Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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der Dame, die Sie neben mir im Boote erblickten. Ist sie Ihnen bekannt?“
„Die Frau Marquise von Beaulieu – ich sah sie schon im vorigen Jahre.“
„Margarethe, die Frau hatte mich verblendet, und als ich Sie erblickte –“
„Mich?“ fragte sie zitternd.
„Ja, Sie rissen eine Wunde in meinem Herzen auf, die ich hier im Bade zu heilen hoffte."
„Mein Gott, ich bin ein Landmädchen!" stammelte sie, und eine flammende Röthe verbreitete sich über ihr ganzes Gesicht.
„Margarethe, haben Sie eine Schwester?“
„Nein!“
Der Graf ergriff ihre Hand. Er fühlte, wie sie heftig zitterte.
„Margarethe,“ fuhr er fort, „es giebt in Brüssel ein Mädchen, das Ihre Doppelgängerin sein muß, wenn nicht – Sie selbst! Erklären Sie sich nun meine Bestürzung, als ich Sie in dem Boote erblickte? Jenes Mädchen ist für mich verloren, obgleich sie mein Ideal auf dieser Welt, obgleich sie die Gottheit ist, zu der ich bete. Mein Verhältniß zu der Marquise ward durch Umstände bedingt, die ich – –“
„Margarethe, Margarethe!“ rief die Stimme des alten Termöhlen aus dem Hause.
„Verzeihung, Herr Graf, ich muß fort!“ stammelte das bestürzte Mädchen.
Sie entwand ihre Hand der seinigen, und flatterte wie ein bunter Schmetterling durch die Wege des Gartens, gehorsam dem väterlichen Befehle. Das war ein seltsames Spiel der Natur, ein Wunder, wenn beide Erscheinungen sich nicht als eine Person zeigten. Und wie war dies möglich? Wie konnte die Bäuerin mit der hochgebildeten Städterin, die den Telemaque las, identisch sein? George war es gleichviel, er fühlte, daß Margarethe im Stande war, ihm Amely zu ersetzen. Und so ward die Holländerin die gefährlichste Feindin der Marquise. Gedankenvoll blieb er auf der Bank unter dem Hollunderbusche. Nach einer halben Stunde erschien Vater Termöhlen, der an diesem Orte sein Abendpfeifchen zu rauchen pflegte. Der Holländer ließ sich ohne Umstände neben dem Grafen nieder. Es fiel George nicht schwer, das Gespräch auf Margarethen zu lenken, und Vater Termöhlen ging mit sichtlichem Wohlbehagen darauf ein.
„Ja, Herr Graf,“ sagte er, dichte Rauchwolken aus seiner Pfeife emporblasend, „das Mädchen ist meine einzige Freude auf dieser Welt. Ich habe mich tüchtig abgemüht im Leben, aber der Gedanke an mein Kind hat mir jede Arbeit versüßt.“
„Wie kommt es,“ fragte George, „daß ich sie gestern zum ersten Male gesehen, und ich wohne doch schon so lange in Ihrem Hause.“
„Das ist sehr einfach: weil Margarethe vorgestern erst angekommen ist.“
„Wie, sie war nicht immer in Scheveningen?“ fragte George in großer Spannung.
„Seit zwei Jahren befindet sie sich in einer Pension in Leiden. Jetzt ist ihre Erziehung vollendet, und sie wird nun bei mir bleiben.“
„In Leiden war Margarethe?“ wiederholte der Graf.
„Gewiß! Sie wundern sich wohl, daß ein Schiffer aus Scheveningen seiner Tochter eine städtische Erziehung geben läßt? Ach, darüber habe ich schon manchen Spott hören müssen; aber was kümmert mich die Welt? Ja, Herr Graf, wie Sie mich hier sehen, habe ich schon traurige Erfahrungen gemacht. Es giebt nach meiner Ansciht nichts Abgeschmackteres auf der Welt, als einen Menschen, der reich, aber so dumm ist, daß er nicht weiß, was er mit seinem Vermögen anfangen soll. Wer die schöne Gottesgabe nicht ordentlich anwenden kann, verdient sie auch nicht. Man sehe nur die Bauern in unserem Dorfe an: die Kerls sind fast alle steinreich, aber sie führen ein jammervolles Leben. Warum? Weil ihnen die Aufklärung fehlt. Der Sohn wird wie der Vater, der Enkel wie der Sohn, und so geht das Ding fort, während das Vermögen sich von Jahr zu Jahr mehrt. Und fällt es so einem dummen Teufel einmal ein, seinem Stolze zu folgen und in einen etwas höher gelegenen Kreis überzugreifen, so wird er geprellt wie ein Fuchs. Ich mache keinen Hehl daraus, daß ich in diesem letzten Falle gewesen bin.“
„Sie, Vater Termöhlen?“
