Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Morgen schon?“ fragte Elsje, und fiel der weinenden Mutter um den Hals.
„Macht Euch das Herz nicht schwer – ja uns Allen mit,“ sagte der Gärtner. „Es ist uns Allen hart; aber es muß sein; ich kann das Brot für Euch Alle nicht mehr erschwingen. – Deine Lage ist vielleicht die beste, Elsje. Du kommst als Dienerin in das Haus des gelahrten und frommen Rathspensionärs, Hugo de Groot. Seine Frau soll eine edle Dame sein, und wenn sie ihren Aeltern gleicht, so ist’s nicht zu bezweifeln, denn Mynheer van Reigersberg war ein frommer Herr und ein gottesfürchtiger, milder Herr – Keiner von den wunderlichen, von denen der Apostel redet; und Mevrouw van Reigersberg war eine gute Seele, die aber Verstand und Kraft der Seele hatte, wie ein Mann. Ich war sieben Jahre ihr Gärtner und hab’s gut gehabt, und das ist meine Freude und Ehre, daß der alte Claas von Houwening bei der Tochter noch in gutem Andenken steht, während die Alten längst zum Herrn gegangen sind. Gott hab’ sie selig! Du weißt, Elsje, ich hatte an Mevrouw Maria de Groot geschrieben. Der Antwortbrief ist gekommen, der mir sagt, Du seiest willkommen im Hause und solltest es gut haben, wie ihr eigen Kind.“
Wieder trat eine Pause ein. Die beiden Söhne gingen hinaus in den Garten. Claas pfiff ein fröhlich Schifferlied, und Jan ging stille unter den Bäumen hin, dem Treibhäuschen zu, als wolle er seinen Lieblingen dort ein Lebewohl sagen. Das Herz war ihm voll und schwer, während Claas heitern Blickes in die Zukunft sah.
„Den beiden Jungen hast Du den Bündel schon gepackt, Louisetje,“ sprach der Vater zur Mutter. „Wie ist es mit Elsje’s Sachen? – Ich denke, je rascher geschieden wird, je besser für uns Alle! Langes Zaudern, langes Leid!“
„In einer Viertelstunde ist ihr Schließkorb fertig,“ sagte die Mutter, ihre heißen Thränen trocknend, „und van Breigem’s Lammetje lichtet vor zehn Uhr Morgen die Anker nicht. Du kannst ohne Sorge sein, Claas!“
„Gut dann,“ versetzte Claas von Houwening, und zündete seine irdene Pfeife an, um mit dem Rauche manchen Seufzer hinauszuschicken. Elsje erhob sich und ging hinaus, um – dem Herzen Luft zu machen und einen lieben Gang zu thun.
„Mutter,“ sagte der Gärtner, „halte Dich um Gottes Willen wacker. Blexem! mir bricht auch das Herz schier, die drei lieben, guten Kinder hinaus in die Welt zu schicken; aber es geht nicht anders, Du weißt es ja, so gut wie ich, und der alte Gott in Israel lebt noch und sein Arm ist nicht verkürzt. Er wird sie schützen und geleiten und unsre Gebete folgen ihnen nach. Wir wollen dem Herrn danken, daß sie Alle in guter Glaubensgenossen Häuser kommen und zu braven Leuten. Einmal mußte es so kommen, Mutterchen,“ fuhr er bewegt fort. „Früher oder später werden sie Alle in die Welt gehen, und es ist ja aller Aeltern Loos, daß sie im Alter allein stehen, wie entlaubte Bäume. Sie sind fromm und gottesfürchtig erzogen; sie stehen auf gutem Glaubensgrund; haben alle gesunde Glieder; sind frisch und munter; an Arbeit von Kind auf gewöhnt und haben gelernt, sich begnügen zu lassen mit dem Wenigen, was uns beschieden war. Ich hoffe, Gottes Segen wird sie begleiten, und sie werden ihren Aeltern Ehre machen, wohin sie auch Gottes Hand geleitet.“
Die Mutter faltete die Hände und blickte mit dem Auge voll Thränen in das erlöschende Abendroth. Der Liebe Anker ist das Gebet. –
Nach einer Weile sagte sie, sich sammelnd: „Claas, zürne mir nicht. Ein Mutterherz fühlt’s doppelt, wenn die scheiden, die unter ihm geruht haben. Ich weiß, daß es sein muß; ich weiß, daß sie unter Gottes Schutz stehen; aber es thut doch so weh.“ – Sie bedeckte ihre Augen mit der Schürze und weinte leise.
Der Alte, der seinen Schmerz bewältigen wollte, biß auf die Pfeife, daß ein Stück abbrach.
Louisetje sah auf, als sie den Ton hörte.
