Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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den dicken, undurchdringlichen Nebel durchdringen zu wollen. Zugleich zog er seinen Säbel mehr hervor, daß er ihn bequemer ziehen konnte, und ich sah, wie er einen Knopf vorn an seinem Rocke lösete, um mit dem ersten Griffe das Doppelterzerol fassen zu können.
„Was haben Sie, Matz?“ fragte ich ihn.
Er antwortete leise: „Es ist, als hörte ich Jemanden gehen, und doch sehe ich nichts."
„Wo sollten Sie gehen hören?"
„Bald zur Seite, bald hinten ’naus."
„Hört der Kutscher nichts?“
„Er schläft seinen Rausch aus."
„Aber er fährt ja."
„Der Litthauer fährt im Schlafe noch immer besser als nüchtern. Nur schlafend oder betrunken ist das Volk zu gebrauchen.“
„Ihre gute Laune scheint endlich wieder zu kommen.“
„Halt, da sehe ich den Kerl.“
„Was sehen Sie?“
„Lassen Sie mich machen.“
„Freundchen,“ rief er in den Weg hinein. „Heda, Sie, kommen Sie mal hier zu mir heran.“
Er bekam keine Antwort.
„Kutscherchen, halt einmal,“ sagte er zu dem neben ihm sitzenden Kutscher.
Der Kutscher hielt. Der Executor stieg ab.
Ich sah unterdeß aus dem Wagen. Ich konnte nur den Executor erblicken. Er sah sich um, nach allen Seiten. Plötzlich lief er seitwärts auf einen Baum zu, der neben der Landstraße durch den Nebel hervorschimmerte. Es schien eine weiße Birke zu sein.
„Habe ich Dich, Bursch?“ hörte man ihn gleich nachher rufen. „Verdammter Spion, was machst Du hier, und was machtest Du eben am Wagen?“
„Herr Wachtmeister, lassen Sie mich.“
Es war die Stimme des Schreibers John. Sie war laut und trotzig und nicht jene schwere Stimme des Rausches, die er vorher vielleicht nur affectirt hatte.
„Steh Rede, Schurke, was schleichst Du uns nach?“
„Herr Wachtmeister, ich rathe Ihnen –“
„Du willst drohen, Narr?“
„Ich rufe um Hülfe.“
„Rufe.“
„Hülfe, Hülfe! Hierher!“ schrie der Kerl mit lauter Stimme in die stille Finsterniß hinein.
Es war, als wenn er ein verabredetes Signal gegeben hätte. Die Gegend belebte sich plötzlich. Von allen Seiten hörte man Menschen herbeirennen, zwar stumm, schweigend, aber desto hastiger.
„Hierher, Ihr Männer, zu Hülfe!“ wiederholte die Stimme des Schreibers.
„Fort, fort!“ rief der Executor dem Kutscher zu. Er hatte sich von dem Schreiber losgerissen. Er war mit einem Sprunge bei dem Wagen, mit einem zweiten auf dem Bocke.
„Fort, in des Teufelsnamen. Jag, Kerl, was die Pferde laufen können. Der verdammte Verräther! Das lag mir so schwer auf dem Herzen.“
Der Kutscher hieb auf seine Pferde. Der Boden war gerade dort fester. Wir flogen im Galopp davon.
„Vor den Hunden Reißaus nehmen zu müssen!“ fluchte der Executor. „Hätten wir nur mehr Waffen bei uns. Aber dieser eine Säbel und dieses jammervolle Ding von einem Terzerol! Der verdammte Verräther!“
„Haben wir denn wirklich Gefahr?“ fragte meine Frau.
Sie saß dicht neben mir, aber ich konnte nicht fühlen, daß sie zittere.
„Matz scheint es zu glauben, obgleich ich nicht recht einsehe, warum man uns hier überfallen sollte.“
„Am Ende,“ sagte der Executor, „muß ich zugestehen, daß ich mich umsonst geängstigt habe. Diese Spitzbuben sind alle feige. Wahrscheinlich gehen sie auch heute Nacht nur auf Diebereien aus; der Nebel ist ihnen günstig. Da dürfen sie vorher nicht viel Spektakel machen. Zudem sah der Verräther, daß ich ein Pistol bei mir trage. Wir sind nicht gar weit von Dinglauken, wo der Oberförster mit allen seinen Jägern und Hunden wohnt. Man könnte dort hören, wenn hier geschossen wird. Bei alledem wünschte ich doch, daß der Weg noch eine Meile so glatt und fest wäre, wie hier.“
Das war aber eben nicht der Fall. Wir waren wieder in den tiefen Moorgrund gekommen, mit der dünnen, zerbrechlichen Eiskruste darüber. Der Galopp, selbst der Trab der Pferde hörte auf. Bei jedem Schritte brachen sie durch. Wir kamen nur langsam vorwärts.
