Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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- der erforderlichen Geldmittel zu setzen suchen, deren sie zum Aufschwunge ihrer Geschäfte nicht entrathen können.
Sie unterscheiden sich dabei wesentlich von gewissen Bestrebungen auf diesem Felde, welche das Wohl der arbeitenden Klassen ebenfalls an der Stirn tragen, im Grunde aber weiter Nichts thun, als unter irgend einer Form Almosen aufbringen und auf gut Glück hier und da ein Körnlein davon auf den dürren Boden verstreuen. Ebenso wenig stimmen sie in das Geschrei nach Staatshülfe ein, das man von so vielen Seiten hört und welches im Grunde auf dasselbe hinaus läuft, da der Staat nichts Anderes ist, als die Gesammtheit der Steuerpflichtigen und keiner Klasse Etwas geben kann, ohne es den andern zu nehmen. Vielmehr halten unsere Vereine als obersten Grundsatz fest:
- daß alle solche dem wirthschaftlichen Gebiet angehörigen Unternehmungen lediglich und allein auf die eigene Kraft der Betheiligten gegründet sein müssen, und niemals von der Gnade Dritter, von fremdem, guten Willen abhängen dürfen, weil ihnen sonst die ächte Lebensfähigkeit gebricht.
Gewiß ist diese Grundlage auch die einzige gesunde, probehaltige, und im Gegentheil Nichts so geeignet, die Leute zu entsittlichen, ihre Thatkraft zu lähmen und sie dem völligen Ruin entgegenzuführen, als wenn man sie systematisch an die Vorstellung gewöhnt, daß sie ohne Almosen nicht bestehen können. Ueberdem ist es eben so gemeingefährlich, die zahlreichste, physisch kräftigste Klasse an die Unterstützung ihrer bemittelten Mitbürger zu verweisen, als die Durchführung einer solchen Unterstützung Seitens der letzten auf die Länge unausführbar wird. Wenn doch lieber Alle, welche den Trieb, zu helfen, in sich spüren, sich die Aufgabe stellten, die Arbeiter, die in ihnen selbst liegenden Hülfsmittel richtig erkennen und anwenden zu lehren, gewiß, es würde mit dem vielen guten Willen, mit den vielfach zersplitterten Kräften und Mitteln auf dem großen noch so wenig angebauten Gebiete bei weitem mehr geleistet werden.
Hiernach ist die Selbsthülfe der Grundstein, auf welchen unsere Vereine ihre Wirksamkeit stützen, und es kam nur darauf an, die geeignete Form zu finden, in welcher dieselbe der gestellten Aufgabe gewachsen war. Ohne hier auf eine nähere Erörterung des wechselseitigen Verhältnisses zwischen Arbeit und Kapital in der Volkswirtschaft einzugehen, steht für uns doch Folgendes fest. Auch der völlig Mittellose repräsentirt immer noch einen wirthschaftlichen Werth in der Gesellschaft, seine Arbeitskraft. Nun gilt aber im gewöhnlichen Verkehr die Arbeitskraft des Einzelnen nicht als genügende Sicherheit für die Kapitalanlage, weil sie vielen Zufälligkeiten ausgesetzt ist und den Erfolg zu wenig in ihrer Gewalt hat. Deshalb versagt sich ihr der Kredit entweder völlig oder wird ihr nur unter so lästigen Bedingungen zu Theil, daß die dadurch zu erzielenden Vortheile fast ganz aufgewogen werden. Allein dies ändert sich, sobald sich die Arbeitskraft vereint. Sobald hier eine größere Gesammtheit von Arbeitern durch Uebernahme der solidarischen Verbindlichkeit die Zufälle und das Mißlingen, welchen der Einzelne ausgesetzt ist, überträgt, und die wechselseitige Garantie Aller für einander übernimmt, hebt sich der Grund, welcher dem Kredit entgegenstand und die erforderliche Sicherheit für den Gläubiger ist vorhanden. Somit hätten wir in der Solidarität (gemeinsame Verpflichtung) die Form festzuhalten, in welcher die unbemitteltern Handwerker, bei Beschaffung der erforderlichen Kapitalmittel, sich selbst zu helfen vermögen. Durch ihren Zusammenschluß, durch das Einstehen Aller für Einen und Einer für Alle, werden sie in finanzieller Hinsicht eine Macht, vermögen sie über Mittel zu gebieten und einander Summen zu Gebote zu stellen, welche sich jedem Einzelnen von ihnen sonst hartnäckig entzogen.
