Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Wesen gegen ihre Dienstboten bei ihr bemerkt haben. Ihre Schwester Caroline nennt sie „mäßig, aber treu und anhaltend in ihren Neigungen." Als Schiller bei seinem ersten Aufenthalt in Volkstädt den Schwestern die Odyssee vorliest, fühlte Caroline einen neuen Lebensquell durch ihre Seele rieseln, Charlotte aber schläft einige Mal dabei ein, liest indessen ein halbes Jahr später den Aeschylus und Sophokles selbst vor und freut sich innig „über die Wahrheit und Einfachheit“ dieser Dichter. In seinem ersten Liebesbriefe beklagt sich Schiller über Charlotten’s oft „seltsame Kälte“ und „abgemessenes Betragen“, - schreibt Beides aber schon bald ihrer stillen Ruhe der Empfindung zu. So war Schiller’s Braut.
Jene einzige, schöne Zeit der Schiller Goethe-Epoche, die einen weiten Kreis edler, bedeutsamer und großer Männer und Frauen gleichsam zu einer stillen Gemeinde der Geister und Seelen vereinte und wohl als die feinste und edelste Blüthe dieses einen und zwar hauptsächlichsten Theiles deutschen Lebens repräsentirte„ hat uns in ihrer Geistes-, Gefühls- und Schreibseligkeit einen Reichthum von Briefen hinterlassen, deren herausgegebene Sammlungen einen großen Theil der Literatur dieses halben Jahrhunderts ausmachen. Wenn sie auch viel Nichtiges enthalten, bilden sie doch einen außerordentlich wichtigen Beitrag für die Geschichte unserer Literatur und Kultur. Für unsern Zweck hier benutzen wir sie nur zur ferneren Unterstützung der Behauptung, daß Charlotte von Lengefeld nicht die eigentliche Geliebte des Dichters war. - So haben z. B. neuere Sammlungen dargethan, daß früher erschienene Briefe Schiller’s, vermeintlich an Charlotte gerichtet, nicht dieser, sondern Carolinen und oft beiden Schwestern zugleich gelten, und das, was darin der älteren galt, von dieser der jüngeren überwiesen, als dieser angehörig betrachtet, wenigstens bezeichnet wurde; daß Caroline manche direkt an sie gerichtete Briefe, - der Schwester Schiller’s und auch wohl der Welt zu Liebe, - eigenhändig mit der Aufschrift an Charlotte versehen hat. Doch auch außerdem, nur aus dem übrigen Vorhandenen, läßt sich jene Annahme bestätigen und man braucht dazu nicht einmal viel „zwischen den Zeilen zu lesen“; man braucht nur das mannigfach Zerstreute in einigen Zügen zusammenzustellen.
Schiller kannte sich in manchen Momenten besser als ihn viele Andere kannten; einige Tage vor seinem ersten Besuche in Rudolstadt schreibt er: „Bei einer ewigen Verbindung, die ich eingehen soll, darf Leidenschaft nicht sein;“ – ein Paar Tage nach jenem Besuche, – den er freundlich aber kurz erwähnt, – meint er: „Eine Frau, die ein vorzügliches Wesen ist, macht mich nicht glücklich, oder ich habe mich nie gekannt.“
Zu Anfang des Jahres 1788, kurz vor seinem längeren Aufenthalt bei Rudolstadt, ging er ganz praktisch-ernstlich mit dem Vorhaben herum, zu heirathen. Er schreibt: „Es bleibt dabei, ich heirathe. Ich sehne mich nach einer bürgerlichen Existenz und das ist das Einzige, was ich noch hoffe. – Eine Frau habe ich noch nicht, aber gebe Gott, daß ich mich nicht ernsthaft verplempere.“ Ende Mai schreibt er von Volkstädt aus recht herzlich über die Familie Lengefeld-Beulwitz, will aber nahe Anhänglichkeit an dieses Haus und eine „ausschließliche an irgend eine einzelne Person aus demselben“ vermeiden. Ende Juli wird ihm die Trennung von diesem Hause um so schwerer, „weil ich durch keine leidenschaftliche Heftigkeit, sondern durch eine ruhige Anhänglichkeit, die sich allmälig gemacht hat, daran gehalten werde.“ Gleichzeitig erscheint ihm Charlotte „nicht ganz frei von einer coquetterie d’esprit“. Mitte November schreibt er: „Mein Herz ist frei. Ich habe es redlich gehalten, was ich mir zum Gesetz gemacht: ich habe meine Empfindung durch 'Theilung' geschwächt und so ist sie als Verhältniß innerhalb der Grenzen einer herzlichen, vernünftigen Freundschaft.“ – Noch im Frühjahr 1789 schreibt er: „Könnte mir Jemand eine Frau mit zwölftausend Thalern verschaffen, mit der ich leben, an sie mich attachiren könnte, so wollte ich in fünf Jahren eine „Fridriciade“, eine klassische Tragödie und ein halbes Dutzend schöne Oden liefern.“