Der Kutscher trieb eifriger die Pferde an. Der Executor trieb den Kutscher an. Er nahm selber die Peitsche. Wir kamen nicht rascher voran.
Wir horchten in den Weg hinein. Es war kein Geräusch zu vernehmen. Wir glaubten, unsere Verfolgung sei aufgegeben. Aber wir sollten uns nur kurze Zeit diesem Glauben hingeben dürfen.
Nach einer Weile vernahmen wir deutlich die Schritte von Laufenden hinter uns. Sie kamen näher. Sie mehrten sich. Aber noch immer wurde keine Stimme laut.
Es war jetzt kein Zweifel mehr, daß wir verfolgt wurden, und daß irgend ein gewaltthätiger Angriff gegen uns gemacht werden sollte.
„Julie,“ sagte ich zu meiner Frau, „bist Du gefaßt? es scheint uns eine schwere Stunde bevorzustehen.“
„Setzt mich von Allem in Kenntniß, was Ihr befürchtet,“ erwiederte sie.
Ihre Antwort bezeugte ihre erhabene Fassung.
„Ich fürchte zunächst einen Raubanfall. Wir haben aber auch noch mehr zu fürchten. Die Bande des Schlom Schwarzbart scheint hinter uns zu sein. Entweder sind sie auf Pferdediebstähle hierher aufgebrochen oder gar absichtlich zu unserer Verfolgung, und zwar mit den beiden Verbrechern, die vorgestern aus Ragnit entsprungen sind, und von denen der Victor schon früher mit ihnen in Verbindung stand. Wir schweben, ich darf es Dir nicht verhehlen, in Lebensgefahr.“
„Wir haben keine Waffen.“
„Außer dem Wenigen, was Matz bei sich trägt, nichts. Aber ich denke, daß wir dennoch nicht ganz hülflos sind. Wir nähern uns Dinglauken. Es liegt dort im Walde. Man sieht es vom Wege aus nicht. Aber lauteres Geräusch würde man von dort aus hören können.“
„Sodann kann auch Powilken nicht gar zu weit mehr sein. Und zuletzt, vielleicht kann ein Wagen uns begegnen. Vielleicht sind gar die Jäger der Oberförsterei in der Nähe, um Wilddieben aufzupassen. Zuletzt, mein Freund, stehen wir unter dem Schutze Gottes.“
Ich sah dennoch, wie ihre Hand nach ihren Augen fuhr, während ihre Lippen leise hauchten: „Die armen Kinder.“
Wir hatten vier kleine Kinder zu Hause. In kurzer Zeit konnten sie Waisen sein.
„Herr Kreisjustizrath,“ sagte der Executor Matz, „das Gesindel kommt näher, Sie sind ohne alle Vertheidigung. Nehmen Sie hier meinen Säbel.“
„Nein, Matz, treue Seele,“ antwortete ich ihm. „Ihr Säbel ist besser in Ihren kräftigen Händen. Zudem könnte ich ihn hier im Innern des Wagens kaum gebrauchen. Aber wenn Sie mir etwas abgeben wollen, so überlassen Sie mir Ihr Terzerol. Beider Waffen können Sie sich ohnehin zu gleicher Zeit nicht bedienen.“
Er reichte mir sofort das Terzerol hin.
Es war ein kleiner Doppelläufer, der in der Nähe gute Dienste leisten konnte. Für den Secretär war keine Waffe da. Der kränkliche, schwächliche Mann hätte auch freilich nicht viel mit ihr ausrichten können. Die Schritte der Laufenden waren dem Wagen näher gekommen. Sie hatten ihn beinahe erreicht.
Matz gab Zügel und Peitsche an den Kutscher zurück.
„Hau Du nur immer darauf los,“ sagte er zu ihm, „auf Pferde und auf Menschen. Und wenn der Weg wieder besser wird, so laß galoppiren, so viel die Thiere können.“
„Aber Pons, wenn sie mich todtschlagen?“
„Schlag Du sie zuerst todt, Bursch.“
Er schien etwas von seinem Humor wieder gewonnen zu haben.
Doch gleich darauf sagte er sehr ernst: „Sie sind am Wagen. Jetzt aufgepaßt. – Bei Gott, der lange Victor ist an der Spitze.“
Ich leugne nicht, daß es mich kalt durchfuhr als ich den Namen hörte. Meine Frau umfaßte mich. Aber in dem nämlichen Augenblicke ließ sie mich wieder los, um mich nicht in meinen Bewegungen zu hindern.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_286.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)