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Seite:Die Gartenlaube (1855) 308.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

sondern auch vom April 1855 in London kennt, gewinnt diese Erinnerung an jenen Abend vor acht Jahren im St. Jamestheater ein Interesse historischer und psychologischer Curiosität. Was dachte und fühlte er damals als er von Unten den kalten, verächtlichen Blick hinauf warf? Man kann sich denken, welche finstere Schatten von Rache damals durch seine Phantasie, seine Pläne fuhren, als er sich zum Gegenstande allgemeinen Hohnes verwandelt sah, spöttisch belächelt von dem, dessen Thron er einnimmt, und von der Königin des Landes, wo er als Exilirter persönlichen Schutz genoß, die ihm nun nach kaum acht Jahren mit dem größten Pompe als Kaiser empfing und im Windsorschlosse vor ihm niederkniete, um den höchsten Orden des Landes, das Privilegium der Hocharistokratie, um sein Knie zu schlingen. Jetzt gewinnt der Verlachte vom Juni 1847, der arme Chambregarnist von Kingstreet in London für jene Situation eine ganz andere Beleuchtung.

Am April 1855 bezahlten die Herrschaften, die ihn damals im St. Jamestheater auslachten, 1000 Thaler und mehr für einen Platz, blos um denselben Napoleon neben demselben Hofe von England im Theater zu sehen.

Niemand täuscht sich so sehr in dem Charakter ungewöhnlicher Individualitäten als die officiellen Weisen im Lande. Da solche Weise, besonders wenn sie Staatsmänner sind, jede Fähigkeit verloren haben, sich in’s Romantische, Abenteuerliche und polizeilich Unerlaubte nur hinein zu denken, erscheint ihnen Jeder strafbar oder mindestens lächerlich, der eine Ader für’s Abenteuerliche, Ungewöhnliche hat und verurtheilen ihn zum Irren-, wenn nicht zum Zuchthause. Gegen solche Verurtheilung giebt’s keine Appellation, und die gedankenlose Masse stimmt ein und ruft Bravo. Aber diese Verdammniß in höchster Instanz kehrt sich mit allen Begriffen von Recht, Gesetz, Moral, Ehre u. s. w. um, wenn der Erfolg und das Interesse für die Lächerlichkeit, das Abenteuer, den Staatsstreich u. s. w. und gegen dessen Verurtheilung appelliren.

Wir können uns jetzt kaum ausmalen, mit welcher moralischen und staatssittlichen Entrüstung, mit welcher pharisäischen Verachtung, mit welch’ allgemeinem Hohne damals Napoleon behandelt ward, noch viel weniger die beinahe göttliche Verehrung, welche England zu den Füßen des Kaisers brachte, als sein Erfolg und seine Stellung diese Verehrung und Abgötterei als Interesse Englands erscheinen ließ. Zufall, Umstände, Schicksal, Glück, d. h. am Ende doch abenteuerliche, romantische, rücksichtslose Willenskraft und Ausdauer in Verfolgung eines unerreichbar erscheinenden Zieles, haben die damaligen Spötter und Kreuziger Napoleon’s Lügen gestraft. Napoleon hat außerdem seine damalige Prophezeihung, daß er sich und daß er Waterloo an England rächen werde, auf die kühnste und effectvollste Weise erfüllt. Der Glanzpunkt dieser Verwirklichung und Erfüllung fiel in die königliche Loge der italienischen Oper, als Napoleon, umstrahlt von dem höchsten Pompe des englischen Hofes und der Hocharistokratie, die historische, weltberühmte Uniform seines Onkels, die jetzt in der französischen Armee nicht mehr getragene Uniform der Chasseurs de la Garde, dieselbe Uniform, die sein Onkel bei Waterloo trug, auf seinem Körper der anbetenden Macht und Herrlichkeit Englands entgegen hielt, ein Umstand, den die freie englische Presse durchweg verschwieg oder durch falsche Angaben bemäntelte. Sein Triumphzug im April führte vor der Straße vorbei, in der er einst wohnte, vor den Club-Palästen, in welchen er einst verhöhnt ward, und manche Gesichter von damals drängten sich jetzt an den Fenstern und schwangen Taschentücher und Fahnen, die in tausendfacher Fülle oben in den Straßen wehten. Fenster und Dächer, Straßen und Laternenpfähle, Omnibus und Droschken, Alles war mit anbetender, jauchzender Masse freien Englands überfüllt. Es bezahlte theuer für seinen Hohn, theuer für seinen Wellington- und Waterloostolz, theuer für die Verläugnung seiner mit 5600 Millionen Thalern Kriegsschulden bezahlten historischen Schlachtenehre, theuer für Elba, Helena, Waterloo und die spätere Palmerston’sche Freiheits-Politik, womit England sich und Europa belog und betrog. Und es scheint als sollten diese Zahlungen noch lange nicht eingestellt werden.

