Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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während sie selbst die granitne Erhabenheit der Forts und Festungswerke im Trocknen zermalmen.
Dundas soll 30 dieser schwimmenden Batterien mitbekommen zu seinen 20 Schraubendampf-Kriegsschiffen à 80 bis 120 Kanonen, 35 Fregatten und unzähligen kleineren Fahrzeugen mit 100,000 Mann. Diese neue Flotte ist sonach noch viel gewaltiger, als die Napiers, abgesehen davon, daß sie klüger und kriegerischer geworden und fest entschlossen sein soll, die in’s Wasser gefallene Flottenehre wieder heraus und in’s Trockne zu bringen. Der Privat-Enthusiasmus der Engländer hat und schafft wenigstens die Mittel dazu und hat die Regierung, wie überhaupt zum Kriege, auch dazu genöthigt, diese Mittel anzunehmen, da sonst die Drohung mit einer Privat-Banque zur Führung des Krieges (einer bedeutungsvollen Kategorie) wahrscheinlich ausgeführt worden wäre. So läßt denn die Regierung auch wirklich die schon lange in den Zeitungen besprochenen Nasmyth’schen Kanonenriesen von Schmiedeeisen ausführen, welche Kugeln von 2 bis 300 Pfund in die dicksten Granitfelsen schmettern. Ein Regen von solchen Kugeln aus den schwimmenden Batterien, meint Nasmyth, müsse ganz Kronstadt mit Zubehör zu Wasser machen können. Wenigstens würden die vorhandenen Mittel dazu einen vortheilhaften Frieden beschleunigen und sichern, weil nach der politischen Gerechtigkeit Jeder desto mehr sich friedlich herausnehmen könne, jemehr er das Recht dazu durch seine Kriegsmittel nöthigenfalls praktisch zu beweisen im Stande sei.
James Nasmyth mit seiner „Bridgewater“ Schmiede in Patricoft bei Manchester ist der berühmteste Eisenmann Englands und ein Schmied von europäischem Rufe. Er versteht und behandelt das Eisen wissenschaftlich, aber nur im Großen mit Dampfeisenhämmern, wo ein Schlag mehr thut, als 2000 der schwersten Hämmer in den üblichen Handschmieden. Eine Ansicht eines solchen Dampfhammers ist ein interessanter Anblick. Er besteht aus einer massiven Eisenkeule von einigen tausend Centnern, die durch Dampf getriebenes Räder- und Hebelwerk geschwungen wird. Der Theil des Hammers, welcher die zu schmiedenden Eisenmassen trifft, kann durch Einschieben verschiedener eiserner Formen auch zu verhältnißmäßig feiner Arbeit verwendet werden, so daß er glatte Ebenen, Auskehlungen aller Art und mathematisch genaue Formen bis zum vollkommensten Halbcirkel aushauen kann. Das Interessanteste in einer solchen Dampfschmiede war mir die leichte Arbeit der Leute unter den ungeheuersten Eisenmassen, von Stücken, welche hundert Riesen noch nicht einmal rücken und rühren können würden. Der Dampf bringt sie mit seinen vielen Flaschenzug- und Hebelarmen spielend, rasch und pünktlich überall hin, wo sie gebraucht und verlangt werden. Auch wo die rohe, menschliche Kraft nöthig ist, zum Karren und Schieben, zum Fortschaffen und Bringen, wird sie durch vortreffliche Hülfsmittel so bedeutend unterstützt, daß ein Mann für drei arbeiten kann, ohne sich zu übernehmen.
Für Herbeischaffung von Kohlen giebt es Handeisenbahnen, für die Handhabung schwerer, eiserner Instrumente Flaschenzüge und Hebel, die mit Riesenkraft gehorsam sind, wie ein befreundeter menschlicher Arm. So ist es eine Lust, als Laie solchem technischen Spiele mit mächtigen Eisenmassen, ihrer Gestaltung zu genauen, mathematischen Formen, dem accuraten, netten, flüssigen Ineinandergreifen von Rädern und Zähnen, den spiegelblanken, öligen Drehungen der Axen, den haarscharf abgegrenzten Stößen von mannsdicken Kolben, den vielpferdekräftigen Wirkungen einer einzigen Fingerbewegung an diesem oder jenem Theile des weithinwirkenden, stets frischen, nie müden oder mürrischen Maschinen-Organismus zuzusehen und den kleinen Menschen dazwischen in seiner ganzen Kultur- und praktischen Wissenschaftsgröße.
