Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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zwischen den klaren, mondscheinversilberten Umrissen dieser Schönheit kam ich gegen Mitternacht in einen erleuchteten Concert-Garten, die Concordia, wo die vornehmen Damen nach der Oper unter Bäumen kühle Nacht und warme Liebe genießen, scherzen und lachen, als gäbe es kein Leid und keinen Haß in der Welt. Und wie zauberisch duften die blühenden Orangen dazwischen und wie verführerisch lächeln die gewissenlosen, nackten Statuen heidnische Lebenslust! Das ist Italien, Italien in seiner Schönheit und Poesie. Das häßliche, das historisch verdammte Italien mit seinen ausgebrannten Kratern der Geschichte werden wir leider auch kennen lernen.
Als solches sollte ich Italien in Genua’s zweiter Rolle während meiner Anwesenheit sehen. Am 22. Juli Morgens lief eine erbleichendes Flüstern durch die Stadt. „Die Cholera, die Cholera! Sie ist hier!“ Unter den Galeerensklaven des Arsenals waren einige Fälle vorgekommen, aber sorgfältig verschwiegen worden. Sie griff jedoch mit stärkerer Wuth das dort stationirte Militär an, und verbreitete von da aus über Palast und Bettelstab, Hütte und Herrlichkeit einen panischen Schrecken, von dessen Wirkungen man sich in dem moralisch kräftigeren, reinlicheren Norden schwerlich eine Vorstellung machen kann. Der Mond schien Abends auf leere Straßen und bleiche, fliehende Gestalten. Die prächtige, lebenslustige Stadt sah wie ein zum Tode verurtheilter Verbrecher aus. Die Behörden fingen am folgenden Morgen mit Riesenkraft an, das Ungeheuer zu entwaffnen. Sie eröffneten Hospitäler, trieben Nonnen aus ihren Klöstern, um Krankenanstalten daraus zu machen, bildeten medicinische Commissionen, Apotheken zu unentgeltlicher Vertheilung von Medicin, Suppen-, Speise- und Kleiderschenkungsanstalten und Reinigungs-Compagnien, Alles zu spät. Die Schmutzhaufen und stagnirenden Mistpfützen in den engen hohen Straßen, die Verwahrlosung der Menge unter einer bildungsfeindlichen Hierarchie und conservativem Adel trieb jetzt unerbittlich seine Consequenzen. Von 120,000 Einwohnern waren in vierundzwanzig Stunden über 40,000 geflohen, zunächst alle Reicheren, deren Paläste, Geschäfte und Läden geschlossen waren, so daß für die Zurückgebliebenen aller Verkehr, aller Erwerb abgeschnitten blieb. Auf „Berge des Erbarmens“ („Monte di Pieta“, wie das Regierungsleihhaus genannt wird) wurden in den nächsten acht Tagen für
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_253.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2023)