Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
|
Karminhänflinge, Zeisige, ebenso zärtlich als gelehrig, denn sie werden häufig zum Wachestehen, Wasserziehen etc. abgerichtet, die immer rührigen Sanguiniker, die Stieglitze, Stein-, Zaun- und Rohrammern, Gilbersche (Goldammern), seltner Ortolane und Lerchen werden überlistet und verkauft. Unter den Lerchen ist an den Abhängen zuweilen auch die Baum- oder Haidelerche, welche ihres fleißigen Singens wegen sprüchwörtlich geworden ist, aber schwer fortgebracht wird. Man fängt die Lerchen mit dem gewöhnliche Lerchennetze, durch den sogenannten „Lerchenspiegel,“ einem sich quirlförmig drehenden Holze, welches mit Spiegelstückchen belegt ist und wornach die Lerchen stechen, indeß das Netz zuklappt; oder – freilich selten – durch’s Tirassen, wobei man ein Stangennetz über die sich furchtsam duckenden Lerchen deckt, indeß man einen Merlin auf der Hand flattern ließ.
Der Geschicklichkeit und Geselligkeit wegen hält man aber auch Staare, Turteltauben, Dohlen und Meisen. Drosseln aber und Seidenschwänze, Fliegenschnäpper, auch die im Allgemeinen seltneren Weidenmückchen und Wisperlen (S. abietina und trochilus), Zaunkönige, Goldhähnchen, Grasmücken, Wachteln, selbst Rebhühner sieht man häufiger in den Hütten oder vor den Fenstern der freundlichen, aber derben Waldbewohner. Sind doch selbst mehrere Falken und Eulen, Drosseln und Enten Thüringen so recht eigen. Die Königin, die Primadonna des leichten, befiederten Geschlechts aber, die Nachtigall, will auch nicht fern sein von ihrem reichen Hofstaate. Sie hat ihre Wohnung in den nordwestlichen Vorthälern des Gebirgs, welche sich nach der reichen, thüringischen Ebene hin öffnen, aufgeschlagen und läßt dort, oft beschützt durch Landesgesetze, ihren Schlag rein und schwungvoll ertönen, so daß sie den gefeierten wörlitzer Schwestern wenig oder nicht nachstehen wird. Dort hörte auch Schreiber dieses den erhebensten Nachtigallenschlag, dessen er sich entsinnen kann. Der kleine, würdevolle Graurock saß drüben auf einem Baume; ich lag hüben auf dem breiten Aste einer dickbemoosten Buche, der Freund im Grase unter mir. Wir schlürften Göttergenuß. Und der Vogel saß auf einer Birke und sang seinem Vater ein Lob und uns frohen Wanderern einen Reisemuth zu, daß es nur so aus der tief ergreifenden, seelenvollen Melodie und dem raschen, wechselvollen Vortrage hervorquoll.
Ich habe Genua, die „Königin der Paläste“, in dem großen mittelländischen Meerbusen, in drei ganz verschiedenen Kostümen und Rollen gesehen, zuerst in seiner alltäglichen Pracht und Herrlichkeit, als ich im Juli vorigen Jahres mit der Eisenbahn von Turin eingelaufen war. Diese Eisenbahn ist einer der größten Triumphe seiner Art. Durch unübersteigliche Hindernisse, durch Ketten himmelhoher Gebirge, Felsen durchbohrend, Abgründe überspringend, tiefe Thäler ebnend, labyrinthische Windungen gerade streckend, verbindet sie jetzt spielend die schönsten Theile des herrlichen Piemont, die früher sich ferner lagen, als London und New-York. Sie ist das beste Monument des eisernen Regierungswillens, der ziemlich einsam gegen viele, scheinbar unbesiegbare Feinde zu kämpfen und sich zu bewähren verstand.
Anfangs fliegt der dampfbeschwingte Zug über üppiges Wald-, Wiesen- und Weideland an Heerden und malerischen Hütten und Dörfern vorbei. Aber bald zeigt sich das Land in seinem wahren Charakter: Berge, Gebirge, dunkele Wald- und Felsenschluchten steigen auf. Die Lokomotive donnert hinein und der Widerhall ihres fieberischen Athems kracht wie prasselndes Kanonenfeuer. Plötzlich wird es ägyptische Finsterniß, durch welche Lokomotive und Waggons blindlings hinstürzen, ohne sich zu fürchten. Manchmal blitzt ein grelles Licht vom Himmel in die Tiefe, verschwindet aber sofort wieder, bis die betäubenden Donner und die lichtlose Nacht in den Appenninnen plötzlich verschwinden und der Zug in ein Licht und ein Panorama herausschießt, das betäubt und trunken macht, ehe man es ordentlich sehen kann.
