Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Ein tiefer Seufzer arbeitete sich aus des Jünglings Brust los. Seine Arme sanken entkräftet herab und fast wäre seine Pfeife zerbrochen.
„Hat er das gesagt, gute Mutter, so führt er’s auch aus. Er überlegt erst alles reiflich, ehe er es ausspricht; dann folgt aber dem Worte auch die That auf dem Fuße.“
„Das ist richtig,“ war der Mutter Gegenrede. „Er hat’s auch schon in’s Werk gesetzt. Es wird keine zwei Tage dauern, so ist’s geschehen, denn mit dem Lammetje sollen sie fort. Jan nach Haarlem, Claas als Schiffsjunge auf’s Lammetje und –“
„Und Elsje?“ rief der Sohn laut.
„Nach Rotterdam!“ sagte eine wohltönende Stimme, der man aber die schmerzliche Bewegung anhörte. Sie klang hinter dem Stamme der Linde hervor.
Mutter und Sohn fuhren herum und erblickten Elsje, die langsam den Hügel heraufgestiegen war und nun ihnen nahe stand, leise und wehmüthig den guten Abend bietend. Elsje’s Gestalt hob sich dunkel am abendlichen Himmel ab. Sie war von mittlerer Größe, schlank, ohne mager zu sein und von den edelsten Formen. Blondes, reiches Haar lag in einfach geflochtenen Ringeln um den schönen Kopfs und bildete dennoch hinten ein sogenanntes „Nest,“ wo es ein silberner Pfeil, ein Geschenk ihrer Pathe, der Frau Daatselaar, hielt. Ihre rothen Wangen, die sonst so lieblich von der schneeweißen Haut abstachen, waren einer Blässe gewichen, welche das Leid der Seele offenbarte, und die sonst so strahlenden blauen Augen waren matt und von Thränen geröthet. Ihr Anzug war der der Landleute jener Gegend, kleidete sie aber trotz seiner Armuth ungemein gut, wie sie denn eine höchst anmuthige Erscheinung war.
„Was sagst Du?“ rief Piet voll Schrecken, ließ seine Pfeife fallen, daß sie in Scherben brach und faßte bebend ihre Hand und zu gleicher Zeit Piet’s Mutter die andere.
„Ich muß fort mit Jan und Claas,“ sagte sie, mit einem schmerzlichen Blicke den Jüngling ansehend, „nach Rotterdam; morgen schon mit van Breigem’s Lammetje.“
Piet ließ ihre Hand fahren und bedeckte mit der seinen seine Augen.
„Und nach Rotterdam, sagst Du?“ rief die Mutter. „Ach, Du, meiner Augen Trost, soll ich Dich denn nicht mehr sehen?“
„Das verhüte Gott!“ seufzte das Mädchen, indeß ihre Augen auf Piet ruhten, der noch immer, seine Augen mit der Hand bedeckend, dastand. Sie dehnte sich an der Mutter Schulter und es trat ein peinliches Schweigen ein.
„Was denkt Dein Vater?“ rief endlich, wie aus einem düstern Traume erwachend, der Jüngling. „Nach Rotterdam? – In die weite Ferne? – In der Stadt, in welcher Du fremd bist, Niemanden kennst und Niemanden hast, der Dir riethe und rathen hilft?“
„Du weißt, guter Piet,“ sagte das Mädchen wehmüthig. „Mein guter Vater ist zu besorgt für sein Kind, daß er es so in die Welt hinausstieße. Willst Du mich ruhig anhören, so will ich Dir Alles erzählen.“
Piet nickte, denn die Brust war ihm wie eingeschnürt. Er hätte nicht reden können.
