Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Chronicle.“ Hier hatte er die beste Gelegenheit, englisches Leben nicht nur in seiner glänzenden Außenseite, sondern auch enthüllt kennen zu lernen, und er hat sich die Gelegenheit auch zu Nutze gemacht, denn wenige Franzosen dürfte es geben, welche ein so richtiges Urtheil über englische Institutionen und Staatskunst abzugeben im Stande waren, wie dieses bei Druey der Fall gewesen ist.
Nach siebenjährigem Aufenthalte im Ausland kehrte nun Druey in sein Vaterland zurück, um sich in’s praktische Leben zu begeben. Er begann seine Laufbahn als Advokat in dem waadtländischen Städtchen Milden (Moudon). Sein Auftreten vor den Schranken des Gerichts, seine glänzende Beredtsamkeit und sein überall hervortretender edler Charakter erwarben ihm in sehr kurzer Zeit die Hochachtung seiner Mitbürger. Schon zwei Jahre darauf ward er zum Mitgliede des gesetzgebenden Körpers, und kurze Zeit darauf zu einem solchen des Appellationsgerichtshofes erhoben. Mit dieser Epoche beginnt Druey’s interessante und in Hinblick auf die einfach bescheidenen Verhältnisse seines Vaterlandes glänzende politische Laufbahn und seine rastlose Wirksamkeit im Verwaltungsfache und in der Gesetzgebung.
Druey’s Talente, seine Geschäftsgewandtheit, machte sich in den obersten Behörden seines Cantons auf so glänzende Weise geltend, daß er zu Anfang der vierziger Jahre als Gesandter seines Cantons an die eidgenössische Tagsatzung geschickt wurde, zu deren hervorragendsten Mitgliedern er sofort zählte. Die Aufhebung der aargauischen Klöster, welche den Anfang zu jenen Wirren in der Schweiz bildeten, die später ihre Lösung im Sonderbundskriege fanden und mit der Niederlage der ultramontanen Partei endeten, gehörten zu den Hauptverhandlungen jener Tagsatzung, welche das schweizerische Volk bis in die entlegensten Thäler hinein aufregten. Seltsamer Weise sprach und wirkte Druey gegen die Aufhebung der Klöster. Diese Denkweise findet nur in seinen unerschütterlichen Grundsätzen von der Heiligkeit des Besitzes ihre Erklärung.
Ebenso unerschütterlich war Druey in seiner Achtung vor dem Mehrheitswillen des Volkes. Selbst als im Jahre 1839 im Canton Zürich eine Regierung gewaltsam gestürzt wurde, mit welcher er politisch sympathisirte, und Männer an ihre Stelle kamen, deren Denkweise er verabscheute, gehörte er zu denjenigen, welche dem Ausspruche des nach seiner Ansicht mißgeleiteten Volks sich beugten. Als indeß Druey sich einmal von den staatsgefährlichen Umtrieben des Ultramontanismus überzeugt hatte, gehörte er auch zu ihren unerbittlichsten Gegnern, und der Sonderbund fand an ihm einen der eifrigsten und auch talentvollsten Bekämpfer. Das waadtländische Volk, dessen Regierung nicht Partei gegen den Sonderbund nehmen wollte, strömte im Jahre 1845 nach der Hauptstadt und stürzte die Regierung. Druey stellte sich an die Spitze der Bewegung. Von einer Leiter herab, die seither eine klassische Berühmtheit erhalten hat und schon bei politischen Festen in Prozession herumgetragen wurde, proklamirte er in glühender unwiderstehlicher Sprache die freisinnigen Grundsätze, welche jetzt im Canton Waadt zur Geltung gelangt sind.
An der verhängnißvollen Tagsatzung des Jahres 1847, wo die Zertrümmerung des Sonderbundes und die Austreibung der Jesuiten beschlossen wurde, entwickelte er dieselbe unbeugsame Energie und dieselbe rastlose Thätigkeit. Einige seiner bei jener Gelegenheit gehaltenen Reden konnten als Muster klassischer Beredsamkeit gelten.
Im folgenden Jahre fanden seine Talente erst die rechte Gelegenheit zu fruchtbarer Thätigkeit. Er wurde mit Dr. Kern, derzeitigem Schulrathspräsidenten der Eidgenossenschaft, mit der Redaction des neuen Bundesvertrages beauftragt, eine Aufgabe, welche er im Vereine mit seinem ausgezeichneten Mitarbeiter in glänzender Weise löste. Nach der Proklamation der neuen Bundesverfassung wurde er zum Mitgliede des Bundesrathes und zum Vicepräsidenten dieser Behörde ernannt und für das Jahr 1850 zum wirklichen Bundespräsidenten gewählt. Mit seiner Stellung war die Direction der Justiz und Polizei verbunden.
Die hohe Stellung, zu welcher Druey in den letzten Jahren seines bewegten Lebens gelangt war, brachte ihm viele Dornen, und der Staatsmann gerieth vielfach mit dem weichen, herzensguten innern Menschen in Conflikt. Die Staatsklugheit gebot der Schweiz die Entfernung der Flüchtlinge aus der Schweiz, und ihm, als Chef der eidgenössischen Polizei, lag es ob, die verhaßte Maßregel, die seinem Herzen widerstrebte, wenn er auch im Rathe dazu gestimmt, zu vollziehen. Und er gehorchte dem Befehle des Vaterlandes, aber manchmal blickte er mit thränendem Auge auf die armen Exilirten, die ein Opfer der Politik und heißblütiger Ideale hinüber geschickt wurden in’s ferne Amerika, um im finstern Urwalde die Freiheit zu finden, für die sie in der verlornen Heimath gekämpft, und oft wanderte seine ganze Baarschaft in die Tasche der unstäten Söhne Polens oder der schnurrbärtigen Husaren vom Strande der Theiß.
