannten, um ja kein Sylbe des weitgereisten Bruders zu verlieren, vor dessen bedeutender Person sie einen gewaltigen Respekt gewannen.
Die Aeltern dankten dem Herrn für solches Glück und der Gärtner sagte zu seiner Frau: „Kaatje, da siehst Du, wie unsre Gebete nicht leer zu uns zurückkehren! Du siehst, wie gut es war, daß ich meinen Plan ausführte. Den Kindern geht’s gut, Gott sei gelobt, und uns geht’s besser!“ –
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_365.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2020)