Es versteht sich von selbst, daß in dieser Mittheilung Napoleon weder vom moralischen, noch politischen Standpunkte in Betracht gezogen werden sollte, sondern Napoleon blos als Lection, als Consequenz, als Epigramm auf die noch nicht geschriebene Geschichte der letzten vierzig Friedensjahre.


An unsere Freunde!

Das letzte Bändchen meiner Schriften ist erschienen und bereits ausgegeben. Ich kann nicht umhin, beim Abschiede für die ungemein zahlreiche Theilnahme, die dieser Sammlung geworden, den innigsten Dank auszusprechen. Nichts gleicht dem wohlthuenden Gefühle, als wenn ein dichtend Gemüth, das einen reichen Theil seines innern Lebens veröffentlicht dahin gegeben, gewahrt, wie das mit Liebe Gegebene auch mit Liebe hingenommen wird. Und so ist es.

So möge denn diese Sammlung dazu beitragen, im stillen Familienkreise mancher Stunde der Belehrung, der ernsten Erhebung, der innigen Gemüthlichkeit, so wie der unschuldvollen Heiterkeit eine freundliche Einkehr zu bereiten.

Wo aber Gott seinen Segen gegeben, da sollen wir – so lehrt der liebevollste aller Lehrer – dankbar sein und vor Allem in Liebe auch des vom Glück weniger heimgesuchten Bruders gedenken.

Dieser himmlischen Pflicht will ich genügen und so vernehmet denn die Worte meines Herzens.

Tief im thüringer Walde, wo die altergrauen Buchen ihr waldgrünes Dach bauen, entfernt der großen Welt und ihren lärmenden Freuden, wohnt ein treues Herz, reich begabt mit himmlischem Gold und Perlen – denn die Treue, die Redlichkeit und die Gabe der Dichtkunst wohnen in ihm – ; aber arm an dem, was man irdisch Gut und Glück nennt.

Während die Gaben seines reichen und edlen Geistes, die Regenbogenfarben seiner Phantasie, die lieblichen Klänge seiner Laute tausend und abertausend Herzen entzücken, während die verschiedenen Auflagen seiner Romane, seinem Verleger reichen Gewinn abgeworfen, sitzt bei dem Sänger oft die Sorge am Tische, und schaut die Zukunft dunkel und drohend durch die Fenster, denn das Haupt des Sängers beginnt zu bleichen.

Arglos, vertrauend wie ein Kind, ward nur zu oft sein schönes Talent die Beute fremden Eigennutzes. So ist der, der so Vielen Viel gegeben, selber arm geblieben. Und mehr als arm. So vernehmt denn. Kein Ton der Freude oder des Schmerzes schlägt beglückend oder bewegend an die Seele dieses armen Freundes. Schon lange, lange nicht mehr. Nur mühsam, wie aus weiter Ferne drängt sich der umflorte Schall der Außenwelt matt in sein Inneres. Kein erfreuender Gesang, keine holdselige Melodie, kein Bachgeriesel, kein heiliges Waldesrauschen, kein Regentropfen, der in der Sommernacht befruchtend auf die Blüthen fällt, schlägt an das geschlossene Ohr unsers Sängers im thüringer Walde – und sein Haupt beginnt zu bleichen.