Druey war nicht nur ein warmer Freund des Vaterlandes, er war auch ein Freund des Völker und der Armuth, die er mit nimmer ermüdender Wohlthätigkeit unterstützte. Von seltener Bescheidenheit, wenn von ihm selbst die Rede war, gern fremdes Verdienst anerkennend, ein treuer theilnehmender Freund war er, wenn sein Geist ungetrübt, ein im vollen Sinne des Wortes „liebenswürdiger Mensch.“ Dagegen aber sprudelte die Lebhaftigkeit seiner burgundischen Abstammung bei gewissen Momenten mit sprühender Heftigkeit hervor, und wenn die Gelegenheit sich bot, sagte er den Menschen die bitterste Wahrheit mit einer Schonungslosigkeit in’s Gesicht, die bei dem sonst so sanften Manne in Erstaunen setzte und Manchen verblüffte. Wenige Menschen aber haben dem Grundsatz, daß man auch dem Teufel Gerechtigkeit widerfahren lassen müsse, so unbedingt gehuldigt, wenn es galt, diese Liberalität auch auf seine persönlichen Gegner auszudehnen. Der Mann, der mit den Ultramontanen so manchen harten Strauß zu bestehen hatte, besaß einen tief religiösen Sinn. Er las fast jeden Tag in der Bibel und sprach in philosophischem Geist gern mit seinen Freunden über dieses Buch. Daß er von seinen Gegnern gleichwohl als Ketzer und Ungläubiger dargestellt zu werden pflegte, wird Niemanden verwundern.
Druey’s äußere Erscheinung war gleich seinem ganzen Wesen ein kurioses Gemisch von Adel, Würde und gerade wieder vom abstraktesten Gegentheil. Eine hohe, breite Stirne, unter welcher die geistreichen Augen Gedankenblitze schossen, überwölbte einen breiten, dicken Kopf, der auf einem kurzen schlagflüssigen Halse unbehülflich ruhte. Der ganze Körper, unförmlich zusammengedrungen, bewegte sich langsam, fast rollend auf walzenförmigen Beinen, während die Arme von den Gedankenströmungen des rastlosen Geistes getrieben, der diesem wunderlichen Gehäuse innewohnte, mit außerordentlicher Behendigkeit sich in allen Richtungen zu bewegen pflegten. Ebenso sonderbar war Druey als Redner. Das erhabenste Pathos, die glänzendsten Wendungen, die reichste Fülle der Gedanken, hinreißend durch die vollendetste Dialektik, aber zugleich unwiderstehlich zum Lachen reizend, durch eine, bald im tiefen Basse grollende, bald im Affekte in den höchsten Fisteltönen krähende Stimme, die sich mühsam durch das Fett des Halses Bahn zu brechen schien. Das Gesicht triefend von Schweiß, aber Alles überwältigend durch die Schärfe seiner Logik und den Zauber seiner Bilder, so pflegte man diesen seltenen Sprecher des Liberalismus in den Rathssälen der Schweiz zu sehen.
Heinrich Druey erlag den 29. März 1855 nach kurzen Leiden den Folgen eines Schlagflusses, der ihn wenige Tage vor seinem Hinscheiden betraf und ihn sofort der Besinnung beraubte. Sein Vaterland verliert in ihm einen edlen Sohn, die Schweiz ihren genialsten Staatsmann und der Liberalismus in seiner edelsten, humansten Bedeutung einen der aufrichtigsten und talentvollsten Vertreter. Mit der deutschen Sprache, der deutschen Literatur, Philosophie und Anschauungsweise so vertraut, wie mit derjenigen Frankreichs, war er das vermittelnde Element zwischen den beiden hauptsächlichsten Völkerstämmen der Schweiz, und darum wird sein Verlust doppelt schwer zu ersetzen sein.
Wenigen Schweizern ist auf dem Gange nach der letzten Ruhestätte so viele äußere Ehre erwiesen worden, und bei noch wenigern mag die innere Theilnahme einer Nation so warm und allgemein gewesen sein, wie dieses bei der Leichenfeierlichkeit Heinrich Druey’s der Fall gewesen ist.
Zuerst fand bei der Wohnung des Verewigten in der Bundesstadt Bern die Ceremonie des Leidabnehmens Statt. Zahllos war die Reihe der Theilnehmer. In bedecktem Wagen wurde von da die Leiche nach dem sechs bis sieben Stunden von Bern entfernten Heimathsorte des Geschiedenen abgeführt. In langer Wagenreihe gaben ihm der Bundesrath und die Regierung von Bern in corpore, nebst einer großen Anzahl der höhern Beamten der Eidgenossenschaft das Geleite, theils bis vor die Thore der Stadt, theils bis an den entfernten Begräbnißort selbst. Auf dem ganzen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_211.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2023)