Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Gekicher und Gelächter erregten, gelbe, graue und blaue Truppen mit ungemein viel theatralisch geputzten Offizieren. Die Einzüge, die Einquartierungen, die Exercitien, die Manoeuvres und Paraden, die schmetternde Regimentsmusik, das Wirbeln der Trommeln, das schwere Gepolter der Kanonen zwischen den Marmorpalästen, das Liefern, Kaufen, Verladen und Packen auf den Schiffen, die Ankunft der englischen, kolossalen Kriegsdampfer, welche die 17,500 Mann Soldaten, 1000 Offiziere, 3000 Pferde und 146 Wagen und Kutschen mit entsprechenden Vorräthen von Munition und Lebensmitteln aufnehmen sollten, die Wallfahrten nach diesen Dampfern, das lustige Umherklettern von Damen und Herren, Kindern und Greisen in diesen labyrinthischen Wasserpalästen, das Wimmeln von Booten, Gondeln und Kähnen zwischen diesem Wirrwar und diesen schwimmenden Giganten mit wehenden Schleiern, flatternden Federbüschen, blitzenden Epaulettes und Waffen – das gab eine buntscheckige Fülle von Scenen, Freuden und Aufregungen, von Lust- und Trauerspiel, das sich bis Ende April fortwährend steigerte und beim successiven Absegeln der 25 englischen Dampfer und mehrerer kleiner Segelschiffe einen Grad von Ausdehnung und Reichthum erreichte, wofür ein breiter Pinsel mit mehr Raum und Talent gehört, als uns zugemessen sein mag.
Der Wein und der Kuchen, der in den glänzenden Salons der englischen Kriegsschiffe von blassen, schönen Damen verzehrt, das Italienisch und das Englisch, das dabei von beiden Seiten in höchster Galanterie geradebrecht ward, die erotische Gracie und Lebhaftigkeit der Genueserinnen und der Elite von Turin, Alba, Cherasko, Alessandria, Dego, Voltri, Rocco und anderer ferner und benachbarter Städte, gegenüber der steifen Unbeholfenheit der enchantirten englischen Marineoffiziere – gäbe in einer guten Auswahl vortreffliche Genrebilder. Für den tragischen Theil würden die leidenschaftlichen, herzzerreißenden Abschiede der Mütter, Frauen, Bräute und Geliebten von ihren Söhnen, Gatten und Auserkornen sorgen. Ich habe Scenen gesehen, die unwillkürlich zum herzlichsten Mitweinen führten, herrliche, blühende, göttliche Gestalten, die dem abgestoßenen Boote mit zarter Hand lächelnd noch einige Male nachwinkten und dann ohnmächtig oder convulsivisch zusammen sanken oder in herzzerreißendes Jammergeschrei ausbrachen, zuweilen, ohne daß sich eine mitleidige Seele in dem Gedränge um sie bekümmerte, so daß man unwillkürlich schließen mußte: Du bleibst allein zurück mit deinem unsäglichen Schmerz und wirst dich abgrämen und einst die Todtenlisten studiren, bis der Name deines geliebten Sohnes oder Auserkornen dir in die Augen und wie ein Dolch in’s Herz fährt. Ach, wie viele Tausende solcher Dochstöße hat der Krieg schon in England, Frankreich, Rußland, der Türkei, Kleinasien und Aegypten, auf den schönsten Theilen der Erde in schuldlose Herzen geschleudert. Alles um die „vier Punkte?“
Die Sardinier, die Genueser schienen im Allgemeinen nichts von den vier Punkten zu wissen, wenigstens nichts zu halten. Die Theilnahme an dem Kriege war nur in sofern populär, als man hoffte, es müßte dabei etwas herauskommen, neues Leben, neuer Glanz auf dem Meere für den alten Ruhm der Republik Genua. Die Genueser betrachten sich immer noch gern als etwas Apartes für sich, als „gewesene“ meerbeherrschende Republikaner, doch ist der König und seine Regierung durch sein energisches, consequentes Benehmen, durch die einsame, aber furchtlose Vertheidigung der neuen Institutionen seines herrlichen Landes, das an Größe Preußen nichts nachgiebt, jetzt beliebter geworden. Und General Alphonso della Marmora, der Chef der ganzen Hülfs-Armee, hat das seltene Glück, als rechte Hand des Königs und als Freund des Volks zugleich in allgemeiner hoher Achtung zu stehen.
