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Seite:Die Gartenlaube (1855) 195.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Zuhörerin, immer begeisterter spielte und intonirte der Meister, sie hörte nicht wie gebrochen und hart die Stimme klang, die ihr alle diese Herrlichkeiten in’s Ohr und in die Seele trug. – Sie wußte auch nicht, daß beim Duett des zweiten Actes: „Nur hurtig fort, nur frisch gegraben,“ die Thränen langsam und schwer über ihre Wangen rollten, sie wandte den Blick nicht ab von dem wunderbaren Manne, der da vor ihr saß und den sie so inbrünstig verehrte. – Welch’ ein eigenthümlich fesselndes Bild in dem engen Rahmen des schlichten Zimmers waren sie, diese beiden Gestalten, der reiche ernste Herbst und der lächelnde Frühling. – Der Meister selbst im weiten pelzverbrämten Hausgewand mit blitzenden Augen und leuchtender Stirn, ganz versunken in seine Schöpfung, dann und wann tief-ernst aufblickend zu dem Antlitz seiner Hörerin. Frühlingsfrische war ausgegossen über jene Mädchengestalt an seiner Seite, über jenes Angesicht mit seinen köstlich reinen Linien, und Sonnenlichter zitterten in den schweren blonden Haaren, die sich an die zarten Wangen schmiegten und im stolzen Nacken einen goldenen Knoten bildeten.

„An diesem jugendlichen Haupte hingen
So viele Hoffnungen, als an den Zweigen
Im wonnevollen Maimond hängen Blüthen.“

Beethoven ging rasch und immer rascher weiter, seine Hand eilte über die Tasten:

„Jetzt kommt die Stelle höchster Erhebung,“ sagte er. „In ihr sammeln sich die Lichtstrahlen der ganzen Oper, gieb Acht auf diesen Ruf, auf ihn kommt’s an, mein Kind, hier wirst Du zeigen, ob ich mich in Dir getäuscht oder nicht!“

Und nun intonirte er mit erschütternder Begeisterung jenen berühmten Schrei: „Tödt’ erst sein Weib!“ – Wilhelmine Schröder erkannte nun erst die Riesenaufgabe, nach der sie selbst die Hand ausgestreckt, sie faltete bebend die Hände, Glück und Wangen zugleich erfüllten ihre Brust. „Tödt’ erst sein Weib!“ dieser eine Ruf tönte ihr in den Ohren – sie hörte nichts weiter, das glänzende Finale ging an ihr vorüber wie ein Traum. – Als aber Beethoven sich erhob und die Partitur zuschlug, näherte sie sich ihm mit wankendem Schritt.

„Segnet mich zur That, die ich wagen will – damit sie mir gelinge,“ – sagte sie feierlich und neigte tief das Haupt.

Und der Meister legte seine Hand gedankenvoll auf den blonden Scheitel, und ein Lächeln der Befriedigung glitt wie ein herbstlicher Sonnenstrahl über sein ernstes Angesicht.

Ehe das junge Mädchen aber an diesem Abend einschlief, faltete sie die schönen Hände und schloß ihr Nachtgebet mit den Worten: „Gott, laß mich eine Leonore werden wie er sie geträumt, damit ich seinem Herzen noch eine Freude bringe.“


Wenige Wochen nach dieser Scene trat Wilhelmine Schröder in der Oper Fidelio in Wien auf, und verkörperte jenes Ideal höchsten Lebensheroismus, das dem Geiste Beethovens vorgeschwebt. Der Componist selbst saß in einer kleinen dunklen Loge dicht bei der Bühne. Ach, die süßen und doch kraftvollen Töne, wie sie die Brust der jungen Sängerin ausströmen ließ, sie drangen ja nur schwach und gebrochen in sein damals schon fast ganz verschlossenes Ohr, aber er sah doch die von Gluth und Hingebung getragene Erscheinung, er sah diese Augen voll Leidenschaft und Begeisterung, – und der ausbrechende Jubel der hingerissenen Menge umbrauste ihn wie ein fernes Meer. – Und der zweite Act entfaltete sich, das schöne Weib stieg hinab in den dunklen Kerker, reichte dem hungernden Gatten das Brot, durchlief alle Stadien der Seelenmartern, bis endlich jener wunderbare Lichtpunkt kam, jener mächtige Aufschrei: „Tödt’ erst sein Weib!“ Beethoven richtete sich fieberisch erregt auf als der Accord einsetzte, sein Athem stockte, die Riesengestalt zitterte, seine Blicke bohrten sich fest an die Lippen der Sängerin. – Eine Secunde lang war’s als ob sie zagte – plötzlich aber richtete sie sich auf in wahrhaft großartiger Schönheit, und schmetterte das in höchster Leidenschaft vibrirende b in die Seelen der erschütterten Hörer. – Und das Wunder geschah: dieser eine gewaltige beseelte Ton durchbrach alle Schranken und drang wie eine lichte Verkündigung in das verschlossene Ohr des Meisters. – Es wurde plötzlich so hell in ihm, ein golden Tonwellen überströmte ihn, der stille Traum, seine Leonorenschöpfung sang und klang laut, in dem herrlichen überwaltigenden b, das er gehört, spiegelte sich das Ganze wie das All sich in einem klaren Tropfen spiegelt. – Namenlose Freude – ungebändigtes Entzücken ergriff ihn – er hatte sich in dieser Leonore nicht getäuscht! – er hätte dies junge Mädchen an sein Herz reißen – in seinen Thränen baden mögen, – längst begrabene Wünsche, längst entschlafene Hoffnungen standen auf aus ihrer Todesruh und sahen ihn lächelnd an. Aber Körper und Seele waren nur an Schmerzen gewöhnt, das unendliche plötzliche Glücksgefühl überwältigte den nur im Leiden und Entbehren starken Mann: Ludwig van Beethoven sank ohnmächtig zurück.


