Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Von mir?“ fragte sie verwirrt. „Sie treiben einen argen Scherz mit mir. Doch, lassen Sie hören, was kann ich für Sie thun?“
„Meine Fragen unumwunden beantworten.“
„So fragen Sie!“
„Sie kommen so eben aus der Pension in Leiden?“
„Ja!“ flüsterte sie verlegen.
„Auf die Grundsätze Ihres Vaters gestützt, die Sie ohne Zweifel kennen, wage ich die Frage, ist Ihr Herz noch frei von einer Neigung zu einem Manne?“
Wie mitleidig lächelte Margarethe, während eine hohe Röthe auf ihren Wangen erschien; dann fragte sie:
„Welches Interesse können Sie dabei haben?“
„Das größte von der Welt, Margarethe! Ich finde in Ihnen die Geliebte wieder, die ich verloren, an der meine ganze Seele hängt. Fast möchte ich an ein Wunder glauben, wenn ich Ihnen in das Auge schaue, wenn ich Ihre Züge sehe und Ihre Stimme höre! Mir ist, als ob ich Sie seit lange kenne, als ob ich nie eine andere geliebt habe!“
„Das ist allerdings ein Wunder, Herr Graf! Aber Sie vergessen die Frau Marquise –“
„Ich habe nie eine wahre Zuneigung für sie[WS 1] empfunden. Ich wiederhole es, daß ich der Freundschaft ein Opfer brachte, indem ich eine Liaison mit der Marquise einging.“
„Aber, wenn nun meine Doppelgängerin wieder erschiene, wenn ein zweites Wunder geschähe und Ihnen gestattet wäre, um sie zu werben – was würde mit mir geschehen, die es gewagt hat, ihre Stelle einzunehmen?“
„Margarethe!“
„Sie verzeihen, Herr Graf, daß ich Alles reiflich erwäge, ehe ich in dieser wichtigen Sache eine entscheidende Antwort ertheile. Ich wage viel!“ fügte sie mit einem himmlischen Lächeln hinzu. „Aber Sie wagen noch mehr.“
„Sie können es wagen!“ rief George begeistert. „Indem Sie Alles vereinigen, was meine Liebe nur fordern kann, bleibt mir kein Wunsch mehr! Bei Ihnen ist ja Alles vergessen, denn ich finde in Ihnen die erste und letzte Geliebte. Erklären Sie sich nun mein sonderbares Benehmen in dem Boote? Mag es Ihnen Bürgschaft dafür sein, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Margarethe, entscheiden Sie über mein Schicksal! Gestatten Sie mir, daß ich mit Ihrem Vater sprechen darf.“
„Bravo, Herr Graf!“ rief in diesem Augenblicke die Stimme der Marquise, die hinter dem Fliederstrauche hervortrat. „Die Bäuerin paßt für den Edelmann, der seinen Rang vergißt. Werben Sie nur, der alte überspannte Schiffer wird den gräflichen Schwiegersohn nicht abweisen. Reichen Sie mir Ihren Arm, Mylord; ich bin Ihnen zu Danke verpflichtet, daß Sie mir die Augen über einen Unwürdigen geöffnet haben.“
Lord Darnley trat heran, und bot der Marquise höhnisch lächelnd den Arm. Zugleich sagte er:
„Der Herr Graf von Monlosier ist hier nicht minder an seinem Platze als in dem Schuldgefängnisse. Die niedliche Margarethe ist gut genug, um die Schulden eines Edelmannes zu bezahlen. Ah, der Herr Graf ist ein Spekulant! Vielleicht erinnert er sich des armen Dermont, wenn er die holländische Mitgift einkassirt hat!“
Die Marquise und der Lord gingen durch den Garten dem Landhause zu. Man hörte noch einige Zeit ihr lautes Lachen. George saß bleich und bestürzt neben Margarethen. Die schamlose Frechheit des Engländers hatte ihn völlig niedergeschmettert. Plötzlich fühlte er seine Hand ergriffen; als er aufsah, stand Margarethe vor ihm. In ihren Augen erglänzten Thränen, als sie mit bebender Stimme zu ihm sagte:
„Herr Graf, in einer Stunde erwarte ich Sie bei meinem Vater – ich gehe, um mit ihm Rücksprache zu nehmen. Werden Sie diese kurze Zeit das Gefühl bekämpfen können, das die erlittene Kränkung angeregt hat?“
„Sie wollen es, Margarethe?“
„Ich bitte Sie darum!“ sagte sie mit einem schmerzlichen Lächeln, und indem sie seine Hand sanft drückte.
„Wohlan, in einer Stunde sehen Sie mich bei Ihrem Vater!“
Margarethe ging dem Wohnhause zu. Einige Minuten später befand sich George in seinem Zimmer. Wir übergehen die peinliche Stunde, die er unter tausend Gedanken und Zweifeln verbrachte. Die große Uhr auf der Hausflur kündete summend die neunte Stunde an, als er die Thür der Wohnstube öffnete. Vater Termöhlen, sein Abendpfeifchen schmauchend, ging langsam auf und ab. Durch die blanken Fenster schimmerte das letzte Abendroth.
