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Seite:Die Gartenlaube (1855) 339.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

unerquicklich, da die stolzesten Bauten nur an Gewalt, Krieg, Zerstörung, Staat, Polizei und Verbrechen erinnern. Sie wird durch ein Flüßchen in zwei Theile getheilt: Côte du Brest und Côte de Recouvrance. Die Magazine, Kasernen, Tauseilereien, Segelwebereien, Schmieden, Eisengießereien u. s. w. tragen alle ein militärstrenges, staatliches, unerquickliches Gepräge, weil Arbeit und Arbeiter in bureaukratischer, offizieller, unfreier Weise dirigirt werden und sich dies in den Gesichtern der Leute und selbst der Mauern und Wände ausdrückt. In dem Habitus der celtischen Bretagner, die unter den gemeinen Arbeitern die Mehrzahl bilden, trägt noch das Stumpfe und Ausdruckslose in der Gesichtsbildung viel zu der Trostlosigkeit der hier sich bietenden Eindrücke bei. Keiner aber ist so gewaltig in Trostlosigkeit und criminalistisch anklagend gegen den Bundesstaat westlicher Civilisation, als die Bagno’s, der grünrothgelbschimmernde, kettenrasselnde Tempel für 3000 Verbrecher. Die nicht in Ketten, sondern mit ganz andern Instrumenten rasselnden und in ganz andern Farben schillernden Verbrecher Frankreichs sind nur die äußerliche Kehrseite der Bagno-Galeerensclaven, in der That und Gerechtigkeit aber würden diese beiden äußern Gegensätze, theils zusammenfallen und an dieselbe Kette geschmiedet werden, theils ihre Plätze gegenseitig austauschen. – –

Das Gebäude für die Galeerensclaven ist in seiner Architektur sehr schön und nobel, wie die meisten andern Gefängnisse civilisirter Staaten, welche gleichsam mit ihren Einkerkerungsanstalten „Staat machen“ zu wollen scheinen. Es enthält vier große, hohe, luftige Säle, in denen die Bewohner schlafen, und viele großartige Arbeitsstätten und Plätze, wo die Verbrecher in ganzen Banden und Ketten unter Aufsicht von Soldaten mit gezogenen Säbeln und geladenen Gewehren arbeiten. Die schwersten Verbrecher sind zu Zweien und Mehreren an eine und dieselbe Kette geschmiedet. Die Kette verbindet sie durch dicke, schwere Eisenringe, welche über dem Knöchel um das Bein geschmiedet sind. Auch sieht man einzelne Individuen, die sich Jeder mit 60 bis 100 Pfund Kette umherschleppen. Dieses Kettengerassel, die scheußlichste, bunte Tracht und die Gesichtsbildungen dieser Leute können auf die Ehre Anspruch machen, das entsetzlichste Genrebild zu sein, welches die Staatsästhetik jemals combinirte. In ihren rothen, groben Flanelljacken, die wie Säcke um den Körper schlottern, verherrlicht sich die communistische rothe Republik. Die gelben Beinkleider machen das Roth noch greller; aber daß man’s auch hier noch nicht bis zur völligen Gleichheit und Brüderlichkeit gebracht hat, beweisen die verschiedenen Farben der Kappen. Die graue Kappe ist der Orden der Verdammniß auf Lebenszeit. Der gelbe Aermel an der rothen Jacke zeigt an, daß der Träger zum zweiten Male hierher versetzt ward. Unter der gelben Kappe knirscht die stumme Verzweiflung des Mörders, unter der rothen glimmt die schwache Flamme einer mit den Jahren heller werdenden Erlösung, die freilich unter diesen demoralisirenden, den letzten Funken der Menschlichkeit erstickenden Verhältnissen sehr oft nur zum Fluche einer That wird, welche mit lebenslänglichem Bagno bestraft wird.

Die Jahre lange Unterdrückung jeder Art von Willens- und Meinungsäußerung, der sich dadurch anhäufende Giftstoff von Tücke, Rache, Wuth und Verworfenheit aller Art platzt dann endlich einmal wie eine vulkanische Eruption heraus. Um diese unter den Verbrechern selbst in der Geburt zu ersticken, sind die bewaffneten Soldaten-Compagnien, welche die Aufsicht führen, durch die stets geladenen Kanonen des dahinter liegenden Marine-Etablissements gedeckt. Außerdem gehen in jeden der vier Schlafsäle ein Paar mit Kartätschen gefüllte Kanonenaugen hinein, die mit einer einzigen Lösung die ganze Länge der Säle „fegen“ können. Die tugendhaften Leute außerhalb dieser Wände glauben auf diese Weise sicher zu sein, und wissen nicht, daß sie in derselben Atmosphäre leben, demselben Organismus angehören, der seine Krankheitsstoffe in Gefängnissen aller Art ablagert, sich aber dadurch nicht ausscheidet, sondern mit verschlimmerten Eigenschaften und in den verschiedensten Formen in ihre Atmosphäre, in ihren Organismus zurückkehrt. Viel sicherer wär’s, für die Gesundheit des ganzen Organismus zu sorgen und deshalb auch die Verbrecher außerhalb der Gefängnisse zu absorbiren und zu zwingen, sich den Bedingungen, unter welchen Staatsgesellschaften allein gesund werden und bleiben können, zu fügen.

