Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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taub gegen alle Bitten, hielt er die kostbare Partitur in seinem Pult verschlossen.
„Ich finde keine Leonore wie ich sie brauche,“ sagte er zu seinen Freunden, die nicht müde wurden, ihn um die Aufführung zu bestürmen. „Sängerinnen giebt’s freilich zur Genüge, aber keine für mich. Meine Leonore soll keine Triller schlagen, auch nicht über allerlei Rouladen den Hals brechen, sie braucht nicht zehnmal die Kleider zu wechseln, auch nicht sonderlich schön zu sein: aber Eins muß sie haben außer ihrer Stimme, und diese Eine verrathe ich Euch nicht, Ihr würdet den „tollen“ Beethoven doch nur auslachen. – Laßt die Oper ruhig bei mir liegen und bekümmert Euch nicht um sie!“
Aber die Ungeduldigen ließen nicht ab von ihm, quälten den großen Musiker Tag für Tag, schickten ihm eine Sängerin nach der andern über den Hals, und fingen endlich an, ihm ernstlich zu zürnen. – Beethoven blieb lange geduldig, wunderbarer Weise. Eines Abends jedoch drang man besonders heftig in ihn und erzählte ihm Wunderdinge von dem Debut der jungen Sängerin, die damals ganz Wien von sich reden machte. Sie war die Tochter der berühmten Schauspielerin Sophie Schröder, kaum siebzehn Jahre alt und mit ihren Aeltern seit Kurzem von Hamburg nach der Kaiserstadt übergesiedelt. Als Mozart’s Pamina hatte sie alle Herzen entzückt durch den Reiz ihrer Stimme und Gestalt, man prophezeihte ihr einstimmig eine große Zukunft, und dies Alles eben theilte man dem Meister mit und verhehlte ihm nicht, wie man hoffe, er werde dieser schönen Hand gestatten, den verborgenen Schatz seiner letzten Schöpfung zu heben. – Da fuhr Beethoven auf:
„Was, einem Kinde, einem kaum der Schule entwachsenen Dinge soll ich mein heiliges Kleinod anvertrauen?“ fragte er heftig. „Ich glaube, Ihr träumt oder Eure Neugierde macht Euch sinnlos. Nein, für ein siebzehnjähriges Mädchen hat Ludwig van Beethoven seine Leonore doch nicht componirt – Aber ich bin nun der Quälereien müde und erkläre Euch ein für allemal, daß ich meine Oper verbrennen werde, wenn Einer von Euch es wagen sollte, wieder nach ihr zu fragen!“
Er war so imponirend in seinem Zorn, sein Auge blitzte so vernichtend, seine Stimme klang so grollend, auf seiner breiten Stirn standen noch so viele Wetterwolken – daß Einer nach dem Anderen still hinausschlich – und fortan war von der „Leonore“ vor den Ohren des Meisters nie wieder die Rede.
Seit einiger Zeit nun traf es sich, daß dem großen Musiker auf dem Rückwege von seinem täglichen Spaziergang regelmäßig kurz vor der Stadt ein junges blondes Mädchen entgegen trat. – Sie trug meist ein einfaches weißes Kleid, einen kleinen zierlichen Strohhut und ein schmaler dunkelrother Shawl fiel über ihre schönen Schultern. Wie alle Andern, die dem Sinnenden begegneten, wich auch sie ehrerbietig zur Seite, dies geschah aber, wenn auch langsam und zögernd, doch mit einer hinreißenden Grazie, sie heftete dabei ihre großen Augen fest auf das Antlitz des Meisters.
Das waren aber Augen, die wohl die Macht besaßen, zu binden und zu lösen, eine träumende Seele aufzurütteln, an sich zu ziehen, festzuhalten, Augen von wunderbar dunklem Blau mit den köstlichsten Wimpern und Brauen, leidenschaftlichem Aufschlag und unergründlicher Tiefe. Nur der Träumer Beethoven konnte diesem zauberisch-innigen Blicke so lange widerstehen, der ihn immer und immer wieder traf, er ging achtlos viele Tage an dem schlanken Mädchen vorüber, ohne sie zu bemerken. – Ihre feinen Lippen bebten immer, wenn er an ihr hinstreifte, es war als wolle sie reden und doch schwieg sie, sah ihm nach mit einem Ausdruck von Bewunderung und Schmerz und wandte sich dann, um in die Stadt zurückzukehren
Da zog denn eines Tages, eben in der fünften Nachmittagsstunde ein Gewitter am Himmel auf. Der Donner rollte näher, einzelne Blitze zuckten durch die Luft, ängstlich flatterten die Vögel, und die Menschen, die eben draußen waren, eilten, ihre schützenden Wohnungen zu erreichen. Einzelne Windstöße erhoben sich, aber kein Regentropfen milderte die drückende Schwüle, – immer lauter tönte die Stimme des Donners, immer wilder jagten sich die Blitze. – Da schritt Ludwig von Beethoven von seinem Spaziergange zurückkehrend wie ein Seher daher. – Das Haupt hoch emporgerichtet, die Stirn heller als sonst, schien er sich des ernsten Schauspiels zu freuen. Er allein schien jene großartige Sprache dort oben zu verstehen, denn er lächelte im Rollen des Donners und schaute kühn und ungeblendet in das Leuchten der Blitze. – Für ihn war das Gewitterbrausen nur der mächtig anschwellende Posaunenton einer gewaltigen Natursymphonie, der Wind, der in seinen Haaren wühlte, schien ihn zu heben und zu tragen, und als der ernste Mann jetzt die Arme emporhob in seltsamer stummer Begeisterung, da war es als erwarte er, daß ein Engel niederfahre zu ihm auf den Flügeln der Blitze. O, daß er ihm eine Riesenharfe brächte, damit er sie ausstürme jene seltsamen Melodien, von denen die Seele des Begeisterten so übervoll! – Beethoven wähnte auch wirklich einen Engel zu sehen, eine weiße Gestalt stand vor ihm, er starrte auf sie hin, eines Wunders gewärtig. – Aber der vermeintliche Engel zitterte, streckte ihm die Hände entgegen, murmelte hastig einige unverständliche Worte und sah ihn flehend an. – Ueberrascht blickte der Meister in ein erblaßtes Mädchengesicht. – Eine Erinnerung kam ihm an dies liebliche Antlitz – an diese reizende Gestalt – hatte er sie nicht schon oft gesehen – war sie nicht an ihm vorübergegangen? – Im Traume vielleicht! – Er wußte es nicht.
