Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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und Schrecknissen jeglicher Art erfüllte, bis zu den fernsten Gauen Deutschlands, in die goldnen Zimmer der Fürstenhöfe, wie in die weiten Säle der Hochschulen drang, und des Mannes Werth laut verkündete. Und das zu einer Zeit, wo außer jenen äußern Drangsalen, von denen Deutschland heimgesucht wurde, Verkehr und Mittheilung unter den verschiedenen Theilen Deutschlands so darniederlag, wo es weder Zeitungen, noch Eisenbahnen und Telegraphen gab, man zu einer Messe von Leipzig nach Frankfurt a. M. vierzehn Tage brauchte und die Briefpost trotz der schon in’s Leben getretenen Einrichtung des Franz von Taxis noch meistentheils durch Metzger, Roßkämme und sonstige wandernde Handelsleute besorgt wurde. - In dieser Zeit, am 20. Januar 1606, wurde Nikolaus Schmidt-Künzel, das ist der Name dieses einst hochgefeierten Mannes, zu Rodenacker, einem voigtländischen Dorfe, unweit der Städte Hof, Schleiz und Hirschberg, von einfachen, schlichten Bauersleuten geboren. Es ist eine seltsame Wahrnehmung, daß fast alle die Männer, deren Leben fruchtbringend und segensreich für unser Geschlecht geworden, aus der niederen Hütte des Bauers oder der Werkstätte des Bürgers hervorgingen. Wie wenige von denen, deren Namen mit goldenen Buchstaben auf den Blättern der Geschichte als Wohlthäter der Menschheit aufgezeichnet, wurden auf den Höhen des Lebens geboren, die Wiege wie vieler jener großen Eroberer auf dem friedlichen Feld der Wissenschaften, der Künste, des Gewerbfleißes war umringt von den häuslichen Sorgen, der Noth und dem Mangel der Aeltern.
So auch bei Nikolaus Schmidt-Künzel, der schon als zarter Knabe die Hirtengeißel schwingen und des Vaters kleine Heerde auf den Waldwiesen hüten mußte. Sich selbst überlassen, von einem brennenden Wissensdurst, den die Natur in des Knaben Brust gepflanzt, gequält, lag er bis zu seinem sechzehnten Jahre, seine Rinder hütend, unter den Tannen der Waldwiesen und träumte, er, der weder lesen noch schreiben konnte, wie er sich Kenntnisse und Wissenschaft erwerbe. Aber wie die erlangen, da das heimathliche Dorf weder eine Schule besaß, noch die häuslichen Umstände der Aeltern die Ertheilung eines Unterrichts gestatteten? Ein Dienstjunge, welchen sein Vater dingte, sollte der werden, welcher ihm die ersten Anfangsgründe des Wissens beibrachte, und ihn so die Laufbahn eröffnete. Dieser Knabe, aus einem anderen Dorfe gebürtig, hatte in der Winterschule dürftig lesen gelernt und wurde nun, indem er Künzel die Buchstaben erklärte, sein erster Lehrer. Mit einer glühenden Begierde bemächtigte sich Nikolaus des kleinen lutherischen Katechismus, den ihm der Knabe einst mitbrachte und sein Eifer, sein Wissensdrang war so stark, daß er in wenigen Wochen lesen lernte. Wohl murrte und schalt darob der Vater, der den Sohn lieber auf der Tenne und auf dem Acker, als hinter dem Buch sah, aber wenn es ihm nicht am Tage gestattet war zu lesen und zu lernen, so wachte er dafür bis spät in die lange Winternacht hinein und der helle Mondschein, der in klaren Nächten durch das Fenster seiner Kammer fiel, war oft die einzige Leuchte, bei der er in der Bibel und in einem alten lateinischen Katechismus las und studirte. Denn das ist eben das Besondere in dem Leben dieses merkwürdigen Mannes, daß er, der schlichte Bauerssohn, der weder je eine Gelehrten- noch eine Hochschule besucht, sich nicht blos mit der Kenntniß des für den gemeinen Mann Hinreichenden begnügte, sondern immer rastloser, unermüdlicher nach weiterer, tieferer Wissenschaft strebte und als Selbstgelehrter (Autodidakt, aus dem Griechischen abgeleitet von αὐτός selbst und διδάσκειν lehren) nicht nur das Lateinische und Griechische, sondern auch die reiche Sprachfülle des Orients, das Hebräische, Syrische, Arabische, Armenische, Persische, Aethiopische, Aegyptische, Abyssinische, Türkische, Chaldäische sich nach und nach aneignete. Es würde hier zu weit führen, aus einander zu setzen und zu erzählen, auf welche oft mühselige und seltsame Weise er sich die nöthigen Bücher, und oft so mangelhaften Hülfsmittel zu verschaffen wußte, mit welchem Bienenfleiß er überall her diese Sprachschätze holte, wie er von leiblicher Anstrengung hinter dem Ackerpflug ermüdet, des Abends beim brennenden Kienspahn die Grammatiken berühmter Sprachforscher, die Bücher über morgenländische Literatur studirte, wie er während des Dreschens zur Winterzeit sich die fremden, wunderlichen Schriftzeichen der morgenländischen Sprachen mit Holzkohle an die Lehmwände der Scheune malte und so bei harter, körperlicher Arbeit sich im Erlernen derselben übte – nur so viel sei hier bemerkt, daß er nach wenigen Jahren der meisten todten und lebenden Sprachen mächtig war und sich, wenn auch nicht immer gelehrt und elegant, doch verständlich in den meisten schriftlich und mündlich ausdrücken konnte. Gewiß eine seltne Merkwürdigkeit bei einem Bauer, der Alles, was er wußte, durch sich selbst wußte. –
