Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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nur auf ein Jahr verpflichten, gleichviel, ob sie’s gut haben oder nicht. Nur Einzelne können der Versuchung, sich zum nächsten 1. October wieder zu Markte zu bringen, widerstehen, da mit dem Gesindehandel sich gar zu lustige Geschichten verbinden.
Der „Mop“ zerfällt in zwei Theile: Geschäft und Vergnügen. Das Geschäft bringt ein Aufgeld, einen Kaufschilling, der Nachmittags natürlich verjubelt werden muß.
Die Dienstboten, welche sich ausbieten, stellen sich sofort nach ihrer Ankunft in regelmäßigen Reihen, eine von Mädchen, die andere von Burschen, wie eine lebendige Straße auf dem durch Sitte und Gewohnheit genau bestimmten Platze, dem Markte, auf und halten sich hier ohne die geringste polizeiliche Einmischung in stattlichster Ordnung.
Etwa um 11 Uhr steht das „Geschäft“ in vollster Blüthe. Mein Farmer nahm sich kaum Zeit, Mittagessen zu bestellen und seine beiden „Ponies“ der substanziellsten Pflege zu empfehlen, um noch zu rechter Zeit aus der Fülle von „Angeboten“ seine „Einkäufe“ zu machen. So drängte er unbarmherzig, aber stets mit einem freundlichen „pardon“ seine dicke, starke Körpermasse durch Menschen-, Honigkuchen-, Raritäten- und Theaterlabyrinthe, bis er in der lebendigen Arbeitsausstellungs-Straße angekommen war. Ein Brausen des Unwillens fährt ihm durch Mund und Nase, wie er die Fülle des „Angebotes“ so mager ausgestattet sieht, und er schimpft ehrlich auf die baltische Flotte und die „Ost-Expedition,“ welche so viele „Angebote“ vom Markte weg zu unproduktiver Arbeit weggeführt habe. Zugleich ist die Zahl der „Nachfragenden“ ungewöhnlich groß, so daß die „Angebote“ auf beiden Seiten, am Stärksten freilich auf der linken der Männer gar kostbare Gesichter machen, als wollten sie gleich von vornherein zu verstehen geben: Denkt heuer nicht an Spottpreise. Wir sind gestiegen!
Nichts war amüsanter und origineller, als hier die Manipulationen der Sclavenmärkte Amerika’s gegen freie Menschen practiciren zu sehen. Hier wandert mit kritischem Blick eine dicke Dame an der weiblichen Reihe entlang und macht offenbar phrenologische Studien, um mit Hülfe der Wissenschaft eine gute Wahl für die nächsten zwölf Monate ihres häuslichen Glücks zu treffen. Dort examiniren Andere wegen des Melkens, Butterns und Käsens, ob Nadelarbeit, Haarfrisirungskunst und Accoucheur-Wissenschaft für Kühe u. s. w. sich vereinigen. Dabei werden Arme und Taillen untersucht, Papiere examinirt, Preise geboten und verworfen, Unterhandlungen abgebrochen und geschlossen, als wenn es sich eben blos um Waaren handelte. Am Sclavenmarktartigsten benehmen sich die Männer. Dort befühlt Einer Arm- und Beinmuskeln eines Knechtes, untersucht seine Handgelenke und unterwirft ihn vom Kopfe bis zum Fuße der detaillirtesten Kritik, Alles mit einer Miene, der man die ernsteste, kaltblütigste Berechnung ansieht, wie viel Arbeitswerth er wohl aus dieser Sammlung von Muskeln und Knochen herausschlagen könne. Wie in allen Kaufgeschäften sucht der Kauflustige die Waare durch Aufzählung verschiedener Fehler zu entwerthen, während „die Waare“ auf Vorzüge aufmerksam macht, die gar nicht mit Geld zu bezahlen seien. So rühmte sich zu meinem Farmer Einer, daß er mit den Pferden sprechen könne, wie Keiner auf dem ganzen Markte und dies eine Kunst sei, welche man mit auf die Welt bringen müsse, da sich das „Genie“ dazu nicht erlernen lasse. Ein Mädchen, die er schon mit den Worten abgespeis’t hatte: „du taugst nichts, meine Liebe!“ rief ihm nach, daß sie keinen Liebhaber halte, da der ihrige mit in den Krieg gegangen sei und sie warten wolle; da könne er lange suchen, ehe der solch’ ’ne noch ’mal auf dem Markte fände.
