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Seite:Die Gartenlaube (1855) 292.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

vertauschte, wie er auch nie den Pflug, der ihm und seiner Familie den Lebensunterhalt gab, mit irgend einer anderen Handthierung wechselte. Von Weimar ging er an den Fürstenhof nach Schlackenwerthe in Böhmen und später an den churfürstlichen Hof nach Dresden, wo Churfürst August durch seinen Lehrer, den berühmten Rivius, eingeweiht in die Sprachkunde des Morgenlandes, ihn mit vielen Gunstbezeugungen empfing und sich von ihm unter Anderem auch ein Buch schreiben ließ, welches die Schriftzeichen von dritthalbhundert verschiedenen Sprachen und Schriften enthielt.

Ein seltenes Bild; drei gekrönte Häupter in lehrreichem Gespräch mit einem schlichten Bauer, diesen Bauer zur Seite der Fürsten, die umgeben von zahlreichem, glänzendem Hofstaate den Worten des Landmanns lauschen, Purpurmantel und Bauernkittel sich begegnend auf gleichem Weg, in gleichem Streben!

Doch wir vermögen nicht in dem engen Rahmen unseres Bildes all’ die Momente eines so reichen Lebens aufzunehmen und wollen die Skizze hier schließen. Freilich liegen drei Jahrhunderte zwischen unserer und der Zeit, in welcher der gelehrte Bauer Nicolaus Schmidt-Künzel lebte und wirkte, aber wir wissen nicht warum wir nicht das Bild des Mannes wieder in der Erinnerung auffrischen sollten, der einst eine so würdige Stelle in der Gelehrtenwelt eingenommen. Wenn den französischen Dichter Jasmin die goldene Sonne der Provence, ihr tiefblauer Himmel und die von Meereswind rauschenden Olivenbäume begeistern und zum Dichter konnten werden lassen, wenn dem walliser Landmann Wohlhabenheit und die so unendlich seit jener Zeit vorgeschrittene Bildung unseres Jahrhunderts gestatteten sich das tiefere Verständniß der beiden berühmtesten classischen Sprachen zu erwerben – so war es bei dem deutschen Bauer der unserer Nation eigene Forschungs- und Wissenstrieb, von der Natur tief in seine Brust gepflanzt, der ihm die köstlichsten Schätze der Wissenschaft finden ließ, der harten Erdscholle mühsam seine Nahrung abgewinnend, von den Fürstenhöfen, wo er geehrt, von den gelehrten Zusammenkünften, wo er geglänzt, immer wieder in sein heimatliches Dorf zurückkehrend und frei von Eitelkeit und Geldgier sein Wissen nur aus Liebe zur Wissenschaft immer und immer vermehrend - das war das Leben dieses deutschen Bauers.

Verdient er es nicht neben dem Franzosen und dem Engländer genannt zu werden, vielleicht weil der Prophet im eigenen Vaterlande am Wenigsten gilt?

K. W. 




Blätter und Blüthen.
Aus dem Skizzenbuche eines sächsischen Auswanderers.
2. Was ein Jäger erzählt.[1]

Als ich im Herbst 1854 auf dem Dampfschiff „Stern des Westens“ einen großen Theil des Missisippi befuhr, das sehr häufig an den Ufern anlegt, um Reisende auszusetzen und einzunehmen, wurde ich mit einem Ansiedler aus Texas bekannt, der gleich mir mehrere Tage auf dem Dampfer blieb, und seinen Erzählungen nach einer der größten Jäger sein mußte. Er sprach sehr gern und sehr oft von seinen Abenteuern, vorzüglich, wenn er einige Gläser steifen Grogs getrunken hatte. Namentlich erinnere ich mich einer seiner Jagdgeschichten, die er an einem Abende drei Gruppen von Reisenden nach einander in folgender Weise erzählte:

„Ich befand mich zum Besuch bei einem Freunde. Sie alle wissen, daß wir Pflanzer sehr passionirte Jäger sind und werden sich also nicht wundern, daß wir, mein Freund und ich, den ganzen Tag mit den Büchsen umherliefen. Eines Morgens war ich allein ausgegangen, schlenderte an dem Saume einer Waldes hin und stieß auf eine Herde Pekaris. Damals kannte ich den boshaften, rachsüchtigen, niederträchtigen Charakter dieser verfluchten wilden Schweine noch nicht, welche in Texas heute noch häufig hier und da eine wahre Landplage sind. Ich schoß also unkluger Weise nach Einem und es blieb auf dem Flecke liegen. Sogleich stürzten die übrigen mit ihren scharfen Hauern auf mich zu und wollten über mich herfallen. Da ich keine Zeit hatte, mein Gewehr wieder zu laden, so drehete ich es um und schlug mit dem Kolben unter meine Feinde, aber sie haben so dicke Schädel, daß meine kräftigsten Hiebe nichts ausrichten und ich wirklich schlimm in das Gedränge kam. Zum Glück stand ein Baum ganz in der Nähe, der einen Ast ziemlich tief über mir ausstreckte. Als ich mich nicht anders mehr zu retten wußte, sprang ich empor, faßte glücklich den Ast und zog mich auf denselben mit beiden Händen hinauf.

„Vor der Hand war ich freilich in Sicherheit, aber mein Sitz da oben ein höchst unbequemer. Es verging eine Stunde, es vergingen zwei, drei Stunden, keine Hülfe zeigte sich, und meine böswilligen Feinde schienen mich auf dem Baume belagern zu wollen, denn sie wichen und wankten nicht von der Stelle. Da fuhr mir endlich ein Gedanke durch den Kopf; „vielleicht sucht mich mein Freund,“ sagte ich mir; „wenn ich einmal schieße, wird er hören, wo ich bin und zu meiner Befreiung herbeikommen. Wenn ich aber so Nothschüsse abfeuere,“ dachte ich weiter bei mir, „könnte ich ja mein Pulver zugleich in anderer Weise gut anwenden, nämlich eins oder das andere der fanatischen Schweine niederstrecken.“ Gedacht, gethan. Ich lud meine Büchse, und das stärkste der Pekaris wälzte sich gleich darauf in seinem Blute unter dem Baume. Hat man einmal einen guten Gedanken gehabt, so folgen ihm bald andere. „Ich habe zwanzig Kugeln bei mir,“ sagte ich mir, „und lebendig sind nur noch neunzehn Bestien. Nichts leichter als sie alle neunzehn zu erlegen.“ So lud ich denn und schoß, und bei jedem Siege rief ich ein lautes Hurrah. Dieses fortwährende Knallen rief denn wirklich meinen Freund herbei, und er erschien vor mir in dem Augenblicke, als das letzte Schwein unter meiner Kugel gefallen war. Sie können sich vorstellen, wie er staunte, als er sah, welches Blutbad ich angerichtet hatte.“

Nach einer Viertelstunde erzählte mein Texaner einer andern Gruppe sein Abenteuer mit den Pekaris ebenfalls; zu meiner Verwunderung aber in folgender Weise:

„Auf dem Baume saß ich. Eine Stunde verging, es vergingen zwei, drei Stunden, keine Hülfe zeigte sich; meine Kräfte waren erschöpft und mein Muth fast gebrochen. – Ich suchte mich bequemer zu setzen, verlor aber das Gleichgewicht und fiel. Zum Glück ließ ich geschwind mein Gewehr los und konnte mit der rechten Hand noch einen Ast des Baumes fassen. Da hing ich nun und, wie gesagt, ich war so erschöpft, daß ich mich nicht hinaufzuziehen vermochte. Meine Füße waren vielleicht sechs Fuß von dem Boden entfernt, und wenn der Dahängende ich nicht selbst gewesen wäre, würde ich laut aufgelacht haben über die häßlichen Pekaris, die sich komische genug ausnahmen, denn sie standen rund um meine baumelnden Beine herum und versuchten empor zu springen, sie zu fassen. Zum Glück blieben alle ihre Bemühungen vergeblich, und ich hielt mich für gerettet, wenigstens in so weit, daß sie mich nicht fassen konnten, aber – wer kann sagen, wie weit der Instinkt der Thiere geht? Sie glauben wahrscheinlich nicht, was ich Ihnen erzählen will, aber, so wahr ich ein ehrlicher Texaner bin, es ist buchstäblich wahr. Einige der Pekaris legten sich platt auf den Bauch; auf den Rücken der Daliegenden stieg das größte der häßlichen Schweine, stellte sich auf die Hinterbeine und schnappte nach meinen da baumelnden Füßen. Es faßte den Absatz meines rechten Stiefels, und ich stieß nun aus Leibeskräften mit dem linken, aber ich wäre doch gewiß verloren gewesen, wenn mein Gegner auf dem Rücken der Seinigen einen festern Stand gehabt hätte. Die unter ihm Liegenden erhoben sich quiekend und grunzend, drängten sich hinweg, und mein entsetzlicher Feind – denken Sie sich! – blieb mit den Hauern an meinem Stiefelabsatz ebenfalls in der Luft hängen. Die Last, die ich zu tragen hatte, war für mein Bein zu groß; ich schwitzte Blut; denn ich sah den Augenblick schon vor mir, in dem ich den Ast würde loslassen und mich meinen Feinden übergeben müssen. Da fiel plötzlich ein Schuß; ich erschrak, ließ los und fiel auf das Pekari hinunter. Gott sei Dank, es war todt. Mein Freund war noch zu rechter Zeit gekommen und hatte das da Hängende erlegt. Blitzschnell griff ich nach meiner daliegenden Büchse; wir schossen beide unter die Heerde und errangen bald einen vollständigen Sieg über die Feinde. Fünfundzwanzig Pekaris blieben auf dem Platze.“

Einem Kentuckier, der später auf das Schiff kam, wo mein Texaner Jagdfabeln zu erzählen versuchte, theilte er sein Abenteuer mit den Pekaris in folgender Weise mit, um den Aufschneider durch Wahrheitsliebe zu beschämen:

„Es verging eine Stunde, zwei, drei Stunden vergingen und keine Hülfe erschien. Ich fühlte, daß meine Kräfte abnahmen. – Ich hätte wohl versuchen können, die Pekaris zu erlegen, aber ich hatte meine Büchse wegwerfen müssen als ich den Baum erkletterte. Was war zu thun? Ich wollte mich der Verzweiflung überlassen, mitten unter die Belagerer springen und mich durchzuschlagen versuchen, als plötzlich mein Freund vor mir erschien. Sobald er erkannte, in welcher peinlichen Lage ich war, legte er, ohne an die eigene Gefahr zu denken, auf das größte der Pekaris an, drückte ab und streckte es nieder. Alsbald kehrte sich die ganze Heerde unter dem schauerlichsten Grunzen gegen ihn. Der Trieb der Selbsterhaltung veranlasste meinen Freund, mein Beispiel nachzuahmen; er kletterte nämlich auf den ersten besten Baum. Während nun die Pekaris unter dem Baume lauernd standen, auf den mein Freund sich geflüchtet hatte, kletterte ich vorsichtig von dem meinigen herunter, nahm meine Büchse, lud sie und streckte Eines der Pekaris nieder. Natürlich stürzten sich alle Uebrigen sofort nach mir, ich aber schwang mich rasch wie ein Eichhörnchen wieder auf meinen Ast. Mein Freund kletterte nun von seinem Baume, nahm seine Büchse, schoß einen Feind nieder und flüchtete zurück auf den Baum. Ich stieg wieder herunter, lud, streckte noch ein Pekari nieder, wurde wieder verfolgt, gelangte aber von Neuem glücklich auf den Baum. Warum sollte ich Ihnen die Sache weiter ausmalen, die so einfach ist; genug, das Manöver wurde sowohl von mir, als von meinem Freunde funfzehn Mal wiederholt; denn die dummen Thiere liefen jedes Mal nach dem hin, welcher zuletzt geschossen hatte. Als alle gefallen waren, zählten wir: es lagen richtig funfzehn an meinem und funfzehn an dem Baume meines Freundes.“


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
  1. Laut Register: Teil 3 der Reihe.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_292.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2023)