Stellen wir mit diesen Zügen einzelne Stellen aus Briefen an Caroline und Charlotte zusammen; als bedeutungsvolles Motto dazu diene Carolinen’s beziehungsvolles Wort: „Schiller bedurfte immer eines Lebens in Ideen und meine ganze Stimmung begegnet ihm.“ Im Sommer 1788 schrieb ihr Schiller: „Ich möchte soviel sagen und wenn ich von Ihnen gehe, habe ich nichts gesagt. Bin ich bei Ihnen, so fühle ich nur, daß mir wohl ist und ich genieße es mehr still, als daß ich es mittheilen könnte;“ – im Februar 1789 den beiden Schwestern zugleich. „Ich wollte Ihnen bei dieser Gelegenheit einige Geständnisse ablocken, welche Sie aber gar verständlich umgangen sind. Doch hat mich Caroline raisonnabler behandelt als Lottchen. Caroline hat mir doch eine Hinterthür gelassen, und eine freundschaftlichen Vergleich auf’s Tapet gebracht, Lottchen aber fertigte mich trocken und kurz ab," - am 3. August 1789, nachdem er in Lauchstedt Charlotten’s Liebeserklärung fast ausdrücklich erhalten hatte, an Caroline. „Welch schöne himmlische Aussicht liegt vor mir. Welche göttliche Tage werden wir einander schenken! Wie selig wird sich mein Wesen in diesem Cirkel entfalten! Ich habe mich selbst wieder gefunden und lege einen Werth auf mein Wesen, weil ich es Ihnen widmen will. Ja, Ihnen sollen alle meine Empfindungen gehören; alle Kräfte meines Wesens sollen Ihnen blühen! In Ihnen will ich leben und meines Daseins mich erfreuen. Ihre Seele ist mein – und die meinige ist Ihnen;" – drei Wochen später, von Jena aus, an beide Schwestern: „Dein Brief, theuerste, liebste Caroline, hat meine Seele tief ergriffen. – – Vor meiner Seele steht es verklärt und helle, welcher Himmel in der Deinigen mir bereitet liegt. - - Wir haben einander gefunden, wie wir für einander geschaffen gewesen sind. In mir lebt kein Wunsch, den meine Caroline und Lotte nicht unerschöpflich befriedigen können. – Unsere Caroline habe ich blos ahnen können. Ihr Geist überraschte mich, in ihr ist etwas Edles und Feines, das man idealisch nennen möchte, – ihr ganzes Wesen hat einen gewissen Glanz, der mich blendet. Gewiß, sie ist ein ungewöhnliches Geschöpf und wollte der Himmel – es würde wahr und sie wäre unser auf ewig.“ – Noch ein paar Stellen aus einem Briefe an beide Schwestern vom 15. November 1789 mögen diese Citate beschließen: „Du kannst fürchten, liebe Lotte, daß Du mir aufhören kannst zu sein, was Du mir bist. So müßtest Du aufhören, mich zu lieben! Deine Liebe ist Alles, was Du brauchst, und diese will ich Dir leicht machen durch die meinige. Ach, das ist eben das höchste Glück in unserer Verbindung, daß sie auf sich selbst ruhet und in einem einfachen Kreise sich ewig um sich selbst bewegt. – – Caroline ist mir näher im Alter und darum auch gleicher in der Form unserer Gefühle und Gedanken. Sie hat mehr Empfindungen in mir zur Sprache gebracht als Du, meine Lotte, – aber ich wünschte nicht um Alles, daß das anders wäre, daß Du anders wärst als Du bist. – Nur Dein Schicksal, meine Caroline, ist es, was mir Unruhe macht – ich kann dieses trübe Verhältniß noch nicht aufklären, und es wird noch verwirrter, wenn ich an meine Lage denke. Bleibe ich in Jena, so will ich mich gern ein Jahr und etwas darüber mit der Nothwendigkeit aussöhnen, daß Du mit B– (Beulwitz) allein lebst. Von diesem Jahr kannst Du die Hälfte bei uns zubringen und die kleinen Zwischenräume der Trennung machen es erträglicher. – – Wenn sich Dein Verhältniß nun nicht mit gleichem Schritte entwickelt, so kämen wir auf ein ganzes Jahr auseinander. Das darf nicht sein. – – Es war mir doch lieb, zu sehen, daß die chère mère auf die Trennung von B. schon gedacht hat.“
So lebte Schiller in einem eigenthümlichen Doppelleben der Liebe, und es liegt wohl nicht fern, daß er an eine Ehe, wie Graf Gleichen sie führte, wenigstens in seelischer Hinsicht dachte. Auch Charlotte hat daran wohl gedacht, und wenn wir die darauf bezügliche Stelle recht erfaßt haben: mit einer herrlichen Seelenruhe. Am 6. April 1789 schreibt sie an Stein: „Jetzt lese ich Müller’s Schweizer-Geschichten. Es ist mir gar lieb, daß er die Geschichte von Wilhelm Tell nicht widerlegt, wie Andere gethan haben. Es soll gar nichts Artiges auf der Welt mehr vorgehen; ein Pater in Erfurt hat auch die Geschichte vom Grafen von Gleichen widerlegt. Sehen Sie, daß unser Geschlecht recht gut ist, denn wir glauben gern, daß es wahr sein könne, dass ein Mann existirt habe, der zwei Frauen so lieben kann, und der ersten Geliebten doch immer so treu geblieben ist, wie Graf Gleichen.
Durch all dies Gegebene dürfte das Negative in dem Liebesverhältniß Beider fixirt sein. Das Positive darin, das was Beide doch immer eifriger und sehnsuchtsvoller zu einer Vereinigung drängte, sie glücklich und dauernd glücklich machte: war bei Schiller das Bedürfniß zu lieben und geliebt zu sein, wirken zu können und ein Wesen um sich zu haben, das sein Geschöpf werde, das unter den Flügelschlägen seines Genius sich entfalte, ihm sein Inneres Dasein verdanke. Er liebte Charlotte, wie ein edler Gärtner
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_247.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)