Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 25. | 1855. |
„Mylord, Sie sind ein Unverschämter!“ fuhr George auf.
„Herr Graf, erinnern Sie sich, daß ich nachsichtig bin, wenn es sich um eine Wechselschuld handelt. Beleidigungen lasse ich durch meine Jockei’s rächen.“
Der Graf erbleichte vor Zorn, einen Augenblick saß er wie erstarrt auf seinem Platze, die Lippen zitterten und die Hände ballten sich krampfhaft zusammen. Dann erhob er sich und versetzte dem Lord eine laut schallende Ohrfeige.
„Auch diese?“ fragte er mit vor Wuth bebender Stimme.
„Auch diese!“ antwortete nach einer Pause der Lord. „eine englische Hetzpeitsche ist geschmeidig genug, um einen brutalen Abenteurer zu züchtigen. Die Damen werden es mir Dank wissen, daß ich sie nicht zu Zeugen einer Dressur mache. Nach dem Lande!“ befahl er dem Steuermann.
Ein peinliches Schweigen herrschte in dem Boote, das seinen Lauf nach dem Strande zurücknahm. Die Marquise verhüllte ihr Gesicht; George stand aufrecht, den Rücken der Gesellschaft zugewendet. Margarethe saß neben ihrem Vater, sie hielt ihre weiße Schürze vor die Augen und schien still zu weinen. Lord Darnley lächelte ruhig vor sich hin, und richtete von Zeit zu Zeit einige Worte an seinen Nachbar. Vater Termöhlen beeilte sich, das Land zu erreichen, das man nach einer Viertelstunde schon betrat, da der Wind günstig war. George reichte der Marquise den Arm. Zögernd nahm sie ihn an. Die Gesellschaft trennte sich nach einer kurzen und kalten Begrüßung. An der Treppe des Landhauses schied George von Henrietten.
„Wann geben Sie mir Aufklärung?“ fragte sie pikirt.
„Sobald ich kann.“
„Warum nicht neute noch?“
„Henriette, fordern Sie wirklich, daß ich mich gegen Sie vertheidige?“
„Das wäre zu viel! Denken Sie zunächst an den Lord, er hat Ihnen mit seinen Jockei’s gedroht. Sorgen Sie dafür, daß ich nicht compromittirt werde.“
„Das heißt?“
„Reisen Sie nicht ab, ohne ein Rendez-vous mit dem Lord gehabt zu haben.“
Sie grüßte und verschwand in dem Hause. George ging nachdenkend seiner Wohnung zu. Er erwartete, daß ihm der Lord eine Herausforderung zum Duelle senden würde, es war ihm lieb, sein Leben den Chancen eines Zweikampfs auszusetzen. „Das also war die Liebe der Marquise!“ dachte er. „Aus Eitelkeit will sie mir angehören, und nicht aus Neigung. Ihr Stolz ist gekränkt durch diesen Auftritt – Dermont, ich kann das Opfer nicht bringen, es ist zu groß!“
Denselben Abend noch schrieb er einen langen Brief an den Freund in Brüssel, worin er ihm ein anderes Arrangement der Schuldangelegenheit vorschlug, als das ursprünglich projektirte durch die Heirath mit der Marquise. Den folgenden Tag verbrachte er in seinem Zimmer, aber es kam kein Bote von dem Lord. Und was hatte er im Grunde genommen dabei verloren? Der Engländer hatte auf der Stelle seinen Lohn für die Verhöhnung empfangen – wollte er die Schmach der empfangenen Ohrfeige ungerächt lassen, so blieb dies seinem eigenen Urtheile unterstellt. Die Aehnlichkeit Margarethen’s mit Amely, die er so großmüthig dem Freunde abgetreten, lag ihm jetzt mehr am Herzen, als der im Boote stattgehabte Auftritt und seine Folgen. Gegen Abend besuchte er zum ersten Male den Garten hinter dem Hause. Seine Hoffnung, Margarethen zu sehen, sollte in Erfüllung gehen, denn er traf sie auf einer von Hollunder überhangenen Bank. Wie gestern, trug sie auch heute die reiche holländische Kleidung. Sie war beschäftigt, die Namen von Blumen auf kleine Täfelchen zu schreiben.
Als George herantrat und sie grüßte, fuhr sie erschreckt zusammen. Aber auch der junge Mann erzitterte, als er in das wunderliebliche Gesicht sah, das Zug für Zug Amely anzugehören schien. Es fehlten nur die schwarzen Locken, um das Bild des reizenden Blumenmädchens zu vervollständigen. Schüchtern blieb sie neben dem Tische stehen und erwartete seine Anrede.
„Margarethe,“ begann George, „Sie waren gestern Zeugin eines Scene, die ich Ihretwegen wünschte, daß sie nicht vorgefallen wäre.“
„Meinetwegen?“ flüsterte sie, indem sie das Auge aufschlug.
George war seiner kaum noch mächtig, denn derselbe Blick war ihm jetzt begegnet, der einst aus Amely’s Auge tief in sein Herz gedrungen war. Mit übermenschlicher Anstrengung erhielt er seine Fassung aufrecht.
„Ja, Ihretwegen,“ fuhr er mit bewegter Stimme fort, „denn die Beleidigungen des übermüthigen Engländers trafen auch zum Theil Sie. Verzeihen Sie, daß ich meiner so wenig Herr war, um Sie vor dem Ausbruche jener stolzen, vornehmen Leute zu wahren.“
„Herr Graf, ich bin der Ansicht meines Vaters, “ antwortete sie leise. „Es giebt Dinge, die ein Kluger nicht bemerkt.“
„O, Ihr Vater hat Recht! Es giebt aber auch wieder Dinge, die ein Kluger scharf in’s Auge faßt. Dazu rechne ich das Benehmen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_321.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)