Ich wollte noch eine Schilderung meines Ausflugs nach Nizza, in die kosmopolitische Lebensverlängerungsanstalt der Lungenkranken gehen, unterlasse es aber aus Fülle von Weg. Ja, der Weg am Meere hin von Genua ist allein ein Heldengedicht der Natur. Haben Sie schon von der cornischen Straße zwischen Genua und Nizza gehört? Ich schicke Ihnen ein Stück davon mit, wie ich es in einem genuesischen Journale fand, das die Gelegenheit der Truppenmärsche wahrnahm, um eine der trotzigsten Parthien dieser Felsenstraße dicht am Meere in dieser Bekleidung zu vergegenwärtigen. Oft führt ein schmaler Weg in die Felsen gehauen 6 bis 800 Fuß in gerader, steiler Höhe am unbegrenzten Meere hin, das unten donnert und weit in die Höhe schäumt, ohne daß sich diese starren Massen rühren. Zuweilen führt sie gerade ziemlich steil bergauf, zuweilen in Windungen, zuweilen durch Thore, die durch Felsen gehauen wurden. Man muß diese Meeres- und Felsen-Poesie sehen, um sie nur zu glauben. Deshalb überlasse ich sie ihrer eigenen Größe, um noch ein Wort von dem lebendigen Felsen zu sagen, der die sardinischen Hülfstruppen commandiren wird.
Alphonso della Marmora ist der militärische Fels für die bis dahin einsame und angefeindete liberale Verfassung Sardiniens und jedenfalls der populärste Mann in der Armee. Er sieht wie ein hoher Dreißiger aus, schlank und gedrungen zugleich, kalt und fest in seinem länglichen, scharf profilten Gesichte. Er nahm energischen Antheil an den Unabhängigkeitskämpfen von 1848 und 49. Als Artillerie-Major zeichnete er sich besonders bei der Belagerung von Pesch aus. Zum Lieutenant-General ernannt, commandirte er die Armee an den Grenzen von Toskana, welche die Oesterreicher bei Plaisance im Schach halten mußte. Später rettete er Genua gegen einen Angriff der Insurgenten (nach der Niederlage bei Novare, worüber man in einer Geschichte der neuen italienischen Revolutionskriege nachschlagen kann). Er nahm am 10. April 1849 Genua. Im Jahre 1852 wurde er ein Hauptmitglied des Ministeriums. Als Minister gewann er durch strenge Festhaltung an gegebenen Versprechungen und durch fortgesetzte Einfachheit, Strenge und Nüchternheit seiner Lebensweise die Massen auch in Genua für den König und seine Politik.
Jetzt ist ihm die wichtigste Mission seines Lebens geworden. Kenner seines Charakters und seiner strategischen Talente behaupten, er übertreffe alle bisherige commandirende Krim-Herrlichkeit bei Weitem, so daß er, wenn’s nicht zu spät, eine große Leere im Lager der Alliirten ausfüllen wird.
Die sardinischen Hülfstruppen unter Marmora sind in drei Divisionen getheilt, die eine commandirt von Alexander della Marmora (berühmt durch die von ihm organisirten „Bersagliers“, die an die französischen Chasseurs von Vincennes erinnern), die andere von Durando, die dritte von Trotti. Die beiden letzten Generäle sind rühmlich bekannt aus dem letzten Kriege gegen Oesterreich.
Die sardinischen Hülfstruppen sind tüchtig und geübt, und ihre Führer bewährte Feldherren in der Blüthe ihrer Jahre, die nicht, wie die englischen, an Alter, Geburt, Gicht und „Routine“ leiden, so daß man annehmen darf, die Hülfstruppen könnten zur Hauptarmee der „westlichen Civilisation“ werden, um so eher, als sie „Köpfe“ mitbringen, abgesehen vom Kaiser Napoleon, der bald nach ihnen auf dem Kriegsschauplatze eintreffen soll, nur daß er noch keine großen Erfahrungen aus offenen Schlachten mitbringt, da die Siege in den Straßen von Paris nicht in das Gebiet der eigentlichen Kriegswissenschaft gehören.
Ein alter griechischer Naturweiser wünschte sich nur in gehöriger Entfernung von der Erde einen Punkt, wo er einen Hebel anbringen könnte, um die Erde aus ihrer Bahn zu schleudern. Die moderne Wissenschaft war genügsamer und wünschte die Erde blos zu wiegen. Wie schwer ist diese niedliche Billardkugel des Weltgebäudes, dieses Staubfleckchen am Mantel der Gottheit? Wiegen? Wo eine Waage hernehmen und dieselbe anbringen, um auf die eine Schale sie selbst und auf die andere eine hübsche Portion Centnergewichte zu legen, bis die Zunge oben nicht nur das europäische, sondern auch das ganze Erdengleichgewicht anzeigt? Kann man sie überhaupt wiegen, wie ein Pfund Zucker? Zwar nicht so, aber doch wiegen. Sie ist schon mehrmals gewogen worden, von dem Engländer Cavendish im vorigen Jahrhundert, von Dr. Maskelyne, von Bietsch in München u. s w., aber bisher immer noch nicht wissenschaftlich genau. Erst dem Präsidenten der astronomischen Gesellschaft in London, Mr. Bailly, ist das ungeheuere Experiment durch jahrelang täglich fortgesetzte Arbeit gelungen. Die wissenschaftlichen Operationen, welche die gemeine Waage wissenschaftlich durch arithmetische, mathematische und physikalische Berechnungen, Schlüsse und Experimente ersetzen, lassen sich ohne höhere, genaue
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_255.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2023)