„Siehst Du, Mutter,“ sprach Claas, „so geht’s. Hab’ da mein Herzweh verbeißen wollen und die Pfeife bricht, aber das Herzweh bleibt!“ Er stützte seinen Kopf in die Hände und es fielen ein Paar heiße Thränen zur Erde. Dann sah er auf und schüttelte fast unmuthig den Kopf, und sagte zürnend über sich selbst: „Es ist ein miserabel Ding mit dem Herzen! – Es macht alle Vorsätze zu Schanden!“ –
Wenn man vor das Thor von Gorkum tritt, so breitet sich die unabsehbare, fruchtbare Ebene vor dem Auge aus. Hin und wieder tauchen einzelne Häuser und Gehöfte auf oder der Kirchthurm eines Ortes; dann zuweilen ein kleiner Wald, Busch genannt, aber selten ruht das Auge auf solchem Schmucke der Gegend, und Wälder, wie sie uns erfreuen und erquicken, wie sie den Reiz unserer Landschaft bilden, kennt man in den Niederungen nicht, die sich in Wiesenflächen und Ackerland theilen. In der unmittelbaren Nähe der Stadt erblickt man um das Jahr 1618 oder 1619 einzelne Häuschen, wie alle andern, aus Ziegelsteinen reinlich und nett erbaut, mit spiegelblanken Fenstern, beschattet von einem oder mehreren Bäumen und umgeben von einem Gärtchen, größer oder kleiner, und einigem Ackerlande. Diese Wohnungen lagen meist auf Erhöhungen des Bodens und man konnte unschwer den Grund in den Deichbrüchen und daher stammenden Ueberschwemmungen finden.
Es war um die Tageszeit, wo das Zwielicht jene reizende Mittelstufe zwischen Tag und Nacht bildet. Der westliche Horizont wieß noch in einem lichten Streifen einen kargen Rest jener Glut, welche den Sonnenuntergang begleitet hatte, und dieser Streifen lieh der Abendstunde eine größere Helle, als sie bei bedecktem Himmel würde gehabt haben. Noch flimmerte außer dem glänzenden Abendsterne keins der himmlischen Lichter herab; den Abendglockenklang der umliegenden Dorfschaften trug der Seewind in sanften Schwingungen über die weite Fläche, und nur noch wenige Arbeiter oder Fuhrwerke sah man die Stadt suchen, da Gorkums Feierabendglocke bereits geläutet hatte, welche die Arbeiter unter das eigene Dach ruft.
Rechts, den Dämmen des Flusses näher, lag von Houwening’s Häuschen und eingefriedeter Garten. Weiter von der Stadt, auf einer der genannten Erhöhungen, die man kaum Hügel nennen kann, stand eine starke Linde, und unter ihren schirmenden Aesten eins der Häuschen aus Ziegelsteinen, noch kleiner als das des Gärtners. Am Fuße des Hügels lag ein kleiner Gemüsegarten und einige bepflanzte Feldstücke, welche eine zierlich erhaltene Weißdornhecke umschloß. Die Linde war alt, denn ihre Wurzeln lagen, fast ein Dritttheil so dick als der Stamm, über der Oberfläche des Hügels und dienten jetzt den Bewohnern zu Sitzbänken, die aus dem Häuschen getreten waren, den Abend zu genießen.
An dem Stamme lehnte, auf einer dieser Wurzeln sitzend, ein Jüngling in der dunkeln Friesjacke, wie sie die Schiffer zu tragen pflegen. Er blieb leichte Wölkchen aus seiner Thonpfeife, und neben ihm ruhte, die Arme auf die Knie und mit diesen das Haupt stützend, eine hochbetagte Frau. Der Jüngling war Piet oder Peter van Halver, der Sohn der Wittwe. Ihr Anzug, wie das Ansehen der Wohnung trug das Gepräge der Armuth. Piet war ein blonder, schöner Junge von zwanzig Jahren, frisch, kräftig und lebhaft. Sein Antlitz, welchem der Südwester keinen Schutz verlieh, war gebräunt, doch trug es nicht die Bronzefarbe der Seeleute, und noch nicht jenen eigenthümlichen Charakter, den man sehr ausdrucksvoll mit dem Worte „wetterhart“ bezeichnet.
Beide, Mutter und Sohn, sahen schweigsam in das verglimmende Tageslicht und hingen Gedanken nach, die, wie sich aus dem später entwickelnden Gespräche ergab, sehr nahe sich berührten, ohne daß sie es jetzt zu ahnen schienen.
„Piet,“ hob endlich die Mutter an, „uns geht’s kratzig, und Du bist überall bei der Hand, wo es einen Kreuzer zu verdienen giebt, wie mag es erst van Houwening’s ergehen?“
„Schlimm,“ sagte Piet; ich habe eben auch an sie gedacht!
„Weißt Du,“ fuhr die Mutter fort, „was er mir gestern auf dem Heimwege aus der Kirche gesagt?“
„Wie könnt’ ich das wissen, Mutter, da ich mit Elsje gewiß ein paar Hundert Schritte vorausging und nicht hören konnte, was Ihr redetet,“ versetzte der Sohn. „Sagte er etwas von Wichtigkeit?“
„Sollt’s meinen,“ entgegnete die Mutter. „Er sagte, er könne es nicht mehr machen nach diesem traurigen Sommer; sie säßen zu Zehn zu Tische, und er könne das Brot für Sieben nicht erschwingen, darum –“
„Was? Was sagte er ferner?“ fragte rasch der Sohn, dem die Mutter zu langsam sprach.
„Nun, er sagte, Dreie müßten aus dem Brote, die drei Aeltesten.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_350.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)