Als mein Farmer rasch herum geforscht und sich von den durchgängig höhern „Marktpreisen“ überzeugt hatte, entschloß er sich rasch zum Ankauf zweier Mädchen, denen er nach einiger Examination den Kaufschilling, das „Ernstgeld“ (earnest-money) einhändigte, um mit größerer Gewissenhaftigkeit einen Knecht ausfindig zu machen. Als er einen nach seinen Ansprüchen gefunden, nahm er ihn mit in die Schenke, um bei einem Glase Bier den Contract gewissenhaft abzuschließen. So wurde die Doppelreihe dünner und immer dünner, da die „Waaren“ ziemlich rasch abgingen. Um ein Uhr war der Geschäftstheil zu Ende, denn die wenigen, welche dann noch übrig waren, verzettelten sich auch, um zum Nach-Markte wieder zu erscheinen, und inzwischen, so gut es ohne „Ernst-Geld“ sich thun ließ, an den allgemeinen Volksbelustigungen Theil zu nehmen. Der Menschenmarkt wird nun die babylonische Vergnügungs-Messe. Die Clowns (Hanswürste) brüllen und grimassiren bemalt und bunt geflickt von bemalten Brettern in Gesellschaft bemalter und ausgestopfter Damen, die in dem Costüme ihrer Rolle auftreten; ein paar Dutzend Mißtöne aus Trompeten zerreißen das Ohr, ein paar Dutzend andere bereits heisere Stimmen appelliren gleichzeitig durch furchtbare Sprachtrompeten an sämmtliche „Lady’s and Gentlemen“ (d. h. das Gesinde, welches mit „Ernst-Geld“ in der Tasche sich verkauft hat und nun die letzten Stunden der Freiheit in vollen Zügen genießen will); Trommeln wirbeln und donnern, die große Pauke bombardirt, Cymbeln und Schalmeien, heisere Clarinetten, schnorrende Posaunen, gurgelnde Leierkasten, Ausrufer von Zwergen, Riesen und Mißgeburten, von Krokodilen, Meeres- und Landeswundern aller Zonen, von Ginger bread (eine Art Honigkuchen), Schwanen, geräucherten Fischen, Kaffee, Thee, Bier, Branntweinen, gerösteten Kartoffeln, gebratenen Würsten, Austern, Schnecken, Krebsen, Krabben und Seegarneelen (den beliebten „Shrimps“), von gelehrten „Schweinen“ hinter kostbaren Vorhängen und Brettern, von großen Ritterschauspielen hinter zwanzigfarbiger Pappe, von Preis-Boxern, Schießständen (einen Penny der Schuß, wie fast Alles einen Penny kostet), von Wettrennen auf Esel- und Pferdeskeletten – alle diese Harmonien der Sphären umsäuseln immer gleichzeitig die tausendfach zerrissenen Sinne.
„Haben sie je ’n Krokodil lebendig sehn?“ krächzt mit furchtbarer Kraft eine schon in unausbesserliche Fetzen zerrissene Stimme dicht an meinem Ohre. „Nee, Sie thaten es nicht. Sehr wohl. Also hier ist eins. Hier herein, Lady’s und Gentlemen!“
„Angelangt so eben,
Frisch und voller Leben
Ein ungeheures Krokodil,
Von den fernen Ufern des Nil.“
Und nun geht die Trompete an seinen Mund, und aus ihr stürzt sch ein so diabolisches Gemisch von kreischender Höllenpein, daß ich die Flucht ergriff, als wäre das ungeheuere Krokodil an meinen Hacken.
Aber nach allen Seiten kommt man aus der Scylla in die Charybdis, aus einem Regen in die Traufe. Jetzt brüllt Einer durch einen entsetzlichen Stockschnupfen von wahrem Verdienst für einen Penny in mein Ohr: „Wollen Sie wahres Verdienst sehen? Thun Sie’s wollen? Wohlan denn, hier ist der Ort. Hier werden Sie sehen den Mann, der Steine zerbricht mit seiner bloßen Faust. Das ist’s, was ich wahres Verdienst nenne. Sie werden sehen, wie er’s that. Das muß man sehen. Er wird ’n Stein von 40 Pfund Gewicht zerbrechen. Der Stein wird vor Ihren Augen gewogen. Keine Täuschung, wie in andern Geschäften. Sie werden’s ihn thun sehen. Das ist reelles Verdienst, welches in diesem freien Lande immer gewürdigt wird. Er hat kein bemaltes Gesicht. Reelle Couleur! Wir verstecken uns nicht hinter ein Krokodil, wir zeigen reelles Verdienst. Der Held, der Steine bricht, von 40 Pfund Gewicht, mit der bloßen Faust, Lady’s und Gentlemen, er wird nach der Krim gehen und die Civilisation rächen. Bedenken Sie ihn! Schätzen Sie wahres Verdienst! Achten Sie reelles Verdienst. Hier ist der Ort und blos einen Penny! Immer ’rein, Lady’s und Gentlemen!“
Daneben steht ein Mann im Costüme Karl’s I., wie er auf’s Schaffot stieg, in Strumpfhosen, mit fliegendem Mantel, nach unten zugespitztem Kinnbart und Vandyke-Halskragen. Er predigt mit Würde von seinen Verdiensten, die er sich seit zwanzig Jahren als „Professor der Toxicologie“ (Lehre von den Giften) um die leidende Menschheit erworben. Sein Compagnon, buntscheckig von Unten bis Oben beschmiert, schüttelt unter verschiedenen Grimassen, welche die Wirkung der verschiedenen Sorten von Medicin, die er feil hat, andeuten mögen, seine Schellenkappe, und ist zugleich Cassirer, sogar auch Eigenthümer des ganzen Schwindels, wie ich beiläufig erfuhr.
Und vertraut sich denn die Menge wirklich solchen öffentlichen Heilanden an? Und wie! Der Mann hat eine Menge eben so glückliche Collegen, zählt alle Leiden der Menschheit auf und die einzig sichern Mittel dagegen, wie sie hier allein ächt und billig zu haben seien; und die Menge horcht und besinnt sich ein Weilchen und sieht Einen und wieder Einen kaufen, wobei Dieser und Jener Geschichten von wunderbaren Wirkungen gegen schreckliche Leiden aus der Apotheke dieses Wohlthäters der Menschheit
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_236.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)