Der italienische Himmel blühte in seinem höchsten, reinsten Lichte. Es war um drei Uhr Nachmittags, als wir aus dem Gebirge herausdonnerten und den Palast-Halbmond Genua’s zwischen dem blendenden Meere und den ungeheuern Gebirgslagern im Rücken schimmern und sich strecken sahen. Prächtige Villa’s, hängende Gärten, Terrassen voller Statuen, dunkellaubiger Citronen, Weingärten und Springbrunnen klettern an den finstern Gebirgswellen hinauf bis zu den stacheligen Forts und Festungen, die mit unzähligen schwarzen Augen herausfordernd umherblicken, als wollten sie sagen: daß es Niemand wagt, meine Palast- und alte Handelskönigin hier unten anzutasten! – Sie beherrscht zwar nicht mehr die Oceane, aber noch tragen ihre Wogen eine respektable Flotte von Kauffahrteischiffen aller Zonen und Nationen aus und ein. Der unaussprechlich heitere, wolkenlose Himmel Italiens lacht darüber hin und spiegelt sich in tiefen, azurnen Tinten auf dem strahlenden Meere, das vor Freude zittert unter seinem unaussprechlichen, blauäugigen Lächeln.
Ueber eine deutsche Meile weit kam uns die grandiose Architektur Genua’s entgegen. Wir durchflogen eine lange Vorstadt von stattlichen Palästen, die von Gärten und Grotten, von Statuen, zwischen Orangen und Myrrthen umgeben, den wohlthuendsten Eindruck von Reichthum und Geschmack, von Bildung und Schönheit ausstrahlen. Nachdem wir so eine Weile durch Licht und Schönheit, Größe und Neuheit hindurchgeflogen waren, fing die Lokomotive an, langsamer zu athmen. Alles rückt und regt sich in den Waggons, ein schrillender Pfiff, ein Stoß und der Zug steht und öffnet seine Thore.
Unter einem Wirrwar zudringlicher Cicerone’s wähle ich mir den ältesten und würdigsten aus und lasse mich geduldig führen, aber nicht eher, bis ich „Genua im Kleinen“, den „Auszug Genua’s“, den „Palazzo del Principe“, gerade dem Eisenbahnhofe gegenüber, mit vollen Zügen bewundert habe. Ueber diesen feenhaften Colonnaden, auf diesen Terrassen, die über das Meer hinausragen, zwischen den Meisterwerken Pierino del Vaga’s wandelte und waltete vor drei Jahrhunderten Andrea Doria, der gewaltige Doge, welcher selbst Rom erstürmte, und stürzte die Verschwörung des Fiesko in’s Meer. – Dann geht es über eine Piazza, wo das Meer schöner noch, als vorher, herauflächelt, Straßen hinab zwischen Marmorpalästen hindurch an ungeheueren Kirchen vorbei, durch deren offene Thüren Wachskerzengeruch dringt und deren Licht die erhabenen Schiffe und goldenen Decken schwach und phantastisch erleuchtet, in eine hohe, lange, enge, dunkele Straße hinein, die kaum zwei Menschen an einander vorbei läßt und doch von Menschen und Eseln, von feilen Blumen und Früchten, Juwelierläden, Conditoreien, Priestern und Soldaten, von graziösen, weißschleierigen Damen und malerisch angeputzten Bauermädchen wimmelt, durch noch engere Windungen hindurch in einen großen Hof mit Arcaden und schwarzen und weißen Marmortreppen, hinauf in eine freskogemalte Halle, von der ein Kellner mich in ein Zimmer führt. Ich war im Gasthofe, wo es sehr lebendig und lustig, recht gesprächig und anständig zuging.
Den folgenden Tag kam mir die „Stadt der Paläste“ noch imposanter und schöner vor. Sie trug eine so alte, stattliche und doch so modern lebendige Physiognomie. Die Größe und der Glanz der Vergangenheit ist noch nicht verwittert, die Marmor-Architekturen glänzen noch, die Statuen schimmern noch weiß aus dem quelligen, saftigen Grün, und zugleich zeigt sich das gegenwärtige Geschlecht äußerst rührig und thätig, um an allen Arbeiten, Produkten und Genüssen der jetzigen Kultur Theil zu nehmen. Keine Ruinen, kein Verfall. Noch geht es hoch und glänzend her hinter den Marmorwänden in freskogemalten Hallen; auf den Straßen wimmelt es von dichter Bevölkerung und blendend schönen Damen, die wegen ihres geschmackvollen Putzes, ihrer vornehmen Blässe und ihres graziösen Ganges in wallenden Kleidern mit dem langen, transparenten „pezzoto“ weit und breit berühmt sind, obgleich sie in Gesichtsbilung den feingemeißelten Toskanerinnen und runden, blitzäugigen Schönen Roms nachstehen sollen. Ich zog vor, den Abend im Freien zu genießen und bereuete es nicht. Auf die vereinsamte Aquasola stieg der Mond im hellsten Glanze hernieder und gab den prächtigen, architektonischen Formen, Bäumen und Statuen umher neue Reize. Aus dem Hintergrunde sahen die Gebirge mit riesigen, geisterhaften Gesichtern herab. Umherwandelnd
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_252.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2023)