Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Schafe züchtet und daß auf 80 bis 100 Schafe ein Schäfer kommt, so mag wohl die Anekdote nicht übertrieben sein, daß Ungarns größter und reichster Grundbesitzer mehr Hirten habe, als jener Lord Schafe. –
Ungeselliger und unzugänglicher ist das Leben des Schweinehirten, der nie in einer Schenke zum Tanze aufspielt. Weniger in den Ebenen, als in undurchdringlichen Eichen- und Buchenwäldern, lebt er mit seiner grunzenden Schaar. Abgeschlossen von Städten und Dörfern, fern von jeder Kultur, ist der ungarische Schweinehirt der vollendete Sohn der Wildniß. Sümpfe und Moräste stehen bei ihm in gleichem Werthe mit Flüssen und Seen. Er lacht laut auf, wenn die Fischer an der Theiß ihren Strom den Nil Ungarns nennen, und verweist dagegen stolz auf den Hansag mit dem beweglichen Kahne als den König der Moräste. Statt des Dudelsacks handhabt er seine Balta (Handaxt) als Wurfgeschoß mit so furchtbarer Geschicklichkeit, daß er damit jedes beliebige Schwein aus ziemlicher Entfernung todt zu Boden streckt. Diese Handaxt ist sein stetes Spielzeug; er läßt es durch die Finger laufen wie einen Spazierstock, wirft es hoch in die Luft und fängt es im Gehen wieder auf, und so verleiht diese Waffe dem ganzen Manne ein solches Gefühl der Sicherheit, daß das Sprüchwort geht: der Kondas ist sicher vor Jedem, aber nicht Jeder vor ihm. – Und in der That ist er bei seinem rachsüchtigen Temperament ein gefürchteter Charakter, den man, mehr als zuträglich ist, mit der „Haideschenke“ verkehren sieht, und der nie recht begreifen kann, daß seines Herrn Schweine nicht auch die Seinigen sind. – –
Neben der Schweine- und Rindviehzucht spielt die Pferdezucht in Ungarn die bedeutendste Rolle.
Das Steppenpferd wird nicht so leicht von einem andern an Schnelligkeit wie an Wildheit übertroffen; gewiß aber erreicht kein Pferdeknecht der Welt den Csikós an Schlauheit, Ausdauer und Kühnheit.
Außer den kaiserlichen Gestüten, wo die ungarische Zucht durch englische Race veredelt wird, giebt es auch in den Pußten wilde Gestüte, welche das ganze Jahr hindurch unter freiem Himmel campiren. Nur bei außergewöhnlicher Kälte werden die Pferde in leicht gebaute Ställe getrieben, und es ist keine Seltenheit, daß die Stute auf dem Schnee fohlt.
Hier ist nun das Reich des Csikós, hier ist es, wo der verwegene Bursche, um ein Lobeswort seines Herrn zu erhaschen, oft sein Leben einsetzt, um diesen oder jenen Ausreißer wieder zur Heerde zurückzubringen, oder ein Roß einzufangen, welches verkauft werden soll.
Was der Araber in der Wüste, ist der Csikós in der Steppe. Er lebt, ißt, trinkt, schläft und stirbt auch manchmal auf seinem Pferde. Kein Pferd zu besitzen, ist ihm geradezu eine Schande, so daß er es vorzieht, das erste beste sich lieber anzueignen, als etwa zu Fuße zu gehen. Wie der Seemann die Landratte verachtet, so blickt der Csikós mit Geringschätzung auf den bescheidenen Fußgänger herab; und hört man einmal von einer Schlägerei zwischen einem Infanteristen und Husaren, so kann mit ziemlicher Gewißheit angenommen werden, daß dieser Husar ein ehemaliger Csikós gewesen.
Um bei seinem Geschäft völlig unbehindert zu sein, liebt er die zwangloseste Tracht. Außer einer blauen Weste trägt er nur Hemd und Gatye (weite Hosen), die er meist bis über’s Knie aufschlägt, wenn er läuft oder reitet. Die Csizmen (Stiefeln) sind oben so weit, daß sie zugleich als Taschen dienen, und nur auf seinem Hute erlaubt er sich einen kleinen Luxusartikel, in Gestalt eines weißen Busches. Es ist dies die Blüthe einer baumwollenartigen Staude, die aus den Steppen wächst, und das „Waisenmädchen“ genannt wird, weil sie immer allein steht. –
Wer jemals ein Steppenpferd in seiner ganzen Wildheit daherbrausen sah, und so leicht wieder fortjagen, daß es nur eine leise Spur im Sande zurückläßt, den befällt gewiß eine Art Schauder, wenn er nur daran denkt, sich einem solchen Thiere nähern, oder in den Weg stellen zu wollen.