„Ich habe Sie erwartet, Herr Graf!“ sagte ernst der Greis. „Ihre Hand, und sehen Sie mir offen in das Gesicht. Was halten Sie von meiner Tochter?“
„Daß sie ein liebenswürdiges Mädchen, ein Engel ist!“ sagte George in einem Tone, der seine volle Ueberzeugung verrieth.
„Gut, wir sprechen als Männer, und darum glaube ich Ihnen. Wie stehen Sie mit der Marquise?“
„Ich habe sie nie geliebt; jetzt verachte ich das kokette Weib!“
„Auch gut! Ich habe es vorhin herausgebracht, wen meine Tochter auf dem Rohre hat. Und was glauben Sie wohl, wen?“
„Nun?“ fragte George in großer Spannung.
„Den Grafen von Montlosier! Ah, mein Bester, reißen Sie nur die Augen nicht so weit auf – mein Mädchen lügt nicht, es sagt stets die Wahrheit.“
„Vater Termöhlen!“
„Ruhig, ruhig, Herr Graf! Die Herzensangelegenheit mögen Sie mit ihr selbst besorgen; für jetzt habe ich, wie Sie mich hier sehen, noch etwas zu ordnen. Margarethe soll nicht nur einen Grafen heirathen, sie soll auch als Gräfin leben. Wieviel braucht sie wohl jährlich dazu?“
„O, mein Gott, sprechen wir doch in diesem ernsten Augenblicke nicht von Angelegenheiten – “
„Die zur Sache gehören. Es muß Alles festgestellt werden. Wenn Sie nicht fordern, so muß ich bieten. Wie Sie mich hier sehen, gebe ich meiner Tochter eine runde Summe von einer halben Million Gulden mit. Kann ein gräfliches Ehepaar davon leben? Heraus mit der Sprache! Wenn das nicht angeht, können Sie meine Tochter nicht bekommen, denn über eine größere Summe zu verfügen, ist mir nicht möglich. Element, auf einen Grafen hatte ich nicht gerechnet!“
„Margarethe ist mir lieb und werth wie ich sie bekomme! Ich liebe sie, und darin beruht mein ganzes Glück!“
„Gut, wiederholen Sie ihr das selbst! Margarethe!“ rief der Alte, indem er eine Seitenthüre öffnete. „Bist du fertig, so komm heraus, der Herr Graf ist da!“
Einen Augenblick verschwand der alte Holländer, dann erschien er wieder, seine Tochter an der Hand führend.
„Amely! Amely!“ rief George.
Das reizende Blumenmädchen in weißem Kleide und in schwarzen Locken stand vor ihm. Wie berauscht sank er zu ihren Füßen nieder und drückte ihre Hände an sein klopfendes Herz. Dann plötzlich stand er auf und starrte bestürzt die Jungfrau an.
„Großer Gott,“ flüsterte er, „ich darf wohl Margarethen, aber nicht Amely lieben! Ein gräßliches Geschick macht mich zum Verräther an dem Freunde – “
„Dem Sie leichtsinnig ein Versprechen gegeben, das Sie zu meinem Glücke nicht erfüllen können!“ flüsterte Amely. „Der Zufall machte mich zur Zeugin des letzten Gesprächs, das Sie mit dem Freunde hatten – Ich befand mich in dem Garten und war nur durch eine Hecke von Ihnen getrennt. Damals achtete ich den Mann schon, dem ich zu so hohem Danke verpflichtet war – als ich seine hochherzigen Gesinnungen kennen lernte, mußte ich ihn auch lieben. Dermont näherte sich später mir, und ich habe ihm bereits Aufklärung gegeben. Sie sind Ihres Versprechens gegen den Freund entbunden, Herr Graf. Auf den Antrag, den Sie Margarethen gestellt, antwortet Ihnen Amely.“
Sie trat ihm entgegen und reichte ihm die Hand. George zog sie sanft an seine Brust und küßte ihre weiße Stirn.
„Element, was ist denn das?“ rief Termöhlen, der bisher in stummer Verwunderung zugehört hatte. „Wovon sprecht Ihr denn? Habt Ihr Euch denn hier nicht zum ersten Male gesehen?“
Margarethe trat zu dem Greise und legte ihr glühendes Gesicht an seine Brust.
„Vater,“ flüsterte sie, „bist Du ganz zufrieden mit Deiner Tochter? Entspricht sie allen Erwartungen, die Du von mir gehegt hast?“
„Element, das will ich meinen!“ rief der Alte stolz und gerührt, indem er die Stirn des jungen Mädchens küßte. „Man möchte glauben, Du wärst eine geborene Gräfin.“
„Dann, Vater, zürne meiner Mutter nicht mehr – ihrer
Anmerkungen (Wikisource)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_323.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)