Aber ein Mann, der mit solchem Feuereifer erfüllt ist, konnte nicht blos bei der Sprachkunde stehen bleiben. Nachdem er die Formen inne hatte, in welchem sich der Gedanke ausdrückt und der Stoff kleidet, wollte er sich des letzteren selbst bemeistern, und er fing an, sich mit der Erdbeschreibung, der Kenntniß fremder Sitten und Völkerschaften, mit den Lehren der Tonkunst und Erlernung des Orgelspiels, mit der Arzneikunde, mit der Stern- und Witterungskunde zu beschäftigen. – Daß er es nicht in allen diesen Wissenschaften bis zur Meisterschaft, wie z. B. in der Sprachkunde bringen konnte, wird man leicht begreifen, wenn man erwägt, daß der unermüdliche Mann niemals den Bauernkittel ablegte und so zu sagen, während er hinter dem Pflug hergehend, den Saamen in die Furchen seines Ackers streute, auch zugleich den Saamen auf das Feld der Wissenschaft säete. Aber doch erreichte er in manchen Zweigen, wie z. B. in der Arzneikunde, eine solche Stufe, daß er weit und breit, von Niedrig und Hoch als Arzt gesucht und angerufen wurde. Die Erfolge seiner Kuren waren meistens günstig, und für das arme, geplagte Landvolk, welches zu den Zeiten jenes schrecklichen 30jährigen Krieges von Seuchen und Krankheiten aller Art heimgesucht wurde, und welches von unwissenden Charlatanen, Juden, Zigeunern, alten Weibern und Scharfrichtern behandelt wurde, war ein wissenschaftlich gebildeter Arzt, wie Nikolaus Künzel, ein segenbringender Helfer. Damals, wo Glasscherben von zerbrochenen Kirchenfenstern, Wolfsaugen, Metallstaub und Wurzeln, denen man gewisse Zauberkräfte beilegte, Kleidungsstücke von durch Henkershand Umgekommenen, die üblichsten Heilmittel waren, war es freilich ein bedeutender Fortschritt, wenn Nikolaus Schmidt-Künzel mit aus Kräutern, deren Bestandtheile er chemisch untersucht, bereiteten Arzneien die Krankheiten zu bekämpfen suchte. In der Astronomie aber und in der Wetterkunde leistete er Bedeutendes und seine Kalender, die im Jahre 1653 zu Nürnberg mit kaiserlicher und chursächsischer Freiheit erschienen, waren weit und breit im deutschen Reich berühmt. Doch schon lange, bevor er diesen Kalender herausgab, hatte sein Name im deutschen Land einen guten, hellen Klang. Auf einer Reise nach Nürnberg, wohin er nach Verlust seiner mühsam erworbenen Bibliothek, die ihm von Kroaten und Wegelagern geplündert, mit Empfehlungen an die berühmten Gelehrten M. M. Dillserus und Saubertus, Bibliothekaren der alten, freien Reichsstadt, ging, kam er mit den bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit zusammen, und mit hoher Bewunderung sahen der große Crinesius von der Universität zu Altorf, Dillserus und Saubertus und andere am deutschen Gelehrtenhimmel hellglänzende Sterne den voigtländischen Bauer in dem dunklen, einfach gefärbten Kittel, darunter das wollene Hemd und Wams, den ledernen Hosen, rothen Strümpfen und großen, ledernen Bundschuhen, mit dem dreieckig aufgestülpten Filzhut, dem Spitzbärtchen, nach damaliger Gelehrtenmode, im Gesicht und den langen Stecken in der Hand vor sich stehen, um sich mit ihnen über die Sprachen des classischen Alterthums und des Morgenlandes, über alle Gegenstände der Kunst und Wissenschaft zu unterhalten. „Tam vile hospitium animae elegantis mirati sumus.“ (Wir wunderten uns über die unansehnliche Hülle eines so feinen Geistes) ruft einer jener Gelehrten in einem seiner Berichte erstaunt über ihn aus. –
Aber von dieser Reise datirt sich auch sein Ruf als deutscher Gelehrter. Oeffentlich wurde ihm von jenen ausgezeichneten Vertretern deutscher Wissenschaft der Name: Der gelehrte Bauer zugelegt und er unter dieser Ehrenbenennung in die deutsche Gelehrtenrepublik eingeführt. Doch nicht allein die Gelehrten von Fach, sondern auch die Kunst und Wissenschaft liebenden Fürsten seiner Zeit ehrten und achteten ihn. An dem Fürstenhof zu Weimar, der, wie später, auch damals in jenen wilden Zeiten, wo die Musen erschreckt von dem Klang der eisernen Waffen sich verbargen, deutscher Kunst und Wissenschaft einen sicheren Zufluchtsort bot, wurde Nicolaus Schmidt-Künzel von dem tiefgebildeten, trefflichen Herzog Ernst mit der größten Anerkennung aufgenommen, und oft sah man Herzog Ernst und den oft in Weimar weilenden gelehrten Fürst Ludwig von Anhalt in eifrigem Gespräch über Kunst und Wissenschaft, mit dem Bauersmann in einfachem leinenen Kittel, den er nie mit anderem prunkenden Gewand
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_291.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)