Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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verständig ein und während sie schlief, spielten die Hausjungfern mit Schiller am Bette – Karte.
Am 11. Juli 1796 gebar sie ihren zweiten Sohn, Ernst. Schiller schreibt bei dieser Gelegenheit recht naiv: „Meine Frau wollte das Kind selbst stillen, aber es kommt nichts mehr.“ – Am 11. October 1799 schenkte sie ihrem Gatten die erste Tochter Caroline. Ein furchtbares Nervenfieber ergriff sie danach und wochenlang schwebte sie in Todesgefahr, in völliger Geistesverwirrung. – Der treue und tüchtige Hausarzt Starke und Schiller’s treue Pflege selbst gaben sie dem Leben und der Gesundheit wieder. Mit Anfang 1800 begann ein neues und schöneres Leben in Weimar. Wer kennt hier nicht das liebe, freundliche Schillerhaus! Der Dichter hatte die Sonnenseite und Charlotte befestigte selbst an den Fenstern die carmoisinrothen Vorhänge, die auf Schiller’s productive Stimmung einen wohlthuenden Einfluß ausübten. Das war schon etwas Krankhaftes in Schiller, was sich immer mehr steigerte. Charlotte mußte ihm immer eifriger die Schnupftabaksdose füllen, kalte Fußbäder anrichten und in den Schubladen seines Arbeitstisches faule Aepfel legen, deren Ausdünstung auf seine Nerven anspannend wirkte, die aber Goethe fast zu einer Ohnmacht brachten, als derselbe einst Schiller besuchte und bei dessen Abwesenheit ihn an seinem Schreibtisch erwarten wollte. – Die gute Frau mochte bei solchen Umständen wohl Mancherlei zu dulden haben. –
Im Juli 1804 erwartete sie ihre vierte Niederkunft und wollte dieselbe in Jena, bei dem treuen Starke, vollbringen. Schiller begleitete sie dorthin und bei einer leichten Erkältung schlug sein Nervenleiden in ein furchtbares Fieber über, während Charlotte höchst gefährlich ihre zweite Tochter, Emilie, gebar. Beide schwebten zu gleicher Zeit in höchster Todesnoth. Charlotte genaß bald, aber Schiller erholte sich nur scheinbar und bald schon sahen die Freunde seinem Tode entgegen. Dieser erfolgte am 9. Mai des Jahres 1805, Nachmittags 6 Uhr. Charlotte und Caroline saßen an seinem Bette. Leise erhob er das Haupt, um die Geliebten noch einmal anzuschauen, Charlotte noch einmal zu küssen; dann fuhr es wie ein elektrischer Schlag hell über seine Züge, sein Haupt sank zurück und wie schlafend, mit heitrem Antlitz, lag der große Todte da. Charlotte konnte nur sagen: „Er hat mir noch die Hand gedrückt!“ – Das war die letzte Seligkeit, die sie in ihrem Bunde mit Schiller genoß. –
Die schönsten Blüthen desselben hat Charlotte in folgenden Worten (an Fischenich, vom 3. Juli 1805) niedergelegt, und gewiß mit vollstem Rechte: „Es hat Niemand, kann ich behaupten, dieses edle hohe Wesen so verstanden wie ich, denn keine Nuance entging mir. Ich wußte mir seinen Charakter, die Triebfedern seines Handelns zu erklären, zurechtzulegen wie Niemand. – Die Jahre verbanden uns immer fester, da ich durch das Leben mit ihm seine Ansichten auf meinem eigenen Wege gewann und ihn verstand wie keiner seiner Freunde. Ich war ihm so nothwendig zu seiner Existenz, wie er mir. Er freute sich, wenn ich mit ihm zufrieden war, wenn ich ihn verstand. Dieses geistige Mitwirken, Fortschreiten war ein Band, das uns immer fester verband. – – Ich habe die Beruhigung, daß ich gewiß Alles für ihn that, um ihn vor unangenehmen Eindrücken im Leben zu bewahren, daß er vielleicht ohne mich nicht so lange für die Welt gewirkt hätte. – Ach Sie kannten ihn nur halb, denn in dem letzten Theile seines Lebens, wo seine Seele frei auch unter dem drückenden Gefühle der Krankheit sich erhob, wo er immer milder, immer lieber wurde, sein Herz an dem unschuldigen Leben seiner Kinder sich erfreute, war er ganz anders noch, als da Sie mit uns lebten. Diese Liebe, diese Freude an den lieben Geschöpfen, diese Heiterkeit, wenn er zu uns kam, würde Ihrem Herzen wohlgethan haben. Das lange Leben mit ihm hatte auch mein Gefühl auf eine glückliche Höhe gestellt; bei ihm, mit ihm war ich über das Leben hinweg.“
Diese Worte sind wohl das herrlichste Vermächtniß, das Charlotte uns hinterlassen hat und die ewige Dankbarkeit der deutschen Nation für diese einfache, seltene Frau herausfordert. – – Es giebt Schmerzen, so tief, so keusch und heilig, daß man sie nicht berühren, nicht darstellen darf. Und solchen Schmerz empfand jetzt Charlotte. Ihr war’s, als wenn sie in die ewige Nacht verstoßen wäre und nur der Gedanke an ihre Kinder, das strenge Pflichtgefühl der Mutter, rettete sie vor Verzweiflung. –