Diese Darstellung des Fidelio war in der That die letzte, aber vielleicht auch der blendendste Sonnenstrahl, der auf den dunklen Weg des erhabenen Tonschöpfers fiel.

Aber was war es wohl, was Ludwig van Beethoven von der Darstellerin seiner Leonore verlangte, und was er in den blauen Augen eines jungen Mädchens gefunden? –

Wilhelmine Schröder trug die Leonore hinaus in die Welt. – Wer hätte wohl je ohne die nachhaltigste Erschütterung den Fidelio von ihr gehört, wer könnte sie, gerade sie in dieser Erscheinung vergessen? – Hundert Sängerinnen haben nach ihr uns auch die Leonore gesungen, vermochte je Eine von Allen so die Seele gefangen zu nehmen, wie sie? – Aber war denn Keine so schön wie Wilhelmine Schröder-Devrient, hatte Keine eine so mächtige Stimme, eine so entzückende Grazie? – O gewiß! Reizende Frauen hüllten sich in das schlichte Männerkleid Fidelio’s, großartige Stimmen sangen uns die Arie: „Abscheulicher, wo eilst Du hin!“ Meisterinnen der Darstellungskunst erschöpften sich an dieser Erscheinung, aber schwebte je von einer Lippe der Ruf: „Tödt erst sein Weib!“ großartiger, hinreißender, als von den Lippen jener blonden Frau? – Und warum wohl? – Hier folgt die Lösung aller Fragen. – Wilhelmine Schröder-Devrient besitzt jenen seltnen Zauber, der die Welt überwindet, jenen räthselhaften Reichthum, der in unserer kühlen und matten Zeit immer mehr zur Sage wird, jenen kostbarsten Schatz der Erde, jene schönste Segnung des Himmels: ein heißes Herz!




Bausteine zu einer naturgemäßen Selbstheillehre.
Die Lungenschwindsucht.

Ueber keine Krankheit herrschen unter den Laien wie unter den Aerzten so falsche Ansichten als über die Lungenschwindsucht, obschon von allen Leiden der Jetztzeit dieses das allerhäufigste ist. Zur Beruhigung diene nun aber dem Leser gleich von vorn herein, daß man bei dieser Krankheit ohne große Beschwerden uralt werden kann und daß man sogar als Lungenschwindsüchtiger noch den Vortheil hat, vor vielen andern Krankheiten geschützt zu sein. Allerdings verlangt dieses Leiden, welches sehr oft ganz unbemerkt, auch die scheinbar gesündesten Personen mit den schönsten Brustkasten, beschleicht, daß man sich in seiner Lebensweise etwas danach richte. Thut man dies nicht oder zu spät, dann freilich kürzt die Lungenschwindsucht das Leben um mehrere Jahre und veranlaßt auch mannigfache lästige Beschwerden.

Ueber das eigentliche Wesen und die Ursachen der Lungenschwindsucht weiß die Wissenschaft, trotzdem daß in den Büchern viel darüber geschrieben steht, doch so gut wie nichts; oft scheint sie angeboren und ererbt zu sein. Von Ansteckung dabei ist keine Rede, obschon sie sich bei einander nahestehenden Personen, die unter gleichen äußern Verhältnissen leben, nicht selten entwickelt. Auch ist sicherlich der Schluß, welchen die Aerzte machen, wenn sie die, nach dem Verschwinden von gewissen Blutungen, Schweißen, Ausschlägen, Geschwüren u. s. w. auftretende Lungenschwindsucht als eine Folge jenes Verschwindens ansehen, ein ganz falscher. Umgekehrt verhält es sich, weil die Lungenschwindsucht in ihrer Entwickelung begriffen war, darum verschwanden jene Zustände.

Die Beobachtungen am Krankenbette und Leichentische haben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_195.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)