Wohl aber sucht sich der Csikós den wildesten Hengst in der Heerde, wirft ihm, noch ehe das Thier sein Heranschleichen gewahrt, schon den Lasso über den Kopf und zieht diese Fangschnur, indem er sich dabei selbst zu Boden wirft, mit solcher Gewalt zusammen, daß das eben noch wüthende Pferd wie todt zur Erde stürzt. Wie ein Blitz eilt er nun herbei, stellt sich mit gespreizten Beinen über das zusammengebrochene Thier, und lockert vorsichtig den Lasso, der den Hals zuschnürte; das Roß fühlt sich frei, bäumt mit sammt dem Reiter in die Höhe und durchbricht im wüthendsten Carrière die auseinanderstiebende Heerde, und endet nicht eher diese Höllenjagd, bis es mit zitternden Knieen an einem Flüßchen oder Moraste steht, wohin es der schlaue Reiter dirigirte, der in der einen Hand seine Peitsche schwang und mit der andern die Mähnenhaare umschlungen hielt. Man behauptet, die Wildheit sei für immer von einem Pferde gewichen, das die eiserne Faust eines Csikós berührte.
So verleben diese waghalsigen Menschen ihre Tage in der Steppe, die hier, wie auf dem Schlachtfelde, stets Heldenthaten vollziehen. –
Wie ein leuchtender Stern strahlt in der Geschichte Ungarns der Name „Maria Theresia!“
Nie wird der Ungar vergessen, wie die bedrängte Frau, den Feind im Rücken, sich nach Preßburg begab, und den Säugling Joseph auf dem Arme, in der Versammlung der Stände erschien und in lateinischer Sprache eine Rede hielt, in der sie, mit Thränen im Auge, ihre unglückliche Lage schilderte, und sich und ihren Sohn dem Schutze der Ungarn anvertraute. Ihre Jugend, ihre Schönheit nicht minder als ihr Mißgeschick rührten alle Anwesenden, und mit begeistertem Rufe erscholl’s: „Laßt uns sterben für Maria Theresia, unsern König!“
Auch in der Geschichte von Esterhaz ist der Name der erhabenen Frau verflochten, und mit Ehrfurcht betreten wir das Zimmer des Schlosses, wo die große Königin vor 164 Jahren übernachtete.
Sogenannte Ritterburgen giebt es in Ungarn nur noch sehr wenige. Die Mongolen und Türken, die in das Land gerade zu der Zeit einfielen, in welcher sich der Adel jene Schlösser zu bauen pflegte, deren Dauerbarkeit Jahrhunderten trotzte, scheinen Ungarn um seinen mittelalterlichen Schmuck gebracht zu haben, der in deutschen Landen noch durch unzählige der herrlichsten Ruinen zur Gegenwart redet.
Wenn auch Johannes Hunyad unsterblich als Osmanensieger glänzte, und sein ruhmwürdiger Sohn, Mathias Corvinus, als König ein wahrer Vater und Beschützer seines Volkes war, so verfiel doch bald unter schwächeren Nachfolgern Ungarn wieder der Anarchie durch innere Zerfleischungswuth und jene wilden Eindringlinge und ward ein Herd des Vandalismus. Endlich schaffte Eugen’s denkwürdiger Sieg bei Zentha über die Türken (1697) dem Lande die ersehnte Ruhe, nachdem das Haus Oesterreich zehn Jahre früher, auf dem Landtage zu Preßburg, das unglückselige Wahlrecht der ungarischen Stände aufgehoben hatte.
Eine der wenigen Ruinen, die aus jener eisernen Zeit stammen, liegt im neograder Comitate und zeigt noch Spuren von ihrer einstigen Größe und Gewaltigkeit. Sie heißt Fülekvár. Sie ward gegründet, indem ein Hirt den höchsten Punkt eines Berges erreichte, wo sein Hund einen ungeheuern Schatz fand, mit welchem der Hirt die Burg daselbst aufbaute und so ein mächtiger Ritter wurde. Der Hund hieß Fülaß (d. h. Einer der Ohren hat), und deshalb wurde die Burg Fülekvár genannt.
Ein anderes Bergschloß aus späterer Zeit und in demselben Comitate beißt Dévény, und liegt eine halbe Stunde von dem großen Marktflecken Miethna, ungarisch Samosfalck. Dort hauste ein reicher, wilder Dynast (hoher Edelmann), Georg von Balassa, der sein Schwert in dem Aufstande des Grafen Mathé von Trentstein gegen den Ungarn-König Robert zog, gefangen wurde und auf seine Burg Dévény, unter Aufsicht eines Obersten, gebracht wurde, der ihm immer knapp zur Seite blieb. Doch endlich wurde dies Bewachen Georg von Dévény zu viel, und er erschoß mit einer Pistole den Obersten beim Mittagsmahle, über den Tisch hin. So ward er frei – und hier schweigt die Geschichte.
Doch zu Esterhaz und Forchtenstein.
An der Grenze eines zwanzig Meilen langen Morastes, des Hansag, liegt Esterhaz, eines der schönsten Schlösser des Fürsten Paul Esterhazy, des Aeltesten dieser berühmten Familie.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_262.jpg&oldid=- (Version vom 15.5.2023)