Vom Bagno den Hügel hinauf erhebt sich das berühmte Marine-Hospital mit 26 großen Sälen, deren jeder 35 Betten enthält. Die erkrankten Seeleute genießen hier unter der Pflege von 40 barmherzigen Schwestern – Soeurs fidèles de la sagesse – größere Bequemlichkeit, als die Marine-Invaliden des Greenwich-Hospitals, auf welches England so stolz ist.

Die Regierungs-Docks sollen ungemein prächtig sein, doch werden Fremde und selbst Franzosen nur in sehr seltenen Fällen zugelassen, so daß man nichts Sicheres über deren Inneres weiß.

Um die Stadt laufen Wälle, welche zum Theil in Parks und Gärten verwandelt wurden und herrliche Spaziergänge mit schönen Aussichten auf Hafen und Meer bilden. In manchen Straßen spielen um grüne Bäume heitere Fontainen, doch ist und bleibt der Charakter der Stadt nicht heiter französisch. Sie ist arm und hängt größtentheils von den Geldern ab, welche die Regierung für Schiffsbauten, Reparaturen und Kriegsschiffausrüstungen hineinleitet. Handel und Gewerbe, die am besten gedeihen, wo die Regierung weder fördert noch fesselt, sind unbedeutend und die Verwundeten und Kranken, welche unlängst von der Krim hier gelandet wurden, trugen auch nicht dazu bei, die Stadt moralisch oder materiell zu heben.




Der Hagel.

Zu den Erscheinungen in unserer Atmosphäre, welche trotz ihres häufigeren Vorkommens noch nicht hinreichend erklärt sind, gehört auch der Hagel. Wer kennt nicht jene verschieden großen, oft aber sehr umfänglichen Eisstückchen, welche meist nach schwülen Tagen aus eigenthümlichen grauen Wolken oft unter heftigem Sturm und furchtbarsten elektrischen Erscheinungen gewaltsam zur Erde geschleudert werden, und in ihren verwüstenden Folgen namentlich der Schrecken des fleißigen Landmannes sind? Man erzählt – und Mancher wohl hat sie selbst gesehen – von Hagelsteinen von ungemeiner Größe, nicht blos Lothe, Viertel- und halbe Pfunde, sondern selbst mehrere Pfunde schwer, die weniger selbstständige gebildete Körper als vielmehr die Trümmer einer durch plötzliche Gewalt zerbrochene Eismasse zu sein scheinen; über weite Landstriche gehende Verheerungen in Flur und Feld durch Hagelwetter sind nicht gar selten. Wer auch nur einigermaßen die wechselnden Vorgänge in unserem Luftkreise beobachtet, kennt in der Regel an Gestalt und Farbe der Wolken gerade dieses drohende Unwetter; in schwüler Sommerszeit wird man häufig den Landmann die besorgten Blicke nach dem mehr und mehr sich umwölkenden, von schweren, bleifarbenen Wolken verdüsterten Himmel richten sehen.

Kennen wir sohin nur zu gut die manchmal schrecklichen Wirkungen der Hagelgewitter und zeigt uns schon das Auge, daß hierbei eine Eisbildung in dem Dunstkreise vorgegangen, indem das Wasser desselben, das bisher in der Form von Dunstbläschen oder Regentropfen in ihm vorhanden war, mehr oder weniger schnell unter dem Einflusse einer niedrigen Temperatur gefriert, – so ist uns damit doch diese niedrige Temperatur selbst im heißen Sommer, in nicht allzugroßer Höhe und ihre Entstehung noch keineswegs klar. Nehmen wir die Eiskörperchen einmal als gebildet an, so begreifen wir, daß eine Entladung zweier über einander stehender Gewitterwolken durch hörbares, vom Winde gefördertes Zusammenstürzen solcher gehäuften Eiskörperchen der obern Wolke sie als Hagel zu Boden fallen läßt, wobei sie auf ihrem Wege das Wasser der untern Wolke mit sich fortreißen, dadurch wachsen, und so, wenn die erstere Wolke hoch gestanden, auch beträchtlich dick gewesen, unten nicht selten als schwere Eismassen ankommen. Einige leiten die Entstehung des Hagels von der Kälte ab, die werde, wenn sich die Luft in jene dampferfüllten Räume ergieße, welche die zertrümmerten Dunstbläschen öffnen.

Eine andere Erklärung Blanchet’s scheint uns viel einfacher und die Bildung des Hagels hinreichend klar zu machen. Es giebt nämlich verschiedene Richtungen der Luftströme, die wir horizontale und perpendiculäre, letztere wieder aufsteigende und herabsteigende, wie sie auch A. v. Humboldt längs beobachtet hat, nennen können.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_339.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2023)