Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Katharina zu trösten, war er mit ihr allein – ich belauschte sie einmal in der Laube. Da hörte ich, daß sie laut weinte und in die Worte ausbrach, „„ich bin sein Weib, ich kann es nicht glauben, daß er mich verlassen hat““. Es läßt sich denken, was diesen Worten vorangegangen war.“
„Das hast Du mir bereits erzählt, Fritz! Jetzt wiederhole mir die Einzelnheiten der Flucht – ich will sie heute noch einmal hören, ich muß sie hören, um mir ein Urtheil bilden zu können.“
„Sie hatten mir aufgetragen, Katharina während Ihrer Abwesenheit zu überwachen. Ich kam dem Auftrage pünktlich nach, und machte mir täglich in dem Forsthause zu schaffen. Lieber Herr, Katharina dauerte mich, sie war bleich geworden, von ihrer früheren Munterkeit war keine Spur mehr vorhanden, und still und in sich gekehrt schlich sie umher. Da trat ich eines Tags zu ihr und wollte sie durch einen Gruß von Ihnen, obgleich ich keinen erhalten hatte, trösten.“
„Auch von allen meinen Briefen ist Dir keiner zugekommen?“
„Nicht einer, Herr Baron.“
„Fahre fort!“
„Ich trat also zu Katharina, eben als sie sinnend in der Laube saß, wo Sie so oft mit ihr geplaudert hatten. Als sie mich sah, zuckte sie zusammen, als ob sie plötzlich von heftigen Krämpfen befallen würde – dann begann sie bitterlich zu weinen. Mit beklommenem Herzen richtete ich meinen erlogenen Gruß aus. „„Das soll ich glauben?““ fragte sie, indem ihr die Thränen über das Gesicht rannen. Glauben Sie es nur, Jungfer Katharina! sagte ich, denn ich wußte damals noch nicht, daß sie Ihre Frau war. „„Du lügst! Du lügst!““ fuhr sie wie eine Wahnsinnige auf. „„Und wenn Du die Wahrheit sagst, so will er mich nur bethören, damit ich schweigen und ihn nicht öffentlich anklagen soll! Doch das hat er nicht zu fürchten,““ fügte sie mit einem Lächeln hinzu, das mir Mark und Bein durchschnitt. „„Der Priester, der uns heimlich getraut hat, ist schon längst gestorben – aber nein, wenn ich auch Beweise hätte, ich würde nie gegen ihn auftreten. Mag er sein reiches Fräulein heirathen, das ihm der Vater bestimmt hat, ich werde ja nicht lange mehr leben!““ – Sie ging aus der Laube, und ich hatte nicht den Muth, ihr mehr zu sagen. Der Sommer verfloß, der Herbst kam, aber immer noch blieben Sie aus. Die Domestiken des Schlosses erzählten sich wirklich, daß Sie sich in Wien verheirathen würden. Da ging ich wieder eines Tages nach dem Forsthause. Als ich mich dem Garten näherte, sah ich Katharina. Ach, Herr Baron, ich war erschreckt bei ihrem Anblicke, sie sah sich nicht mehr ähnlich. Das Gesicht war bleich und hager, die Blicke der großen Augen –“
„Ich erlasse Dir die Beschreibung!“ unterbrach ihn Albrecht. „Erzähle die Flucht – die Reise nach Wien!“
Fritz hatte sein Taschentuch hervorgehzogen und sich die Thränen getrocknet.
„Kaum hatte mich die arme Katharina gesehen,“ fuhr er bewegt fort, „als sie meine Hand ergriff, und mich in die Laube zog. Nun erfolgte die Scene, die ich Ihnen früher schon oft geschildert habe. „„Wenn Du mich nicht nach Wien begleitest, so gehe ich allein!““ rief sie verzweiflungsvoll aus. Ich konnte ihren Bitten nicht länger widerstehen, als sie niedersank und meine Knie umklammerte. Sie ist ja die Frau meines Herrn, dachte ich, und wenn du sie ihm zuführst, erfüllst du deine Pflicht; du sollst über sie wachen und darum kannst du sie nicht allein reisen lassen. Wir setzten also den folgenden Tag zur Abreise fest, denn ich begriff ja wohl, daß Katharina nicht zögern durfte. Der Zufall unterstützte mich, denn als ich in das Schloß zurückkam, wurde mir angekündigt, daß ich am nächsten Morgen nach Wien zu meinem Herrn gehen solle, der von dort aus eine Reise nach Italien unternehmen würde. Mit Sonnenaufgang war ich gerüstet in dem Forsthause. Katharina, ein kleines Bündel tragend, erwartete mich schon. Sie hatte sich heimlich aus dem Hause geschlichen, und, wie sie mir sagte, dem Vater einen Brief hinterlassen, in dem sie ihm ihre Abreise angekündigt. Um Mittag kamen wir auf die große Straße. Ich miethete einen Wagen, und wir fuhren bis zur Nacht weiter. Katharina hatte keine Ruhe, ehe der Morgen anbrach, befanden wir uns wieder auf dem Wege. Ach, Herr Baron, wie hat das arme Wesen gelitten! Sie nahm weder Trank noch Speise zu sich, von einer fürchterlichen Angst gefoltert, drang sie nur stets auf ein rasches Weiterreisen. Ich rieth ihr, einen Tag zu ruhen, weil ich sah, daß sie ernstlich krank war – umsonst, sie drohete allein zu gehen, wenn ich sie nicht begleiten würde. Eine Tagereise vor Wien ward ihr Zustand so bedenklich, daß ich sie in ein Kloster bringen mußte, dessen fromme Nonnen, wie man mir erzählte, sich mit der Pflege der Kranken beschäftigten. Man fragte nicht, woher Katharina käme und wer sie sei – man sah ihr Leiden und nahm sie großmüthig auf. Ich blieb in einem Wirthshause, das in der Nähe lag. Als ich sie am andern Morgen besuchen wollte, erfuhr ich, daß sie in der Nacht einen todten Knaben geboren habe. Ich durfte sie nicht sprechen und ging in meine Herberge zurück, die ich einer Nonne bezeichnet hatte. An jenem Tage schrieb ich Ihnen den ersten Brief. Denselben Abend kam ein Bote aus dem Kloster und forderte mich auf, sogleich zu Katharina zu kommen, die sehr krank geworden sei. Als ich in ihre Zelle trat, rang sie bereits mit dem Tode. Sie konnte mir nichts weiter sagen, als: „„ich verzeihe ihm, möge er meiner gedenken, ich bin ihm treu geblieben bis in den Tod!““ Unter den Gebeten zweier Nonnen verschied sie. Am nächsten Morgen lag sie mit ihrem Kinde im Sarge. Ich drang darauf, die Beerdigung nicht zu beschleunigen, da der Gatte der Verstorbenen kommen müsse; man wartete noch drei Tage, aber Sie kamen nicht, Herr Baron, und die Leiche mußte beigesetzt werden. Betrübt reiste ich nun allein nach Wien. Sie wissen, ich kam in dem Augenblicke an, wo Sie meinen Brief lasen – Sie waren von einer Reise zurückgekehrt, die Sie acht Tage von Wien fern gehalten hatte. Zwei Tage später standen Sie an dem Grabe Ihrer Gattin, wo Sie schworen, eine furchtbare Rache an dem boshaften Verleumder zu üben. Dann traten Sie, um sich zu zerstreuen, die Reise nach Italien an. Ein Jahr später kehrten wir zurück, um Ihren Vater zu Grabe zu tragen.“
Fritz schwieg. Er schien von der Erzählung ungewöhnlich angegriffen zu sein. Mit der flachen Hand hielt er die hervorquellenden Thränen zurück. Albrecht starrte in finsterm Sinnen vor sich hin.
„Fritz,“ sagte er plötzlich, „ich habe ein großes Versehen begangen, daß ich mir von der Priorin des Klosters den Todesfall nicht habe bescheinigen lassen. Nicht wahr, Du kannst Deine Angaben beschwören?“
„Mit gutem Gewissen, Herr!“ antwortete der Diener. „Dessen wird es aber nicht bedürfen, wenn sie sich der amtlichen Bestätigung des Klosters versichern, die man Ihnen nicht verweigern wird. Herr Baron, die arme Katharina schlummert so ruhig in ihrem Grabe, daß Sie sich dreist als Wittwer betrachten und eine neue Wahl treffen dürfen. Legen Sie endlich die Trauer ab und geben Sie sich den Freuden des Lebens wieder hin.“
„Fritz,“ murmelte Albrecht, „man hat mir in Spaa ein Blatt gezeigt, das von Katharina’s Hand geschrieben war und die Jahreszahl 1840 trug.“
„Wer zeigte es Ihnen?“ fragte der Diener auffahrend.
„Jener Herr von Funcal, der lange blasse Mann. Es sollte mir beweisen, daß meine Frau noch lebt.“
„Unmöglich, Herr Baron!“ rief Fritz eifrig. „In diesem Falle wäre ich ein Lügner. Ach, hätte ich die arme Katharina mit meinem Leben retten, hätte ich sie Ihnen frisch und gesund in Wien zuführen können! Jener Mann ist ein Betrüger.“
„Hier ist das Blatt, das Du ihr überbrachtest – auf der Rückseite steht die Antwort.“
Albrecht holte das Papier aus Amalia’s Portefeuille. Fritz betrachtete es erstaunt.
„Die Zeilen sind allerdings von Ihrer Hand geschrieben, Herr Baron, und diese hier von der Katharina’s; aber ich erinnere Sie an Prosper – man verfolgt einen tückischen Plan, es liegt eine Spitzbüberei zum Grunde –“
„Die wir aufdecken müssen! Rüste Dich, Du wirst heute noch nach dem Kloster abreisen, um die Papiere zu holen. In Wien wirst Du einen Brief vorfinden, der Dir anzeigt, wo Du mich triffst.“
Zwei Stunden später verließ Fritz das Hotel, um mit der Post nach Wien zu reisen. Albrecht war ruhiger geworden, er kannte die Treue seines Dieners, der ihn auf allen Streifzügen durch die Welt begleitet hatte, und es ließ sich nicht annehmen, daß er seine Hand zu einem so argen Betruge bieten würde. Welchen Grund konnte er überhaupt haben, gegen seinen Herrn zu handeln, der ihm fast ein Freund war? Fritz hatte ihm genug Proben seiner Rechtlichkeit und seines unerschütterlichen Charakters geliefert; er hatte selbst eine vortheilhafte Heirath mit einer wohlhabenden Wittwe ausgeschlagen, nur um bei seinem Herrn bleiben
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_218.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)