Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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angehörten, so werden Sie nicht mehr allein stehen, Sie werden bald den Namen einer geachteten Familie tragen, denn ich schwöre Ihnen, daß ich Herr meines Willens und meines Herzens bin. O, glauben Sie mir, ich stehe nicht mehr in dem Alter, wo man leichtsinnig verspricht und handelt – jetzt erst habe ich die wahre Liebe kennen gelernt – Amalie, entscheiden Sie über das Glück meines Lebens!“
Er sank zu ihren Füßen nieder und sah mit flehenden Blicken, die klar die Tiefe seiner Leidenschaft verriethen, zu ihr empor. Amalie ließ ihm ihre Hand, die er mit Innigkeit an sein Herz drückte. Sie schien sich einen Augenblick in dem Triumphe zu gefallen, den Baron zu ihren Füßen zu sehen. Plötzlich, wie von einer Erinnerung ergriffen, zuckte sie zusammen. Zugleich fragte sie:
„Was soll ich glauben? Herr von Funcal liegt verwundet in Spaa, während sein Brief mir Ihren Tod berichtet –?“
„Glauben Sie, was Sie sehen, Amalie!“
„Stehen Sie auf!“ bat sie ängstlich.
„Sprechen Sie mein Urtheil aus!“
„Mein Herr!“
„Haben Sie Verpflichtungen – Ihr Gatte wird sie als ein Mann von Ehre lösen!“
Ein Blitz zischte, und ein furchtbarer Donnerschlag erschütterte das Haus, daß die Fenster laut erklirrten. Der Kniende erhob sich. Da folgte ein zweiter, noch stärkerer Schlag. Die erschreckte Amalie schwankte – er umfing die Sinkende mit seinen Armen. Geschlossenen Auges lag das reizende Wesen an seiner Brust. Ihr zartes Wesen hatte plötzlich eine Lilienblässe überzogen, und ihre Pulse schienen still zu stehen. Albrecht war seiner Sinne nicht mehr mächtig; wie berauscht küßte er die fein geschweiften Lippen und drückte den wunderbar schönen Körper fester an sich. Er schwelgte in den Wonnen, die er in der zärtlichen Berührung dieses Engels fand. In dem Augenblicke, als er sie in dem Sopha niederließ, schlug sie die Augen auf. Verwirrt und beschämt entzog sie ihm ihre Hände. Da ließ sich Geräusch in dem angränzenden Zimmer vernehmen.
„Großer Gott!“ flüsterte Amalie, indem sie sich mit Anstrengung erhob. „Das hatte ich nicht bedacht!“
„Wer befindet sich dort?“ fragte Albrecht, in dem eine gräßliche Eifersucht erwachte.
„Findet man Sie hier, so ist es um mich geschehen!“
„Um Sie? Ich vertheidige Sie!“ rief der Baron, der sich seiner Waffe erinnerte.
„Dann bin ich für Sie verloren!“ flüsterte Amalie in einer unbeschreiblichen Angst. „Um Gotteswillen, entfernen Sie sich still und heimlich! Der geringste Verdacht bereitet mir ein schreckliches Loos! Wenn Sie mich lieben,“ bat sie mit Thränen in den Augen, „so verlassen Sie mich! Es giebt keine Waffe, mit der Sie mich in diesem Augenblicke vertheidigen können!“
„Amalie, lieben Sie mich?“ flüsterte er dringend.
„Sie sehen meine Angst, Herr Baron! Sie mag Ihnen als Antwort auf Ihre Frage dienen! Erwarten Sie Herrn Barchon, er wird Ihnen sagten, wo Sie mich morgen finden!“
In dem Nebenzimmer erklangen Schritte. Der Schrecken bleichte Amalie’s Gesicht – zitternd drängte sie den Baron zur Thür.
„Ein Pfand Ihrer Liebe!“ bat er.
Sie drückte ihm flüchtig einen Kuß auf die Lippen.
„Bewahren Sie mein Geschenk!“ flüsterte sie dann.
„Und ich sehe Sie hier wieder?“
„So wahr ich mein Glück von Ihnen erwarte! Vertrauen Sie mir – Sie werden Alles erfahren!“
Albrecht verschwand aus dem Zimmer, dessen Thür Amalie hinter ihm schloß. Er eilte über den Corridor die Treppe hinab. Auf der Hausflur traf er Barchon, der leise auf und ab ging.
„Nun?“ fragte er lächelnd.
„Sie werden mir morgen Nachricht von Amalie bringen. Jetzt begleiten Sie mich.“
„Ich bedauere, Herr Baron.“
„Warum?“
„Weil ich in Amalie’s Interesse hier bleiben muß.“
„Ich verdoppele die versprochene Summe; aber ich bleibe bei Ihnen.“
„Dann treten Sie in mein Wohnzimmer.“
Der lange Mann führte Albrecht in ein Zimmer des Erdgeschosses. Kaum waren sie eingetreten, als sich das schwere Gewitter zu entladen begann.