Was die großartigsten Produkte der Dampf-Hammer-Schmiede, die Kanonen von Schmiedeeisen betrifft, so lassen wir den Autor derselben, James Nasmyth, selber reden, wie er die Sache vor einigen Wochen in der Times darstellte:
„Wenn ich Ihnen sage, daß die Kraft des Schmiedeeisens sich zu dem Gußeisen wie 6 zu 1 verhält, begreifen Sie gewiß ohne Umstände, wie wichtig dieses Verhältniß in Bezug auf Kanonen ist. Ein sechsfach größerer Widerstand gegen Explosion des Kugeln schleudernden Körpers giebt uns eine sechsfach größere Gewalt und Tragweite gegen die bisher für uneinnehmbar gehaltenen Festungen. Was würden wir von einem Manne halten, der Gußeisen für Lokomotivräder-Axen oder für Schiffsanker vorschlüge? Aber ist es nicht unendlich abschreckender, Gußeisen für Kanonen zu verwenden, da praktische Männer bereits wissen, daß die Cohärenz, die Zähigkeit im Zusammenhalten, des Gußeisens desto rascher und bedeutender abnimmt, je dicker und massiver der Körper ist, den wir daraus machen? Und warum werden nun doch gußeiserne Kanonen beibehalten, denen doch mehr zugemuthet wird, als den Ankern und Eisenbahn-Axen? Warum opfern wir lieber Tausende von Menschen und Millionen von Pfunden, da wir doch mathematisch wissen, daß wir mit den bisherigen Mitteln den Festungen des Feindes nichts anhaben können? Wie viel Tausende von Kugeln sind in die Luft oder machtlos gegen Granit und Festung geschossen worden, obgleich die Sachverständigen wissen müßten, daß dies reines Kinderspiel sei! Ich sage, ohne Schmiedeeisenkanonen ist nichts zu machen. Nur Schmiedeisenkanonen, welche Zwei- bis Dreihundertpfünder aus Entfernungen, die dem Feinde unerreichbar sind, gegen dessen Befestigungen schleudern, können uns einen Erfolg im Kriege und einen ehrenvollen Frieden sichern. Meine Dampfhämmer sind im Stande, mit Hülfe meines lebenslänglichen Studiums und Prakticirens in Verarbeitung großer Eisenmassen, mit Hülfe meines Herzens und Patriotismus, diese Kanonen zu liefern. Sollten auch Andere mit Ausführung derselben betraut werden, soll es meine größte Freude sein, mit meiner Erfahrung nach Kräften zu helfen.“
Der Brief traf in die Festung der monopolisirten englischen Aristokratie, da dem Schreiber Hunderttausende von Pfunden aus Privatmitteln angeboten wurden und der Fall Englands vor Sebastopol nicht mehr zu beschönigen und zu beschminken war. Das Aberdeen-Ministerium gab James Nasmyth unbegrenzte Vollmacht, seine Pläne für die Regierung auszuführen. Damit aber auch das inzwischen zu Stande gekommene neue Ministerium zeige, daß es seine Erbweisheit nicht aufzugeben gedenke, fingen sich ein Paar Kriegsministerien über die Formen jener Vollmacht zu zanken an, so daß Nasmyth, nachdem er Alles in Gang gebracht, Befehl bekam, bis auf Weiteres Ferien zu machen. Der Herzog von Newcastle, damals Haupt des siebenköpfigen Kriegs-Ministeriums, vom Unterhause darüber zur Rede gesetzt, entschuldigte sich damit, daß solche Mißverständnisse und Ferien unter jedem Verwaltungssystem vorkommen könnten. Später einigten sich die Herren, da man inzwischen wieder mit einem Schmiedeeisenkanonen aus Privatmitteln drohte, so daß nun wirklich diese Kanonen gehämmert werden und den allerstärksten Versuchen, sie zum Platzen zu bringen, bereits ihren unerschütterlichen Eisentrotz entgegengesetzt haben. Uebrigens brauchen sich deshalb Kronstadt und Sebastopol noch immer nicht ernsthaft zu fürchten, denn auch das Ministerium Palmerston entwickelt ein riesiges Talent, Personen und Sachen immer da anzustellen, wohin sie gar nicht passen und Herren zu Ministern von Abtheilungen zu machen, von denen sie nicht das Geringste verstehen; dagegen sie von allen Sphären abzuhalten, welche sie gerade fachmäßig studirt haben.
So steht vorläufig noch zu erwarten, daß immer ziemlich jedes Ding und jede Person dahin gestellt werden wird, wo es den meisten Unfug anrichten kann, damit es überall fehle, wo es hingehört, so daß also auch die Schmiedeeisenkanonen sich überall hin verirren mögen, ehe sie mit ihren großen Augen sich Kronstadt und Sebastopol ansehen. Das ist so Regel im officiellen England, wo nach Dickens vortrefflicher Schilderung der neuen großen Röcke für die Straßen-Constabler immer der kürzeste Polizeimann für den längsten Rock und der längste für den kürzesten, der dickste für den engsten mit feinem Kennerauge herausgesucht und mit officieller Gewalt hineingesteckt ward.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_227.jpg&oldid=- (Version vom 2.5.2023)