Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Ich trat leise von dem halbgeöffneten Fenster zurück. Hänschens Besuch schien aber selbst so wenig scheu zu sein, daß er von meinen Bewegungen nicht im Mindesten Notiz nahm. Bald war ich über den Gesang im Klaren. Der fremde Ankömmling begann auf’s Neue seinen prächtigen, trillernden, wirbelnden Gesang, immer länger anhaltend, und dabei die kleine Kehle zum Zerspringen aufblasend. Ich war außer mir über die Schönheit des Vogels und seinen herrlichen Trillerschlag, und sann mir den Kopf aus, wie ich’s anstellen wolle, den goldgefiederten Sänger zu haschen. Dieser machte mir indeß die Sache leichter, als ich sie mir selbst gedacht. Er warf nach Beendigung seines Gesanges das leichte Köpfchen auf die Seite und schaute mit dem einen glänzenden Auge schief in den Käfig hinunter, wo sein College fortwährend unverdrossen seine Hanfkörner bearbeitete. Hunger ist ansteckend. Noch einen sehnsuchtsvollen Blick nach dem Futtertroge, nach kurzem Bedenken noch einen, und der Entschluß zur Ueberschreitung des Rubikons war gefaßt. Eine vorsichtige Promenade rings um den Käfig, kurzer Anhalt und vorsichtiges Umsichschauen bei dem verhängnißvollen Thürchen, und husch! drinnen stak der Schelm, ohne Umstände sich bei seinem Genossen zu Tafel ladend. Mit der höchsten Vorsicht näherte ich mich wieder dem Käfig, immer fürchtend, das flinke Geschöpfchen möchte bei meinem Anblick erschrecken und seinen Flug in’s Freie nehmen. Meine Befürchtung war unnütz. Der kleine Sänger war offenbar die Nähe des Menschen und die Gitterstäbe des Käfigs gewohnt. Er schaute kaum auf die Seite, als ich das Thürchen schloß, das ihm den Weg zur Freiheit versperrte. Triumphirend nahm ich den Käfig mit seinem multiplicirten Inhalte hinein in’s Zimmer, setzte ihn auf den Tisch und konnte nicht satt werden, den prächtigen Fremdling zu betrachten. Als die beiden Insassen ihre Mahlzeit beendigt hatten, zeigte sich ein Uebelstand. Das Futter hatten die beiden Sänger friedlich theilen können, nicht aber den Gesang. Wie der Eine seine schmetternden Triller begann, fuhr der Andere mit gesträubtem Gefieder auf den Collegen los, hackte mit dem Schnabel nach ihm und zeigte alle Merkmale der bittersten Feindseligkeit. – Oder aber, er suchte mit seinem eigenen doppelt lauten Gesang den Gegner zu überschreien. Wieder eine ächt menschliche Leidenschaft, die Eifersucht, dachte ich. Ganz wie im deutschen Parlamente.
Ich hatte indeß keine Lust, Hänschens Eifersucht den prächtigen Gesang meines neuen Wundervogels aufzuopfern; machte also kurzen Prozeß, faßte Hänschen, trotz seines Sträubens, ab und hielt ihn in der Hand fest, um ihn zum Schweigen zu bringen. Vergebliche Mühe; Hänschens beleidigter Ehrgeiz ließ ihn das Unerhörte thun; er sang und schrie, eng umstrickt von meiner Hand, bis zum Platzen seiner kleinen Kehle, sobald nur sein Rivale die Stimme erhob.
Es blieb mir nicht übrig, als die kleinen Wichte gewähren zu lassen. Ich ließ ihnen das Thürchen des Käfigs offen, und das ganze Zimmer zum Spielraum, eine Vergünstigung, von welcher sie auch sogleich den weitesten Gebrauch machten. Sie flatterten lustig in allen Winkeln herum, setzten sich auf Vorhänge und Möbeln, wie aber einer singen wollte, so begann der alte Zank von Neuem. Nach einer Weile schienen die Beiden einander ein wenig überdrüssig zu werden; Hänschen suchte seinen Käfig und die Hanfkörner wieder auf und der neue Ankömmling schwang sich auf den Secretair hinauf, wo der ausgestopfte Bruder, von dem ich eben gesprochen, unbeweglich auf seinem kleinen hölzernen Piedestal saß. – Nun begann ein Auftritt, den der Leser vielleicht sehr sich versucht fühlen dürfte, für eine Fabel zu erklären, und ich selbst würde ihn unbedingt für ein Mährchen, für die phantastische Vorstellung eines kranken Gehirns halten, hätte ich ihn nicht mit meinen eigenen Sinneswerkzeugen wahrgenommen, und könnte die Authenticität dessen, was ich erzähle, verbürgen.
