Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
|
zu können. Auch an Amalia’s Liebe durfte er nicht zweifeln; sie hatte ihm ja in einem langen Briefe ihre Verhältnisse enthüllt und ihn zu der Unterredung veranlaßt, die er mit dem alten Grafen gehabt. Wir fügen noch hinzu, daß er die in dem Briefe geschilderten Verhältnisse mit denen zusammenstellte, die ihm selbst bekannt waren, und daß er zu seiner freudigen Ueberraschung gefunden: der Vater Amalia’s sei ein Freund seines eigenen gewesen. Hieraus erklärte sich sein Auftreten gegen den Grafen von Funcal, so wie sein Wissen um Dinge, die ihm Amalia nicht mitgetheilt haben konnte. Er hielt dafür, daß der Graf Alles aufbot, um Amalia’s Neigung zu ersticken, und daß er ein solches Mittel wählte, konnte ihn nicht wundern, wenn er der schon seit Jahren fein angelegten Erbschleicherei desselben gedachte. Außerdem auch mußte der Vormund keine unbedingte testamentarische Gewalt über seine Mündel besitzen, da er das Zwangsmittel der Verdächtigung und nicht die Autorität anwendete, deren er sich rühmte.
Gleich nach der Abreise erschien Barchon; er brachte folgende Zeilen von Amalia:
„Ich verrichte meine Vesperandacht im Dome – erwarten Sie mich dort.“
Vor der festgesetzten Zeit war der feurig liebende Albrecht an Ort und Stelle. Das majestätische Gotteshaus war angefüllt mit Gläubigen, welche die sogenannten kleinen Heiligthümer, an der Kanzel angebrachte Kostbarkeiten von großem Werthe, bewunderten. Zeit und Ort waren zu einer geheimen Besprechung völlig geeignet. Mit unruhig klopfendem Herzen beobachtete er jede Gruppe der Betenden, er ging von Altar zu Altar, von Säule zu Säule – Amalia war nicht zu entdecken. Eine falbe Dämmerung herrschte bereits in den hohen Hallen, als er eine schwarzgekleidete Dame vor einem einsamen Seitenaltare erblickte; sie sah zur Seite – es war Amalia. Zitternd kniete er neben ihr auf der Steinstufe nieder.
„Amalia!“ flüsterte er.
„Vorsicht, lieber Freund, dort betet der Graf. Uns bleiben nur zwei Minuten –“
„Amalie, entziehen Sie sich jenem Menschen, folgen Sie mir als meine Gattin, wir bedürfen des Vermögens nicht – ich bin reich und unabhängig.“
„Unabhängig?“ fragte sie und ihre schmerzlichen Blicke trafen ihn, Blicke, die ihre furchtbaren Zweifel verriethen.
„Glauben Sie mir nicht?“ fragte er zitternd. „Amalia, Tod und Leben hängt von Ihrem Entschlusse ab! Vertrauen Sie meiner heißen, aufrichtigen Liebe! Opfern Sie Ihr Vermögen – aber lassen Sie mich nicht allein reisen!“
Mit flehenden Blicken sah er zu ihr – Thränen standen in ihren schönen Augen, und die liebliche Stimme bebte, als sie zurückflüsterte:
„Albrecht, ich kann Sie jetzt noch nicht begleiten!“
„O, Sie lieben mich nicht! Ich will Sie, nur Sie besitzen! Sie senden mich in den Tod, wenn ich ohne Gewißheit gehe!“
„Ich liebe Sie, Albrecht; aber haben Sie Mitleiden!“ schluchzte sie leise. „ Ach, ich muß Ihnen ja vertrauen, ich kann nicht anders! Haben Sie nicht Beweise davon erhalten? Ich glaubte den Grafen einzuschüchtern, indem ich Sie in meine Geheimnisse einweihte und mein Vertheidiger zu sein bat – dieser Schritt hat die entgegengesetzte Wirkung hervorgebracht – ich bin zu der Ueberzeugung gelangt, daß mich der fürchterliche Mensch völlig in seiner Gewalt hat. Er kann mich und Sie verderben.“
„Amalie, lassen wir uns nicht durch leere Drohungen schrecken, man zeigt Ihnen wie mir ein wesenloses Gespenst. Was kann er gegen meine Gattin unternehmen? Was kann er Ihnen, außer Ihrem Vermögen, entziehen?“
„Sein Neffe ist angekommen, derselbe Funcal, den Sie verwundeten –“
„Ich weiß es. Er wirbt um Ihre Hand, und Sie, Amalie, scheinen nicht abgeneigt zu sein –“
„Ich vermuthete bereits in Spaa, wer er sei, und darum durfte ich ihn nicht entschieden abweisen, obgleich er mir in tiefster Seele verhaßt ist.“
„Amalie, kommen wir zu einem Beschlusse!“ bat Albrecht dringend. „folgen sie mir, wir reisen diesen Abend noch ab, und wenn uns der Graf erreicht, sind Sie meine heißgeliebte Gattin! Ich schwöre es bei dem Gekreuzigten, zu dessen Füßen wir knieen!“
„Albrecht, werden sie nie diesen Schwur bereuen?“ fragte sie in sichtlicher Bewegung.
