Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 22. | 1855. |
Vom Verfasser der schwarzen Mare.
(Schluß.)
Es war im Anfang October, als wir diese Straße passirten. Die Witterung war hell, die Sonne schien warm. Es hatte bis kurze Zeit vorher geregnet und der Weg war sehr schlecht. Hatten die Pferde von Baubeln bis Powilken den Wagen nur mühsam durch den schwer gewordenen, sich fest an die Räder anlegenden Sand ziehen können, so konnten sie von Powilken bis Peteraten nur mit der größten Anstrengung vorwärts kommen, unter dem fortwährenden Antreiben, Schlagen und Fluchen des Kutschers, oder vielmehr des Executors Matz. Der Kutscher, ein Miethkutscher, einer von jenen Litthauern, die es als Pflicht ansehen, für einen Deutschen sich nie zu übereilen, hätte freilich lieber in dem ersten besten Kruge übernachtet, als seinen Pferden für uns eine mehr als gewöhnliche Anstrengung zuzumuthen. Matz hatte es sich deshalb um so weniger nehmen lassen, sich zu ihm auf den Bock zu setzen, um ihn und seine Pferde anzutreiben.
Dennoch hatte sich der Tag schon so ziemlich geneigt, als wir bei dem Kruge zu Peteraten anlangten. Etwa fünfzig Schritte vor diesem hörten wir einen lauten Wortwechsel zwischen Matz und dem Kutscher.
„Du wirst hier nicht anhalten, Bursch,“ rief der Executor.
„Aber mein Perd kann nicht weiter, Pons Wachtmeisteris,“ entgegnete der Litthauer, der etwas Deutsch verstand, jedoch das F nicht gut aussprechen konnte, und dem deutschen Titel die lithauische Endung anhing.
„Dein Pferd? Deine durstige Zunge kann vor der Kneipe nicht vorbei,“ höhnte ihn der Executor, der eine souveraine Verachtung gegen alle Litthauer hatte, so daß er, wie nothwendig es ihm auch für sein Amt war, nicht einmal Litthauisch hatte lernen wollen.
„Ich werde fragen Pons Kreisjustitrath.“
Das Wort „Justiz“ können die Litthauer nicht aussprechen. Möchte es nicht auch für die Deutschen besser sein, wenn sie das Wort gar nicht, und statt dessen nur das in ihrem Bewußtsein lebende „Recht“ kennten?
„Was, Du litthauischer Lümmel,“ fuhr ihn der Executor an, „Du willst Dich unterstehen, mich bei dem Herrn zu verklagen?“
„Ich will ja nur fragen, Erken, liebes (liebes Herrchen).“
„Fragen kann ich selbst.“ Der Executor bog sich zurück nach dem Innern des Wagens. „Herr Kreisjustizrath –“
„Ich habe Alles gehört, Matz. Sie sind heute sehr böser Laune.“
„Diese Litthauer sind zu faul und zu durstig. Sie stecken sogar ihre Pferde an, die von Natur ein prächtiges Vieh sind. Aber Sie werden doch nicht zugeben, daß der Mensch hier anhält. Es wird ohnehin bald dunkel.“
„Können die Pferde es bis Coadjuthen aushalten?“
„Bis Neustadt, wenn es sein muß.“
„So lassen Sie vorbeifahren.“
„Hast Du gehört, Bursch? Du hältst nicht an.“
„Meine arme Perd –“
„Schweig und fahr.“
Aber auf einmal schrie der Executor laut: „Halt, Kerl, halt!“ Mit einem Satze war er vom Bocke an der Erde. „Herr Secretair,“ rief er, „mir nach, rasch, in den Krug.“
„Was haben Sie, Matz?“
„Der Trinkat! Mir nach, Herr Secretair. Sie bleiben bei der Frau Gemahlin, Herr Kreisjustizrath.“
Der Wagen war unmittelbar vor dem Kruge. Matz sprang auf diesen zu. Der Secretair und ich eilten ihm nach. In der Krugstube rief der Executor:
„Ich habe den Kerl am Fenster gesehen!“
Wir eilten in die Krugstube. Sie war leer. Nur die Krügerin stand am Schenktisch. Auch kein Versteck war da, das Jemanden hätte verbergen können.
„Wo ist der Kerl geblieben, der hier war?“ stürmete der Executor auf die Frau ein.
Asz ne permanau Wokiszka, Pons! erwiederte die Frau frech.
„Ich werde Dich Wokiszka lehren. Wo ist der Mörder? Sprich, oder Du bekommst den Kantschu.“
Die Litthauerin schien in der That nicht zu verstehen. Der Secretair wiederholte die Frage auf Litthauisch.
Die Frau wollte nichts davon wissen, daß Jemand dagewesen sei. Sie sei den ganzen Nachmittag allein gewesen.
Der Executor Matz hatte unterdeß die Schlafkammer durchsucht, die, wie in allen litthauischen Krügen, sich hinter der Krugstube befand. Sie war gleichfalls leer. Er durchsuchte weiter das ganze Haus, während der Secretair und ich das Haus verließen, um einen allenfalls aus dem Hause Entspringenden anzuhalten. Es entsprang aber Niemand. Der Executor kam nach einiger Zeit unverrichteter Sache zurück. Wir setzten unsern Weg fort.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_281.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)