Verfolgt man Charlotten’s Entwicklung in ihrem Eheleben aus ihren Briefen, namentlich an die Freunde Fischenich und von Stein, so wird uns ihr ganzes Wesen immer lieber und verehrungswerther. Wir lernen die treue, tüchtige Gattin und Hausfrau, die zärtliche, durchaus praktische und verständige Mutter ebenso schätzen, wie die stets strebende Seele und klare, denkende Kraft. Es ist rührend, mit welcher Glückseligkeit, es ist bedeutsam, mit welch’ scharfer Beobachtung sie von dem Wesen, der Richtung und Entwickelung ihrer Kinder spricht. Zu Anfang wünscht sie sich lieber nur Knaben, weil sie von dem eigentlichen Wesen des Weibes so ideale Begriffe habe, daß es sie schmerzen würde, ihre Töchter nicht danach erziehen zu können. Als aber nun die Töchter kommen, ist sie auch glücklich und weiß klug auf praktischem Wege ihrem Ideale nachzustreben. –
Nach und nach wird Charlotte corpulent; sie scherzt darüber und meint, ihre Bekannten lachten sie aus, es erscheint ihr aber als Gewinn, weil sie nun die Welt gemüthlicher ansieht, ohne phlegmatisch zu werden. –
Vor Allem strebte sie nach Klarheit und deshalb war es ihr stets so innig wohl in Goethe’s Gesellschaft. Höchster innerer Lebensgenuß ist ihr: nach Veredelung der geistigen Kräfte zu streben. – Sie schließt sich immer mehr ab gegen neue Bekanntschaften und Freunde; sie will lieber die alten desto fester im Andenken halten um so desto näher in der Vergangenheit leben. In Berlin findet sie die Natur wie die näheren menschlichen Verhältnisse trostlos. Sie selbst bestimmt Schiller, die dort ihm gemachten glänzenden Anerbietungen nicht anzunehmen; allerdings auch, um den Hof in Weimar nicht zu betrüben.
Nach dem Tode Schiller’s wurde Charlotte von allen Seiten, von nah und fern, mit der innigsten und thätigsten Theilnahme beschenkt. Der Hof, Dalberg, Cotta sicherten ihr reichliches Auskommen, sodaß sie auch ihren Kindern die beste Erziehung geben konnte. Im Sommer des Sterbejahres sandte Starke sie nach Brückenau in’s Bad. Die Mädchen blieben währenddem bei Griesbach’s, die Söhne nahm sie mit sich; sie konnte nicht ohne dieselben leben, sie liebt sie jetzt doppelt. Ein schönes Wort aus dieser Zeit bekundet, wie der Schmerz sie veredelte; sie schreibt an Fischenich: „Ich bin jetzt über nichts mehr böse.“ Ihre neu gewonnene Gesundheit benutzt sie zur Ueberwindung ihres Schmerzes, denn sie meint: „Ein Mensch, der sich nicht überwinden kann, ist ein trauriges Mitglied und die Menschen fliehen ihn.“ So übt sie nun Kräfte aus, die sie – wie sie meint – nicht in sich gesucht hat. Aber sie fühlt sich auch isolirt, wenn sie sich nicht an Geistiges hält; so hört sie denn bei Gall Schädellehre, bei Goethe Naturwissenschaft, bei denen es ihr ist, als ob sie die Welt sich gestalten sähe. Sie läßt sich von den Söhnen und deren Hauslehrern vorlesen, weil ihre Augen angegriffen sind, widmet sich aber vor Allem der Ausbildung ihrer Kinder. Martens, Ukert, Gabler und Abeken sind im Laufe einiger Jahre deren Hauslehrer. –
Während der Schlacht bei Jena wohnte sie in den Gemächern der Herzogin. –
Wir überspringen nun viele Jahre ihres ruhig fortgehenden Wittwenlebens. Die Söhne waren währenddem schon in die Welt getreten und angestellt; die eine Tochter hatte sich als Erzieherin ausgebildet und kam als solche später an den Hof nach Stuttgart; die andere vermählte sich dem Herrn von Gleichen.
Im Jahr 1821 besuchte sie ihren Sohn Ernst in Köln und beobachtete auf dieser Reise und während ihres Aufenthaltes in Köln und Aachen fein und scharf die Lebens- und Menschenverhältnisse nach verschiedenartigen Seiten hin, wie dies aus ihren Briefen an Fischenich hervorgeht.
Nach Weimar zurückgekehrt, besuchte sie in Rudolstadt ihre alte Mutter und sie hatte sich vorgenommen, später längere Zeit bei ihr zu verweilen, als dieselbe 1823, über achtzig Jahre alt, starb. Nun zog es sie um so mächtiger wieder nach dem Rhein, wo in Köln ihr Ernst, in Bonn ihr Karl glücklich verheirathet waren. Und in Bonn ließ sie sich für den Rest ihres Lebens nieder. Eine gefährliche Augenoperation bestand sie muthig und mit guten Aussichten auf Erfolg. Da aber traf sie plötzlich, im Juli 1826, ein Nervenschlag; ohne Bewußtsein, aber unter heitern Phantasieen, starb sie in den Armen ihrer Kinder. – Sie hatte früher an Schiller’s Seite begraben sein wollen. Als ein neuer Kirchhof in Weimar angelegt wurde, wollte sie hier einen Begräbnißplatz für Schiller und sich kaufen, den aber der zeitige Bürgermeister,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_264.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)