„Nie, Amalia, nie!“ rief er schwärmerisch.
„Wohlan, so reisen wir auf verschiedenen Wegen. Nennen Sie mir das Ziel.“
Der Baron bezeichnete ein Hotel in München.
„Ich reise diesen Abend, Sie werden mir morgen folgen!“ sagte sie fest.
„Nehmen Sie mein Portefeuille, es ist mit Banknoten gefüllt – es ist der größern Vorsicht wegen.“
„Ich bin gezwungen, es anzunehmen, wenn ich keinen Argwohn erregen will! Nun trennen wir uns – reisen Sie nicht vor morgen früh!“
„Auf Wiedersehen!“
Er drückte einen heißen Kuß auf ihre zitternde Hand. Einige Minuten später verließ sie an der Seite des Grafen, der bis dahin gebetet hatte, den Dom. Als Albrecht in das Freie trat, sah er das Kabriolet davonfahren. Heute lenkte der Graf selbst das Pferd. Albrechts Glückseligkeit läßt sich nicht beschreiben. Zunächst ordnete er bei einem Banquier seine Geldgeschäfte, dann schrieb er einen Brief nach Wien, in dem er Fritz den Befehl ertheilte, mit den Papieren nach Heyerswyl zu reisen. Es war schon dunkel, als er die Vorbereitungen zur Abreise beendet hatte. Träumend saß er in seinem Zimmer. Da klopfte es an die Thür und Barchon trat ein.
„Herr Baron!“ flüsterte der kolossale Mann.
„Was bringen Sie?“
„Die Nachricht, daß Fräulein Amalie so eben mit der Post abgereist ist. Weder der Graf noch sein blasser Neffe wissen darum. Aber nur mit meiner Hülfe war die heimliche Flucht möglich. Als die reizende Dame in den Wagen stieg, flüsterte sie mir zu: gehen Sie zu dem Herrn Baron von Beck, und sagen Sie ihm, daß Sie mir den letzten Dienst in Aachen geleistet hätten. Ich habe mich beeilt, mein Herr, diesen Auftrag auszurichten.“
Albrecht warf ihm einige Banknoten zu, ermahnte ihn zur Verschwiegenheit, und versprach ihm ein bedeutendes Geschenk, das an seinem Hochzeitstage abgehen würde. Barchon schwor bei allen Heiligen, wie das Grab zu schweigen, und entfernte sich. In der Dämmerung des nächsten Morgens reiste der Baron mit Extrapost ab. Vielleicht eine Stunde mochte er das Hotel verlassen haben, als ein Polizei-Commissar erschien und nach ihm fragte. Man wußte ihm weiter nichts anzugeben als das Thor, durch das der Gast die Stadt verlassen hatte.
Der Hochzeitstag.
Nach einer anstrengenden, ununterbrochenen Reise war der Baron so zeitig in München eingetroffen, daß er Amalie noch zuvorgekommen zu sein glaubte. Er ließ in dem bezeichneten Hotel die besten Zimmer zu dem Empfange der Dame vorbereiten. Albrecht hatte Freunde in München, er stattete Besuche ab und erneuerte alte Bekanntschaften, um die ängstliche Ungeduld zu besiegen, mit der er zwei Tage lang vergebens die Ankunft der Geliebten erwartete. Am dritten Tage erhielt er durch die Post einen Brief. Er kam von Amalie. Sie schrieb ihm, daß sie Gründe habe, eine Verfolgung des Grafen zu fürchten, und daß sie es daher vorziehe, München nicht zu berühren, wo sie sein Stammschloß Heyerswyl, von dem er so oft zu ihr gesprochen habe, ohne Schwierigkeiten auffinden würde. Der Brief schloß mit der Versicherung ewiger Liebe. Es läßt sich denken, daß Albrecht nicht lange säumte, abzureisen. Am dritten Tage sah er die Thürme des alten, romantischen Schlosses. Das Posthorn schmetterte lustig durch das anmuthige Thal, das Thor öffnete sich, und der Wagen hielt an der großen Steintreppe. Die Dienerschaft, die ihn jubelnd empfing, war alt geworden, er war ja zehn Jahre abwesend gewesen. Der alte Verwalter war ein Greis mit schneeweißen Haaren, und die Wirthschafterin ein dickes, rundes Mütterchen.
„Wo ist Fritz, mein Vetter?“ fragte sie verwundert, als sie den Diener nicht sah.
„Er wird in den nächsten Tagen eintreffen, Mutter Elsbeth! Geschäfte für mich haben ihn unterwegs aufgehalten.“
Der Verwalter machte seinem Herrn freundliche Vorwürfe,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_219.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)