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Seite:Die Gartenlaube (1855) 212.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

langen Wege, den die Leiche zu passiren hatte, legte das Volk die rührendste Theilnahme an den Tag. In dem freiburgischen Grenzstädtchen Murten rückte das Knabencadettencorps aus und gab dem Trauerwagen das Ehrengeleite bis an die Grenze des Heimathcantons Waadt, von wo aus bis nach dem Begräbnißorte Pfauen das waadtländer Militär Spalier bildete.

Montags den 3. April fand die Beerdigung der Leiche auf dem ländlichen Friedhofe von Pfauen Statt. Aus den entferntesten Gauen der schönen Waadt waren die Bürger in zahlloser Menge herbeigeströmt, um ihrem guten „Papa Henry“ (wie Druey gewöhnlich vom Volke bei Lebzeiten genannt wurde) die letzte Ehre zu erweisen. Die Regierung des Cantons Waadt in corpore wohnte der Feierlichkeit bei. Die Regierungen der Nachbarcantone Freiburg, Neuenburg und Genf ließen sich durch Abgeordnete vertreten. Den unabsehbaren Leichenzug eröffnete Artillerie mit Scharfschützen und schloß mit Infanterie. Der deutsche Gesangverein von Murten trug durch Absingung passender Lieder vieles zur tiefern Weihe der Trauerfeierlichkeit bei. Staatsrath Fornerod von Waadt sprach am Grabe einige ergreifende Worte über den herben Verlust, den das Vaterland, das Volk, die Humanität und die Wissenschaft durch den zu frühen Hinscheid des edeln Mannes erlitten. Die Feier endete um fünf Uhr Abends ohne Unfall. In Druey beklagt mit Recht die Schweiz einen ihrer vortrefflichsten Bürger.

A. B. 




Die Weichseldurchbrüche beim diesjährigen Eisgange.

Die strenge, anhaltende Kälte des verflossenen Winters hatte große Eismassen in der Weichsel gebildet, und der breite, stark fließende Strom war an einzelnen Stellen fast bis auf den Grund zugefroren. Mit begründeter Besorgniß sahen die Bewohner der Weichselniederungen dem Eisgange entgegen und trafen alle möglichen Vorkehrungen, Durchbrüche zu verhüten, oder wenigstens, falls ihnen dies nicht gelänge, ihre Habe zu retten. Die zur Eiswache erforderlichen Mannschaften wurden bereits Mitte März an verschiedenen Punkten der Deiche aufgestellt und Dielen, Pfähle, Faschinen, Wehrholz in Bereitschaft gehalten; denn die Eismassen konnten sich, da plötzlich anhaltendes Regenwetter eingetreten war, jeden Augenblick in Bewegung setzen.

In der Nacht vom 27. zum 28. März stieg schnell das Wasser bis zu einer nie gekannten Höhe.

In der Gegend von Kulm brach zuerst die Eisdecke unter fürchterlichem Krachen, während sie bei Thorn, oberhalb Kulm, noch stehen blieb. Die Eisstücke wurden von der heftigen Strömung fortgetrieben und dabei häufig bis zu einer Höhe von 40 Fuß auf einander geschichtet. Die Deiche vermochten dem Drucke der ungeheuern Wassermasse und dem Stoße der Eisblöcke nicht zu widerstehen. Was man gefürchtet hatte, trat leider ein. Bei Kulm, Marienwerder und Neuenburg entstanden Durchbrüche, und gewaltige Wasser- und Eismassen wälzten sich brausend in die fruchtbaren Fluren der Niederung. In aller Eile flüchteten die Menschen auf die Böden der Häuser, um nur das nackte Leben zu retten. Doch leider waren sie auch hier nicht sicher. In der Gegend von Neuenburg wurden viele Häuser, die im Außendeiche standen, von den Fluthen weggerissen. So furchtbar war die Gewalt der Wassermassen, daß Häuser, Scheunen, Ställe, Bäume nicht selten mit dem Erdstücke, auf dem sie standen, fortgetragen wurden und noch eine lange Zeit im Wasser trieben, ehe die Eismassen sie zerdrückten. Ein sicherer Tod erwartete die Unglücklichen, welche ein solches Haus bewohnten; denn mit Kähnen durch die Eisschollen zu dringen, war unmöglich; das Eis hätte den Kahn augenblicklich in die kleinsten Splitter zerknickt. Nur wie durch einen Zufall gelang es, ein Dachstück eines Hauses aus den Fluthen zu ziehen, auf dem sich sieben Menschen befanden. Sechs davon wurden aber nur gerettet; eine Frau fiel nämlich bei dem Versuch, sie an’s Land zu ziehen, in den Strom und wurde nicht mehr gesehen.