Aber Ihr fragt theilnahmsvoll verwundert: Wer ist dieses treue Herz, dieser edle Mann, dieser theure Sänger?

Und ich antworte: Dieser Mann, in dessen Adern kein falscher Blutstropfen rinnt; der nie das Gold der Dichtkunst zu schnödem Götzendienste gemißbraucht, dieser treu bewährte, ehrenfeste deutsche Dichter heißt:

Wie mancher ist nicht unter Euch, der nicht von den herrlichen Blüthen seiner Muse, z. B. dem Freiknecht, dem deutschen Leineweber gehört oder sich daran erquickt hätte.

Der Verleger der gegenwärtigen Sammlung, Freund Keil in Leipzig, der so gern allem unverschuldeten Unglück die schmerzlindernde Hand reichen möchte, bat daher, um den Abend des armen Sängers im thüringer Wald weniger sorgenschwer zu machen, eine Auswahl seiner Schriften ganz in gleichem Formate und demselben ungemein billigen Preis, wie die Ausgabe meiner Schriften, veranstaltet und wird keine Mühe scheuen, ihr die möglichste Verbreitung zu verschaffen und zwar mit der edelsten Uneigennützigkeit, so daß der ungeschmälerte Reinertrag dem wackern Verfasser zu Gute kömmt.

Ich bin überzeugt, daß nach dieser Mittheilung gewiß mancher Freund meiner Muse sich veranlaßt finden wird, zu dem uneigennützigen Unternehmen des Verlegers die hülfreiche Hand zu reichen und in seiner Familie neben dem gemüthlichen Ferdinand Stolle den edlen Ludwig Storch einführen, und sich somit zugleich das süße Bewußtsein zu kaufen, den Abend eines der edelsten Menschen, eines der begabtesten deutschen Dichter, eines der hartgeprüftesten deutschen Männer verschönern zu helfen, des treuen Sängers im thüringer Walde.

Möge Gott Eure Herzen leiten und diesen meinen Worten Segen geben.

Grimma, im Frühling 1855.
Ferdinand Stolle. 

Ich habe den herzlichen Einführungsworten meines Freundes Stolle nur wenig Worte beizufügen. Der Name Storch hat als Novellist und Mensch einen zu guten Klang durch ganz Deutschland, als daß ich noch Etwas zu seiner Empfehlung hinzufügen könnte. Wo sein Vörwerts-Häns, sein Freiknecht, sein deutscher Leineweber, seine duftigen thüringer Geschichten gelesen, wo seine kräftigen, echt deutschen Lieder gesungen wurden; überall hat er sich Freunde in Masse erworben. Wenige aber kennen sein treues Gemüth, seine durch und durch edle Kernnatur, sein biederes ungefälschtes Herz. Ihr könnt es glauben – Er ist Eurer vollen und ungetheilten Liebe werth! Beweist diese nun dadurch, daß Ihr seine Schriften kauft, die, ganz abgesehen von ihrem literarischen und poetischen Genusse, den sie Euch bereiten werden, dem greisen Storch die Mittel an die Hand geben, seine letzten Tage ruhig und ohne Sorge zu verleben. Ihr werdet mir’s danken. Denn seine erzählenden Schriften gehören anerkannt zu den besten, die die deutsche Sprache bietet, sie sind eben so edel wie poetisch-wahr geschrieben und ragen weit über die gewöhnlichen Romanprodukte der letzten Jahre hinaus.

Die ganze Sammlung soll 16–18 Bändchen à 71/2 Ngr. umfassen und Storch’s beste Novellen und größere Romane enthalten, die sich besondeers für Volk und Familie eigenen. Der ganze volle Ertrag bleibt allein dem Verfasser.

Möge die Theilnahme eine recht große sein. Mit diesem Wunsche grüße ich Alle, die es gut mit guten Menschen meinen.

Leipzig, im Wonnemonat 1855.
Ernst Keil. 
Zu Bestellungen bitten wir den beiliegenden Zettel zu benutzen.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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