Nach diesen allgemeinen Andeutungen über den Charakter der fraglichen Vereine, werde ich nun auf die Einrichtungen und Erfolge einiger der Hauptsächlichsten im Einzelnen eingehen. Doch möge zuvor noch eine Verwahrung hier ihren Platz finden, wenn nämlich dieselben im Vorstehenden mit der großen Frage, welche gegenwärtig die industrielle Welt bewegt, in Beziehung gebracht wurden, so ist man doch seitens der Gründer und Theilnehmer weit von der Ueberhebung entfernt, deren Lösung etwa darin finden zu wollen. Kein Handwerker wird durch den bloßen Beitritt dazu zum Fabrikanten, das bildet sich Niemand ein. Aber, wie der Verfall des Kleingewerbes kein plötzlicher ist, sondern nur allmälig und fast unmerklich sich vollzieht, so ist es auch weder nothwendig, noch möglich, daß das Einlenken in die neuen Gewerbsbahnen mit einem Male vor sich gehe. Vielmehr kann hier ebenfalls nur ein allmäliger Uebergang mit verschiedenen Entwicklungsstufen Statt finden. Und wenn die Vereine, um die es sich handelt, nicht mehr thäten, als die ersten Einleitungen dazu zu treffen, wie sich dies durch Anknüpfen an das Bestehende am Füglichsten will thun lassen, so wären sie doch immer ein nützliches Glied in der großen Kette fortlaufender Entwicklung. Sicher befinden sie sich selbst nur noch in den ersten Anfängen, und sind der Vervollkommnung nach vielen Seiten hin fähig. Und wenn demungeachtet sie schon jetzt ganz unleugbar den Betheiligten wesentliche, bei der schweren Zeit doppelt werthvolle Vortheile bieten, so dienen sie auch außerdem dazu, ihrem Blick das eigentliche Ziel der ganzen Bewegung klarer vor das Auge zu bringen. Das aber sollte sie mindestens vor dem Absprechen derjenigen Klasse von Leuten schützen, welche überall mit dem Ende anfangen wollen, und jeden Ausgangspunkt verschmähen, der nicht mit einem Schritte zum Ziele unbedingter Vollkommenheit führt.
Der Engländer ist ein praktischer Mann. Er giebt sich deshalb ungern mit Dingen ab, die nicht unmittelbar nützlich sind, d. h. Geld bringen oder „machen.“ Thomson, der die Jahreszeiten besang, Shakespeare, der von der volksthümlichen englischen Kunst, fette Ochsen zu schlachten, zu der Poesie überging, und alle dergleichen Leute gehören der Vergangenheit an, und wenn in London ein Shakespear’sches Stück gegeben wird, ist das Theater leer. Der Engländer hat keinen Sinn, kein Talent, keinen Geschmack für schöne Künste; was er davon eben braucht, bezieht er Alles aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Nur in den niedern und niedrigsten Klassen hat sich der Sinn für schöne Darstellung bestimmter Ideen und Gefühle lebendig erhalten. Und so steht hier das Talent, durch Erregung christlichen Mitleidens in künstlerischer Form Vorübergehenden etwas kleines Geld abzunehmen, unter den schönen Künsten obenan. Man thut, als wolle man ein Schächtelchen Schwefelhölzer, Apfelsinen, Gutta-Percha-Eidechsen, Spinnen von Draht, Streichschwamm verkaufen, man macht besonders oft Musik, man singt Choräle auf der Straße, man tanzt, spielt Theater, singt aus Onkel Tom’s Liederbuch, schreibt mit Füßen, geht auf Händen und giebt sonst auf tausenderlei Weise jener unmittelbarsten und volksthümlichsten Kunst des Bettelns eine künstlerische Form. Das heißt hier nicht mehr Betteln. Künstler und Künstlerinnen machen die Geldmacher, die vorbeigehen und zusehen, durch ihre Leistungen zu Schuldnern, von denen sich viele durch einen halben oder einen ganzen Penny abfinden und das Uebrige schuldig bleiben. Die Masse dieser Künstler und die Menge ihrer Leistungen auf den Straßen verdienten von einer künstlerischen Meisterhand gezeichnet und von einem Walter Scott der Gegenwart geschildert zu werden.
Wir beschränken uns hier auf Skizzirung des einen Volksfestes, in welchem die künstlerischen Talente der untern Klassen, besonders der Schornsteinfeger, in ganzer Pracht und Fülle hervortreten und den sonst ewig geschäftsernsten Straßen ein heiteres, farbenbuntes Ansehen geben, am ersten Mai. Weshalb sich besonders die Schornsteinfeger berufen fühlten, den Mai volksfestlich zu begrüßen, weshalb sie die höhere Tanzkunst auf das Straßenpflaster bringen, und lange, breite Pritschen tragen und sich in Kleidung und Benehmen so närrisch zeigen, da es doch blos gilt, so
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_299.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2023)