„Ja, ich, wie Sie mich hier sehen!“ sagte der Greis, indem er den Gast mit großen Augen ansah. „Der gestrige Vorfall in meinem Boote hat mich abermals belehrt, daß meine Ansicht vom Leben die richtige ist. Der Engländer hatte zwei Ohrfeigen verdient, das ist auch so ein Bursche, der mehr Geld als Verstand besitzt. Doch lassen wir das, bleiben wir bei der Sache, das heißt bei mir. Wie Sie mich hier sehen, war ich der einzige Sohn meiner Aeltern, die mir dieses Grundstück und ein hübsches Vermögen hinterließen. Als sie starben, war ich ein reicher Mann, aber ein dummer, aufgeblasener Teufel. Da lernte ich in Amsterdam die Tochter eines bankerotten Kaufmanns kennen, sie war schön, gebildet, ich bewarb mich um ihre Hand, und sie nahm den reichen Schiffsrheder zum Manne. In der ersten Zeit ging das Ding sehr gut, und als uns der Himmel unsere Margarethe schenkte, da schien es, als ob wir ganz glücklich sein sollten. Aber nach und nach trat eine Veränderung ein, denn wir genügten einander nicht mehr. Die Frau war eine hochtrabende Dame und der Mann ein dummer Schiffsrheder, der bei jeder Gelegenheit auf seinen Geldsack klopfte. Es entstanden Mißhelligkeiten, Zank und Streit, und das Ende vom Liede war eine freiwillige Trennung, die nicht schwer werden konnte, da beide Eheleute Protestanten waren. Meine Geschiedene erhielt eine jährliche Rente und ich behielt meine Tochter. Da haben Sie die Bescheerung, mein Herr! Nun war ich klug geworden, aber zu spät. Margarethe, dachte ich, ist ein reiches Mädchen, und damit sie ihr Vermögen genießen kann, muß sie eine demselben entsprechende Bildung erhalten, dann wird ihr auch ein Mann nicht fehlen, mit dem sie glücklich lebt. So ist sie nun drei Jahre in der Pension gewesen, und sie hat alle meine Hoffnungen erfüllt. Gestern machte sie die Spazierfahrt mit, damit sie den Ton der vornehmen Gesellschaft keinen lernen sollte – mir scheint, sie hat ihn kennen gelernt, und danach mag sie sich richten. Ich bin nicht stolz, Herr Graf, aber einen reichen, aufgeblasenen Bauer kann ich nicht leiden. Dieses Jahr noch verkaufe ich meine Grundstücke und ziehe in die Stadt. Das Uebrige, hoffe ich, wird sich finden. Ja, hätte mein Vater für mich gesorgt, wie ich für mein Kind gesorgt habe, ich hätte eine zufriedene Ehe führen können.“
„Sie haben Recht,“ murmelte George, „die materiellen Mittel müssen mit der Bildung harmoniren. Es ist eben so schlimm, wenn die Verhältnisse umgekehrt sind. Der Gebildete empfindet den Mangel doppelt.“
Der Holländer hatte still vor sich hingelächelt. Plötzlich hob er den Kopf empor und flüsterte:
„Ich glaube, das Wettermädel hat schon eine Liebschaft! Wenn ich nur dahinter kommen könnte, wen sie auf dem Rohre hat. Es muß wohl so ein Herrchen sein, das sie in Leiden kennen gelernt hat. Nun, ich habe nichts dagegen, wenn er der gebildeten Klasse angehört und sonst ein anständiger Mensch ist. Aber einen Bauer oder Schiffer – daraus wird nichts! Die Freude soll meine Geschiedene nicht erleben, daß Margarethe, weil ich sie erzogen habe, eine Bäuerin bleibt. Von morgen an darf sie mir die Landkleider nicht mehr tragen! Ich will ihr gleich meinen Willen zu erkennen geben, damit sie sich darnach richten kann!“
Der sonderbare Alte stand auf und entfernte sich, ohne zu grüßen. George machte einen Spaziergang am Ufer des Meeres. Am folgenden Morgen überschlug er seine Kasse; sie war so schlecht bestellt, daß er bestürzt die Feder niederlegte. Ihm blieb nicht einmal soviel, um die Rückreise nach Brüssel zu bewerkstelligen. Was sollte er beginnen? Eine Annäherung an Henriette, die ohne Zweifel darauf gerechnet hatte, hielt er für eben so unmöglich als ein längeres Verbleiben in seiner gegenwärtigen Lage. Ein bitteres Gefühl bemächtigte sich seiner, als er bedachte, wie dringend ihm die kokette Marquise ihre Morgengabe empfohlen hatte. Sie kannte seine Abhängigkeit von ihrem Vermögen. George war der Verzweiflung nahe, als er nun noch seiner Verpflichtung gegen Dermont gedachte. Lange überlegte er, und gegen Abend hatte er einen Beschluß gefaßt, den er auf der Stelle zur Ausführung brachte. Den ersten Anlaß dazu hatte die Unterredung mit Vater Termöhlen gegeben. Er ging in den Garten zu dem Hollunderbusche, und dort traf er Margarethen, wie er gehofft hatte. Sie trug heute einfache Bauernkleider, die ihr reizend standen. Nachdem er sich zu ihr auf die Bank gesetzt, ergriff er ihre Hand.
„Margarethe,“ begann er, „ich bitte um die Erlaubniß, unser gestern angefangenes Gespräch fortzusetzen. Von Ihnen hängt das Glück meines Lebens ab.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_322.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)