„Mein Vater war früher Gärtner bei dem reichen Handelsherrn van Reigersberg viele Jahre hindurch, wohlgelitten und wohlgehalten bis zu dessen Tode. Als er nun den Gedanken mit sich herumtrug, daß es unserer Haushaltung ersprießlich sei, drei kräftige Esser weniger zu haben, und Dreie, für deren Bekleidung man nicht zu sorgen brauchte, ging er zu van Breigem auf het Lammetje im Hafen, das eben seine Ladung gelöscht hatte. Der brave van Breigem ist unser Glaubensgenosse, der es mit meinem Vater und uns Allen sehr wohl meint. Sie besprachen sich mit einander, und da nennt mein Vater den Namen van Reigersberg. „Habt Ihr bei denen in Diensten gestanden, Baas van Houwening,“ sagte van Breigem, „so weiß ich guten Rath. Mama van Reigersberg ist die vortreffliche Gattin unseres gelehrten, hochgeachteten und verehrten Glaubensgenossen des hochmögenden Rathspensionärs Hugo de Groot oder wie sie es verkauderwälschen: Hugo Grotius. Die ist aller Verlassenen Helferin und Trösterin, so klug als schön und so schön als fromm und gottesfürchtig. Schreibt einen Brief an die edle Dame; beruft Euch auf Eure treuen Dienste in ihrem älterlichen Hause und bittet sie, daß sie Euch einen Dienst ausmache für Euer Kind. Wenn sie es nicht gut und vortrefflich thut, so will ich mich an meinem Fockmast aufhissen lassen, wie eine Flagge und bammeln, wie ein Segel bei rasch eintretender Windstille.“
„Das leuchtete meinem lieben Vater ein, denn er kannte die edle Mevrouw Maria, und sie mußte sich seiner noch erinnern da sie damals, als ihr Vater starb, etwa zehn bis zwölf Jahre, alt war. Mein Vater eilt heim und schreibt, und schon umgehend kommt ein gar lieber Brief von der edeln Frau, worin sie schreibt, wie sie sich seiner und noch recht im Guten erinnere und sich freue, daß mein Vater seinem heiligen Glauben treu geblieben sei; er solle nur das Mädchen auf dem Lammetje schicken, sie werde es, wenn es, wie sie nicht zweifle, gottesfürchtig erzogen und anstellig sei, als Hausmädchen in ihrem eigenen Haushalte behalten und ihm guten Lohn geben, für sein Seelenheil sorgen und es halten, wie ihr eigen Kind. Du siehst, da ist kein leichtsinniges Hineinfahren, sondern ruhige Ueberlegung wirksam gewesen und Gottes Barmherzigkeit war dem Vater hold.“
„Gewiß,“ sagte die Mutter, sorgte Dein redlicher Vater für Dich. Das wußte ich im Voraus, und Piet hat das eben erst selbst ausgesprochen; aber mehr und herrlicher Der über uns. Ihm sei Dank und Preis.“
„Ja, ja,“ rief Piet. „Es ist schon Alles gut, wär’ nur das Scheiden nicht und das Alleinhierbleiben! Ich glaub’, ich ertrag’s nicht!“
Elsje legte ihre Hand auf seinen Arm. Sie hatte ihre Ruhe, wie es schien, ganz wieder gewonnen.
„Guter Piet,“ sagte sie, „sei ein Mann! Willst Du Dich geberden wie ein Weib, so muß ja das arme, schwache Weib zum Manne werden und ihn an das erinnern, was seine Pflicht ist. Wir trennen uns nicht willkürlich, wenigstens gehe ich nicht freiwillig, aber ich sehe das Alles als eine Schickung Gottes an und beuge mich, wie schwer es mir auch wird. Im Anfang meinte ich, es müßte mir das Herz brechen, aber ich habe im Kämmerlein gebetet, und nun bin ich ruhig geworden und was Gott gefügt hat, das wird er auch herrlich hinausführen! Und ist denn Rotterdam aus der Welt?“
Piet erschrak über des Mädchen’s Worte und es überkam ihn ein rechtes Schamgefühl, daß ihn an Sammlung das Mädchen übertreffen solle.
„Du hast Recht,“ sagte er nach einem minutenlangen Schweigen, bei dem er sich die Sache nach Elsje’s Aeußerungen zurecht gelegt, „Du hast Recht, Elsje! Ich will auch nicht mehr so meinem Gefühl den Lauf lassen. Aber, Elsje, bleibst Du eingedenk Deines Wortes? Wirst Du in der großen Stadt des armen Piet gedenken?“
„So solltest Du mich nicht fragen,“ sprach das Mädchen ruhig, fest und nicht ohne Vorwurf. „Wär’ es so, daß Deine Frage Grund, Ursache, Fug und Recht hätte, so würde mein Ja darauf nicht mehr werth sein als die abgedörrte Lindenblüthe, die der Abendwind auf Deinen Acker dorthin trägt. Sagt Dir Herz und Verstand, daß ich vor Gott ein aufrichtig Ja darauf sagen müßte, warum stellst Du sie dann an mich?“
Piet blickte betroffen zur Erde.
„Elsje,“ rief er dann plötzlich, ihre kleine Hand fassend, „Elsje, zürne mir nicht! Es kam mir zu plötzlich, zu unerwartet, und das hat mir den Kopf ganz auf die Seite gerückt. Und daß es mir weh thut bis in’s Innerste meiner Seele, Dich missen zu müssen, willst Du mir drob grollen?“
„Mit Nichten!“ flüsterte Elsje. „Mir geht’s ja nicht besser!“
Die Mutter seufzte.
„Ach,“ sagte sie, „wer wird mich nun pflegen, wenn ich die Opwerkens, meinen alten Umstand und Fehler, kriege? So eine sanfte Hand gibt’s auf Gottes Erde und in Altniederland nicht wieder!“
Das war eine Herzensklage aus tiefstem Grunde, denn die arme, alte Frau litt periodisch lange und viel. In solchen Zeiten, wo Piet dem Verdienste nachgehen mußte und auch noch für das Haus hätte sorgen müssen, wenn nicht Elsje, wie ein holder Engel, überall helfend, lindernd zu Rath und That bei der Hand gewesen wäre, hatten Vater und Sohn wohl erkannt, welch’ ein ächter Schatz und Juwel das Mädchen sei, besonders aber Jevrouw van Halver, die arme Leidende.
Elsje tröstete. „Gottes Güte wird Euch bewahren! und wenn das alte Gepreßte kommen sollte, und ich kann nicht helfen, so hat mir die Mutter versprochen, mit dem Mietje abzuwechseln. Das
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_351.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)