Der Vormund.
Kaum war Amalie allein, als sich an der Thür, die zu dem Nebenzimmer führte, ein Klopfen vernehmen ließ.
„Es war hohe Zeit, daß er ging!“ flüsterte sie. „Wohlan, ich selbst werde die Krisis herbeiführen, um endlich klar zu sehen.“
Nachdem sie ihre Toilette flüchtig geordnet, öffnet sie die Thür. Ein Greis, in einen prachtvollen Sammetpelz gehüllt, trat ein. Forschend sah er durch das elegante Boudoir. Die Blicke der großen, hellen Augen verriethen deutlich seinen Argwohn.
„Das schwere Gewitter treibt mich aus meiner Kammer,“ sagte er. „Waren Sie allein, Amalie?“
„Ich stehe im Begriffe, meine Kammerfrau zu rufen.“
„Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen Gesellschaft leiste, bis das Gewitter vorübergezogen ist.“
Der alte Mann ließ sich in dem Sopha nieder. Amalie beobachtete ängstlich die Blitze, deren grelles Licht durch die herabgelassenen Vorhänge der Fenster drang.
„Es ist seltsam,“ begann der Greis. „Mir war, als ob ich in meinem halb wachen Zustande die Stimme eines Mannes hörte. Nicht wahr, Amalie, ich muß mich wohl getäuscht haben?“
„Herr Graf, glaubt Ihr Argwohn einen Todten in meiner Gesellschaft?“ fragte sie ironisch.
„Einen Todten, mein Kind! Die Gräber öffnen sich nicht wieder, wenn sie einmal geschlossen sind! Sie verzeihen meine Besorgniß, Amalie – die Todten fürchte ich nicht, aber die Lebendigen. Darum will ich die kurze Zeit meines Lebens benutzen, um Ihr Loos in jeder Beziehung sicher zu stellen.“
„Das heißt, mich und mein Vermögen einem Kloster zu übergeben?“
„Amalie, Sie verkennen immer noch meine Absicht. Als Ihr Vater starb, setzte er mich zum Administrator seines Vermögens und zum Vormunde seiner Tochter ein. Das Erstere verwalte ich mit gewissenhafter Treue, denn es ist zu einem großen Reichthume angewachsen – die Letztere entzog sich meiner Fürsorge, indem sie zu einer weltlich gesinnten Tante nach Brüssel ging. Steht mir auch Ihr Seelenheil höher als Ihr Vermögen, so habe ich dennoch darauf Bedacht genommen, Ihnen einen guten und braven Lebensgefährten zu verschaffen, der nicht minder für Ihr irdisches als für Ihr geistiges Wohl sorgt.“
„Das ist mehr als ich erwarten kann!“ sagte Amalie überrascht. „Ich werde indeß keinen Mann heirathen, der nur mein Vermögen im Auge hat.“
„Er liebt Sie Ihrer selbst wegen, mein Kind; er weiß nicht einmal, daß Sie Vermögen besitzen. Er lernte Sie in Spaa kennen und lieben.“
„In Spaa?“
„Und bewarb sich um Ihre Hand!“ sagte lächelnd der alte Graf.
Amalie dachte an die beiden Heiraths-Candidaten. Sie zweifelte nicht daran, daß der Graf den im Sinne hatte, der seinen Namen führte.
„Sie meinen Alphons von Funcal?“ fragte sie gespannt.
„Wäre er auch nicht mein Vetter, ich würde ihm dennoch Ihr Glück anvertraut haben. Er ist von edler Familie und besitzt einen vortrefflichen Charakter. Sie sehen, daß ich nicht eigensinnig darauf beharre, Sie in ein Kloster zu schicken. Jeden Zweifel an seiner wahren Liebe zu Ihnen hat er dadurch beseitigt, daß er Ihnen, der unbekannten Schönen, seine Hand antrug und dann mit einem gefährlichen Raufbolde sich schoß, um Ihre Ehre zu retten. Wie er schreibt, hat er den Sieg mit einer Wunde erkauft, die ihn noch einige Tage von der Reise abhält. Und welch’ eine wunderbare Fügung der allweisen Vorsehung liegt in allen diesen Verhältnissen. Alphons bittet mich, jedes Heirathsprojekt für ihn aufzugeben, da sein Herz bereits an einen Engel gefesselt sei. Wie wird er staunen, wenn er bei seiner Ankunft sieht, daß ich ihm das Mädchen seiner Wahl zuführe. Das ist kein Zufall, mein Kind, das ist ein
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_206.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)