Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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unsere Hoffnungen zu erfüllen, denn seine Zeugnisse waren stets von der allerbesten Art.
„Da er sich für den heiligen Stand der Kirche bestimmte, so setzte er nach wohlbestandener Prüfung seine Studien im King’s-College fort. Während dieser Zeit hatte er die Bekanntschaft einer jungen Dame von vornehmer Herkunft gemacht, die ihm auch ihre Hand versprach, wenn er am Ende seiner Studienzeit – das war Anfangs August d. J. – den ersten Preis der Anstalt erhalten würde. Er hat deshalb während der letzten sechs Monate im wahren Sinne des Wortes Tag und Nacht gearbeitet und gelernt, denn er schlief nur jede dritte Nacht etwa drei oder vier Stunden und, um während der übrigen Zeit nicht vom Schlafe überwältigt zu werden, pflegte er seine Füße wohl in kaltes Wasser zu stellen.
„Doch endlich kam die Entscheidung. Die Examination dauerte drei Tage, und es waren für den ersten Preis etwa zwanzig Bewerber aufgetreten. An den beiden ersten Tagen wurden die erforderlichen schriftlichen Arbeiten angefertigt, und darnach die drei besten Candidaten für das mündliche Examen des dritten Tages ausgewählt. Mein Sohn gehörte zu diesen und erregten namentlich seine griechischen Arbeiten, die in den besten antiken Versen geschrieben waren, die höchste Bewunderung der ganzen Anstalt, und man hielt es für ausgemacht, daß er Sieger sein werde und das mündliche Examen werde nur noch so pro forma abgehalten. Von allen Seiten gratulirte man ihm und er selbst schien seines Sieges gewiß zu sein; denn er war nie so ruhig und so guten Muthes gewesen, als an diesem letzten Tage der Entscheidung. Von seinen Mitbewerbern war der eine der Vetter des Hauptexaminators. Zu Anfang ging Alles wohl, doch kam man bald an eine – ich glaube „verlorene“ Stelle des Plato, die ein Steckenpferd des Examinators ist, weil er auf „eigene“ Kosten ein dickes Buch über ein daselbst – wie er meint – zu setzendes Jota subscriptum hat drucken lassen. Mein Sohn war unvorsichtig genug, die entgegengesetzte Meinung zu vertheidigen und sogar einige sarkastische Bemerkungen gegen die Ansichten des gelehrten Herrn Examinators fallen zu lassen, was diesen natürlich gegen ihn aufbringen mußte, und die Prüfung bekam bald einen äußerst gereizten Charakter, und es war nun mehr ein Kampf auf Leben und Tod zwischen zwei eifersüchtigen Rivalen, als eine ruhige Examination eines Studenten; doch das Ende war, daß dem Verwandten des Examinatoren der Preis zuerkannt, und mein Sohn mit einer Art väterlicher Ermahnung entlassen wurde. Ich und mehrere seiner Freunde erwarteten in ängstlicher Spannung auf dem Hofe der Anstalt den Ausgang der Prüfung, und ich werde nie das todtenbleiche Gesicht und die zerstörten Züge vergessen, mit denen er auf uns zugestürzt kam und aus vollem Halse lachend rief: „Ich bin durchgefallen! ha, ha!“ Dies sind die einzigen und letzten Worte, welche er seit jener Zeit gesprochen hat; denn er verfiel sofort in eine Art Trübsinn, aus dem ihn Nichts aufzumuntern vermag, und er ist nun seit sechs Wochen in diesem Hospitale.“
Die Erzählung war gerade beendigt, als der Oberarzt der Anstalt, Dr. Hood, hereinkam, und ich theilte ihm nun meinen Wunsch mit, daß ich das Hospital besuchen möchte, um darüber etwas für die deutsche Presse zu schreiben. Und obwohl ich mit keiner Empfehlung eines Bankers aus der Lombardstreet bewaffnet, noch durch einen ehrwürdigen Geistlichen introducirt war, welches überall erforderlich ist, wenn man in England das Geringste erreichen will, und überhaupt nichts aufzuweisen hatte, als ein ehrlich deutsches Gesicht und ein Monatsheft der „Gartenlaube“, womit ich im Namen des Verlegers die Bibliothek der Anstalt bereicherte, so wurde mir doch mit der größten Bereitwilligkeit mein Wunsch gewährt, und mir auch auf meine Bitte die erforderlichen statistischen Notizen über die Anstalt verabreicht. Doch ehe ich die Wanderung durch das Hospital selbst beginne, scheint es passend zu sein, über die Behandlungsweise der Kranken in dieser Anstalt einige Worte vorauszuschicken, denn dieselbe ist insofern von der allerhöchsten Bedeutung und dem lebhaftesten Interesse, weil man hier zuerst ein neues System, das sogenannte „Nicht Zwangssystem“ in