In grausigem Chaos schwammen Bretter, Balken, Hausgeräthe, Häuserwände, Dächer, entwurzelte Bäume auf und zwischen den Eisbergen mit unglaublicher Geschwindigkeit dahin. Ich habe selber gesehen, daß sich in einem ziemlich wohlerhaltenen Stalle, den die Fluthen aus der Erde gehoben, und dann fortgeführt, noch eine Kuh befand, als der Stall bei Marienburg vorüberschwamm. Auf einem großen Düngerhaufen, der ebenfalls zwischen den Eismassen trieb, bemerkte ich ein wohlgenährtes Schwein, daß, da es gemüthlich wühlte, von seinem augenscheinlichen Untergange keine Ahnung hatte.

Das größte Unglück, welches die Wasserfluthen anrichteten, traf aber das große Werder, einen fruchtbaren Landstrich, der von Weichsel und Nogat umflossen wird.

An der Stelle, wo die Nogat von der Weichsel rechts abgeht, liegt im Werder das schöne Kirchdorf Gr. Montau. Hier haben die Deiche den schwersten Anprall auszuhalten, und darum ist es auch erklärlich, daß hier ein Durchbruch stattfand. Unglücklicher Weise kam das Eis der Nogat eher in Gang, als die Decke der Weichsel, und so schob denn das Wasser thurmhohe Eisberge gegen den Damm. Welche Kraft dieselben besitzen, geht daraus hervor, daß die bei Montau in der Nogat erbauten dreißig Eisbrecher, von denen jeder aus 12–15 durch eiserne Bänder fest verbundenen Eichenstämmen besteht, die mit der Dampframme tief in die Erde getrieben sind, durch den Anprall der Eisschollen nicht ausgerissen, wohl aber etwa drei Fuß unter dem Wasserspiegel wegrasirt wurden. Die auf den Eisbrechern ruhende Brücke stürzte in die Fluthen und wurde, wie im vorigen Jahre, so auch jetzt, ein Raub des wüthenden Elements. Beiläufig bemerke ich nur, daß der Bau dieser Brücke schon circa zwei Millionen Thaler gekostet hat. Glänzend bestanden aber die zur Eisenbahnbrücke erbauten Pfeiler ihre Probe. Es war ein großartiger Anblick, wenn die großen Eismassen unter einem donnerähnlichen Krachen an den Mittelpfeiler stießen, dann plötzlich zusammenstürzten und wie von einer gewaltigen Scheere zerschnitten, in einzelnen Stücken schäumend und brausend, als zürnten sie des gewaltigen Widerstandes, vorbeizogen.

Die Dämme bei Montau konnten also unmöglich, trotz ihrer bedeutenden Stärke, den ungeheuern Druck auf die Dauer aushalten.

Um fünf Uhr Morgens am 28. März zeigten sich plötzlich Spalten auf der Krone des Dammes, die in schlangenartigen Windungen landwärts anfingen und stromwärts endigten. Viele Hände bemühten sich, diese Spalten und Risse zu verstopfen, indem man Faschinen, Dünger und Erdsäcke hineinsenkte. Jedoch blieben alle Bemühungen fruchtlos; die Spalten und Risse wurden von Augenblick zu Augenblick immer klaffender, während sich noch viele andere bildeten. Endlich sickerte das Wasser durch den Deich. Man sah ein, daß der Damm nicht mehr zu halten sei, und Alles flüchtete schnell, entweder auf eine sichere Stelle des Deiches, oder auf die Böden feststehender Häuser, um wenigstens das Leben zu retten.

Nach wenigen Augenblicken strömte nun die Wassermasse durch die Spalten und Risse, und spülte dabei große Stücke des Dammes fort. In kurzer Zeit hatte es sich eine weite Oeffnung gebahnt, und wüthend und zischend stürzten sich die Fluthen und Eisberge geradenwegs auf das unglückliche Dorf Montau. Gegen zweihundert Menschen hatten sich auf den Damm und Viele auf die Kirche geflüchtet; dagegen waren Manche durch die Schnelligkeit des hereindringenden Wassers in ihren Wohnungen zurückgehalten worden und suchten auf den Dächern einen Zufluchtsort. Der Kraft, mit welcher die Wasserfluthen und Eisschollen gegen die Häuser andrangen, konnte das Werk von Menschenhänden nicht lange Widerstand leisten. Ein Gebäude nach dem andern wurde zertrümmert oder ganz und gar aus dem Boden gespült und mit fortgerissen. Auf der Firste des einen Daches saßen 21 Menschen und riefen jammernd um Hülfe, die ihnen Niemand bringen konnte. Nach einer halben Stunde stürzte es zusammen, noch ein furchtbarer Schrei drang in’s Ohr der auf den Damm Geflüchteten; dann war Alles verschwunden. Von dem schönen, großen Dorfe Montau standen eine Stunde nach dem Durchbruche nur noch die Kirche und drei Höfe. Der Lehrer des Dorfes rettete sich mit seiner Familie auf einer Eisscholle, auf welcher die Unglücklichen fast drei Meilen forttrieben, ehe sie von hülfreichen Händen in Sicherheit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_212.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2023)