Der fremde Vogel näherte sich dem todten zuerst unbefangen, wie in der Absicht, mit ihm zu schäkern. Unverkennbar hielt er ihn für ein lebendiges Wesen; er pickte nach seinem Schnabel, rupfte an den gelben Federchen und sucht auf jede Weise die Aufmerksamkeit des Unbeweglichen auf sich zu lenken. Als ihm dieses natürlich nicht gelang, schien er unwillig zu werden und stieß ein paar zankende, keifende Laute hervor. Dann begann er das alte liebkosende Spiel mit gleich schnellem Erfolge von Neuem. Endlich schien ihm die Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen klar zu werden. Fast scheu trippelte er ein wenig von dem Todten weg und schaute ihn ein Weilchen unverwandt an. Plötzlich fing er an zu singen und nie im Leben werde ich diese wundersamen Töne des Schmerzes und der Klage vergessen, die ich in jenem Augenblicke vernahm. Zuerst leise, kaum hörbar entrangen sie fast wie Geisterseufzer, wie das Klingen der Aeolsharfe der kleinen, goldbefiederten Brust. Es war der natürliche Gesang des Kanarienvogels, seine phantastischen launenhaften Wendungen, sein capriziöser Trillerschlag und doch wieder unendlich verschieden von dem lärmenden, melodielosen Gezwitscher dieser Gattung der Singvögel. Jeder Ton war Wehmuth, kein Componist der Erde, selbst Mozart oder Haydn, hätten es nicht vermocht, diese Klage der Seele in die flüchtigen Tonwellen ihrer göttlichen Musik zu bannen. Ich lauschte fern, regungs- und athemlos. In diesem Momente trat meine Frau in’s Zimmer, unwissend, um was es sich handle. Ich winkte ihr ängstlich zu schweigen, indem ich zugleich auf das singende Vögelchen hinwies. Der Sänger fuhr ungestört fort, während wir Beide mit verhaltenem Athem diesen märchenhaften Tönen lauschten. Der Gesang wurde nach und nach lauter, leidenschaftlicher, dann wieder langgezogen, leiser, fast wie Nachtigallenschlag, und endete in einem leisen, kaum hörbaren Flüstern. Ich wandte mich nach meiner Frau um. Sie weinte. Auch auf sie, die den Vogel noch nicht gesehen, den Anfang der Scene nicht belauscht hatte, hatte die Todtenklage des Vogels den gleichen, ja einen noch mächtigeren Eindruck hervorgebracht, als auf mich selbst, und doch leidet sie weder an übertriebener Empfindelei, noch theilt sie meine Leidenschaft für die Singvögel, und kann namentlich die Kanarienvögel wegen ihres betäubenden Geschreies nicht gut ausstehen.
Der wunderbare Vogel ersparte mir die Sorge, nach seinem legitimen Eigenthümer zu forschen. Gleich den menschlichen Poeten liebte er die Freiheit, schon nach wenigen Tagen war er auf eben so räthselhafte Weise verschwunden, wie er gekommen. Man hatte seinen Käfig nicht sorgsam genug verschlossen. Er kehrte nie wieder. Jahre sind seitdem dahin gegangen, aber immer noch zieht zuweilen das zauberhafte, wehmuthsvolle Lied des goldgefiederten Sängers traumhaft an meinem Ohre vorüber.
Die Wahrheit, die treue, schmucklose Wahrheit des Erzählten aber kann ich verbürgen.
v. d. B. H. in H. Wir haben Ihre Anfrage nach London gesandt, von wo aus sie beantwortet werden wird. Wir selbst vermögen Ihnen über die genaue Zusammensetzung des künstlichen Seewassers keine Auskunft zu ertheilen.
A. W. in Nbg. Kann leider nicht benutzt werden.
S. in Hn. Die avisirten Artikel werden wir remittiren müssen, ebenso den gesandten, dessen Thema bereits vielfach behandelt worden ist. Mit diesem zugleich folgt der Brief aus New-York zurück.
Tsch. in G. Auch Gedichte?? Beim besten Willen – es geht nicht.
X. X. in Nßbn. Sehr hübsch – aber wo Papier hernehmen, um alle die Gedichte zu drucken, die uns gesandt werden?
M. in W. Wenn eine Erhöhung des Vierteljahresabonnements eintritt, werden wir unsere Freunde frühzeitig genug davon unterrichten. Ihre Voraussetzung, daß das Publikum nur dabei gewinnen werde, ist eine sehr richtige.
N. in L. Sie klagen über die Bedrückungen und Willkürlichkeiten Ihres Amtmanns und meinen, die Gartenlaube müsse sich solcher öffentlichen Dinge annehmen. Sie führen dabei einzelne Thatsachen an, ohne daß Sie – wie Sie selbst sagen – den Muth gehabt hätten, nach dem Grunde dieser Willkürlichkeiten zu fragen. Bileam’s Esel fragte wenigstens seinen Herrn: Warum schlägst Du mich? Haben Sie ein härteres Fell und mehr Geduld, als dieses Grauthier?
C. v. P. in B. Die Nummern der gewünschten Zeitschrift stehen Ihnen zu Diensten.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_280.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)