größerem Maßstabe in Ausübung gebracht hat, und welches nach dem Zeugnisse des Herrn Dr. Hood mit dem allerglänzendsten Erfolge gekrönt worden ist. Man war früher nämlich allgemein der Ansicht, daß mechanischer Zwang, vermittelst schwerer Ketten, eisernen Kugeln an den Füßen, Handschellen, Zwangsjacken etc. etc. in der Behandlung der Geisteskranken unumgänglich nothwendig sei. Die berühmtesten Aerzte, unter anderen der wohlbekannte Thomas Willis, empfahlen Fesseln, Prügelstrafe und Zwang als die besten Mittel einer Kur und daß die Nahrung dürftig, die Kleidung grob, das Bett hart und die Behandlung strenge und militairisch sein sollte. Die Verbesserung der Zwangsjacke oder eines anderen dieser Marterinstrumente, wurde dafür in dieser Zeit als ein Triumph der Wissenschaft betrachtet und königlich belohnt, und man glaubte allgemein, um in den eigenen Worten des berühmten Boyan Crowther zu reden, „daß wir durchaus keine Kontrole über widerspenstige Kranke haben würden, wenn wir nicht die Zwangsjacke und das schwarze Loch hätten“, und er fügt dann herzlos hinzu: „die Illustration der Angemessenheit einer Behandlungsweise vermöge der speciellen Aufzählung verschiedener Fälle würde nichts mehr oder weniger sein, als eine ausführliche Geschichte der Zwangsjacke mit den anderen Zwangsmitteln als Zugabe.“ Von dieser Beschaffenheit waren alle Irrenanstalten bis zu Anfange dieses Jahrhunderts, so daß Dr. Powell noch im Jahre 1807 als Zeuge vor dem Comitee des Hauses der Gemeinen erklären konnte, „daß die Irrenhäuser vielmehr Plätze für die sichere Aufbewahrung der Geisteskranken, als Heilanstalten genannt werden könnten.“
Die Baschi-Bozuks, der türkische Landsturm.
Ein bunteres Gemisch von Bewaffneten als die Baschi-Bozuks, läßt sich kaum erdenken, und das nachstehende Bild mag eine Andeutung davon geben. Bezeichnend ist übrigens schon dieser ihr Name Baschi-Bozuks, denn er bedeutet verdorbene Köpfe (von Basch Kopf und bozuk, verdorben). Sie nehmen in der türkischen Militärorganisation ziemlich dieselbe Stellung ein wie in der preußischen der Landsturm, denn die Grundzüge des preußischen Wehrsystems sind auf das türkische übertragen worden, weil die jetzt bestehende Einrichtung größtentheils von preußischen Offizieren ausgegangen ist.
Das türkische Militär zerfällt in die Linie, die wirkliche im Dienst befindliche Armee[WS 1], Nizam genannt, welche aus sechs Armeecorps (ordus), nach den sechs Provinzen des Reichs, je mit einem Obergeneral oder Feldmarschall (muschir), besteht, und die Reserve oder Landwehr, redif genannt, ebenfalls aus sechs Corps. Die Dienstzeit in der Linie beträgt finf, die in der Reserve sieben Jahre. Die Letztere wird in Friedenszeiten jährlich einen Monat lang zu Uebungen einberufen, in Kriegszeiten aber muß sie gleichen Dienst thun wie die Linie, und in dem jetzigen Kriege ist sie bereits seit 1853 vollständig einberufen.
Die dritte Abtheilung des türkischen Wehrsystems endlich bilden unsere Baschi-Bozuks, der Landsturm, zu welchem nicht blos die ausgedienten Landwehrmänner, sondern auch die Mannschaften gehören, welche die in dem seit 1843 eingeführtem Rekrutirungsgesetz noch nicht unterworfenen Provinzen, sowie die der Pforte tributpflichtigen Länder in Kriegszeiten zu stellen verpflichtet sind, ferner die in manchen Theilen des Reiches bestehenden irregulären Truppen, welche im Nothfalle auf Kriegsfuß gesetzt werden können, und endlich die Freischärler, die Freiwilligen, welche aus allen Theilen des großen osmanischen Reiches zur Vertheidigung des Landes zusammenströmen.
Die Baschi-Bozuks bestehen demnach aus den verschiedenartigsten Elementen, aus Jünglingen und Greisen, aus Menschen von den mannichfaltigsten Berufsarten, aus Europäern, Asiaten und Afrikanern. Jeder erscheint und verbleibt in seiner gewöhnlichen Kleidung, die bald kostbar, bald zerlumpt ist; jeder bewaffnet sich wie er kann oder wie es ihm beliebt, kommt zu Pferd oder zu Fuß und schließt sich dem oder jenem Haufen an, denn dieses seltsame Corps ist weder in Bataillone noch Schwadronen eingetheilt, noch hat es eine bestimmte Anzahl von Offizieren.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Arme
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_360.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2023)