„Kind!“ sagte er endlich und beugte sich zu dem jungen Mädchen nieder, „in solchem Unwetter bist Du noch im Freien? Hast Du Dich verspätet, bist Du fehl gegangen?“
„Ich wollte nur zu Euch!“ antwortete fest und weich zugleich eine süße Stimme.
„Zu mir? Was kannst Du von mir wollen?“
„Eure – Leonore!“
Beethoven fuhr zurück.
„Wie heißt Du?“
„Wilhelmine Schröder. Ich stand schon viele Tage mit meiner heißen Bitte hier, erst heute wagte ich zu reden!“
„Und sahst Du nicht, wie das Wetter heranzog, fürchtest Du Dich nicht?“
„Ich fürchte nur Eins: daß ihr meine Bitte abschlagen werdet!“
Der Meister antwortete nicht – unerwartet blickte er in die blauen Augen des Mädchens. – Sie senkte sie nicht zu Boden, sie erröthete heiß, aber sie sah ihn an. – Da streckte Beethoven die Hand aus, faßte kräftig die kleinen Hände des lieblichsten Geschöpfs athmete tief und erquickt auf und sagte mild:
„Komm morgen früh zu mir, mein Kind, und sei muthig. – Ich glaube, ich habe meine Leonore gefunden. – Jetzt aber fort von hier – ich will Dich nach Haus führen!“
Und sie hing sich an seinen Arm mit einem seligen Lächeln auf den Lippen, ihre Wange glühte, ihr Körper zitterte, ihr Herz klopfte ungestüm – die Erfüllung ihres brennendsten Wunsches war nah. – Der Sturm hatte aufgehört, die Blitze zuckten schwächer, aber ein erfrischender Regen tropfte nieder. Am Thore der Stadt hob Beethoven das junge Mädchen mit väterlicher Sorgfalt in einen eben vorüberfahrenden Wagen, und Wilhelmine Schröder bezeichnete die Wohnung ihrer Mutter. – In kindlich überströmender Begeisterung küßte sie zum Abschiede die Hand des Meisters, er wandte sich, zu gehen. Noch einmal mußte er zurückblicken, und da sah er, über den Wagenschlag hinausgelehnt, das reizendste Mädchengesicht zu ihm hingewandt. Es war erblaßt vor innerer Bewegung, die junge ernste Stirn eingefaßt von goldnen Haaren, neigte sich vor ihm, sanft grüßten und lächelten die magischen Augen. Ludwig van Beethoven fühlte eine wundervolle Wärme an sein Herz strömen, eine selig-wehmüthige Ahnung durchquickte ihn, er sagte sich leise: „Dies Weib wird noch einen Sonnenstrahl auf deinen Weg werfen – den letzten!“
Und am folgenden Morgen stand Wilhelmine Schröder, die junge Sängerin, neben Beethoven am Clavier. Vor ihm aufgeschlagen lag die Partitur seiner Leonore. Er hatte dem blonden Mädchen kurz den Inhalt der Oper erklärt, der sie mächtig anzog, ging dann flüchtig über die ersten Nummern Jaquino’s und Marcellina’s hinweg und intonirte, leise summend, mit der einen Hand streng den Tact marquirend, mit der andern die Accorde der Begleitung greifend, die Leonorenstimme des Quartetts: „Mir ist so wunderbar.“ Das Mädchen folgte jedem Tone mit gespannter Aufmerksamkeit. Bei dem Terzett: „Muth, Söhnchen, Muth,“ leuchteten die blauen Augen leidenschaftlich auf, als sich aber das Prachtgemälde der großen Arie: „Abscheulicher, wo eilst du hin!“ vor ihrer Seele entfaltete, da flog ein Beben tiefster Erschütterung durch den zarten Körper. Mit jeder Nummer wuchs die Erregung der halb athemlosen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_194.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2019)