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Seite:Die Gartenlaube (1855) 191.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Ich gebe Ihnen den ersten Schuß,“ sagte Herr von Funcal in einem höhnenden Stolze, als er die weite Entfernung sah, die sein Gegner abgemessen hatte.

„Und ich nehme ihn an!“ rief Albrecht, indem er zu zielen begann.

Der Baron war ein guter Schütze; das Pistol krachte, und trotz der Entfernung, die einen Treffer sehr zweifelhaft zu machen schien, brach Herr von Funcal zusammen. Albrecht eilte zu ihm. Die Kugel hatte die rechte Seite verletzt – das Blut rann aus der schwarzen Weste des Blassen, der mit einem sardonischen Lächeln sagte:

„Sie zielen gut, Herr Baron! Ich durfte es von dem Schwiegersohne eines tyroler Försters erwarten!“

Dann fiel er ohnmächtig zurück, ohne einen beißenden Spott auszusprechen, der ihm noch auf den Lippen schwebte. Albrecht rief seinen Diener, mit dessen Hülfe er den Verwundeten in den Wagen schaffen wollte. Da schlug Herr von Funcal die schwarzen Augen wieder auf.

„Lassen Sie mich!“ sagte er abwehrend. „Ich liege gut hier – das Moos ist weich. Aber senden Sie mir den Priester jener Kapelle – er ist jetzt dort, er läutet die Glocke!“

Und wirklich ließen sich in diesem Augenblicke die Schläge einer Glocke vernehmen. Albrecht sandte seinen Diener ab.

„Sagen Sie Amalie,“ flüsterte der Verwundete, „wie Sie mich verlassen haben.“

„Und haben Sie mir nichts von Katharina zu sagen?“

„Sie werden auch ohne mich mehr erfahren, als Ihnen lieb ist! Entfernen Sie sich – ich sehe den Priester kommen!“

Der Geistliche übernahm den Verwundeten, und Albrecht, der seinen gefährlichen Gegner für tödtlich verwundet hielt, fuhr nach Spaa zurück. Er hatte Muße und Ruhe genug, einen Entschluß zu fassen. Sein erster Weg war zu Amalie. Ihr Zimmer stand offen. Eine Magd war beschäftigt, es zu ordnen.

„Wo ist die Dame?“

„Vor einer Stunde abgereis’t, mein Herr!“

„Wohin?“ fragte der überraschte Baron.

„Ich weiß es nicht.“

„Hat sie Aufträge zurückgelassen?“

„Nein!“

Albrecht eilte in sein Hotel. Eine halbe Stunde später saß er in seinem Wagen, der, mit drei Extrapostpferden bespannt, eilig auf der Straße nach Aachen fortrollte.




IV.
Intriguen.

Albrecht von Beck hatte gehofft, die entflohene Amalie unterwegs noch einzuholen; aber trotzdem die Reise mit Windesschnelle von Statten ging, trotzdem in allen Hotels und Posthäusern genaue Nachfrage gehalten – es war keine Spur zu entdecken. Wollte er der Befürchtung nicht Raum geben, daß Amalie mit dem Herrn von Funcal, den er für einen raffinirten Abenteurer hielt, einverstanden und in Spaa zurückgeblieben sei, so mußte er annehmen, daß sie eine andere Straße gewählt hatte. In diesem Falle war ein Wiederfinden in Aachen möglich. Der arme Albrecht zermarterte sein Gehirn mit tausend Vermuthungen; aber jemehr er sich die Einzelnheiten der Erlebnisse in Spaa wiederholte, je mehr glaubte seine Liebe daran, daß die junge Dame aus Besorgniß vor einem Eclat das Bad verlassen habe. Amalie lebte in seinen Herzen und in seinem Kopfe. Mit der Beharrlichkeit seines Charakters faßte er den Entschluß, nach Spaa zurückzukehren, wenn er in Aachen kein Resultat erreichen sollte; dort lag Herr von Funcal an seiner Wunde darnieder, und wäre er noch am Leben, so hoffte er mit ihm Unterhandlungen anzuknüpfen. Die Angabe, daß Katharina nicht gestorben sei, hielt er für eine Mystification, und er zweifelte nicht daran, ihr mit Hülfe seines Reichthums auf den Grund zu kommen.

Es war gegen Mittag, als der Reisewagen in das Thor von Aachen fuhr. In den Straßen wogten Tausende von Menschen, und große und kleine Prozessionen erschienen bei dem Klange der Glocken. Der Wagen mußte mehr als einmal halten, um in dem Menschenstrome nicht ein Unglück anzurichten. In dem Gasthause erfuhr der Reisende, daß die Heiligthümer des Doms der gläubigen Menge zur Verehrung gezeigt würden. Albrecht befand sich in der alten deutschen Kaiserstadt zur Zeit der sogenannten Heiligthumsfahrt, die alle sieben Jahre wiederkehrte. Das Fest war für ihn nicht nur ohne Interesse, es kam ihm selbst sehr ungelegen, da die fast überfüllte Stadt ihm die Erreichung seiner Absicht erschwerte. Nach dem Mittagsmahle begann er seine Forschungen. Sie blieben den ersten wie den zweiten Tag ohne Erfolg. Der glühend Liebende verlor die Hoffnung nicht, er tröstete sich mit dem Gedanken, daß Amalie nicht so rasch gereis’t sei als er. Am dritten Tage früh begab er sich zu der Elisenfontaine, einem heißen Sprudel, in deren Nähe die Kurgäste ihre Morgenpromenade zu machen pflegen. Ein reges Leben herrschte unter den Hallen und in der Allee. Es wogten Kurgäste, fromme und neugierige Wallfahrer durch einander.

Der Baron trat in ein Kaffeehaus, frühstückte und las dabei die Brunnenliste. Er fand keinen Namen, der ihm bekannt war. Mißmuthig begann er seine Wanderung von Neuem. In dem Augenblicke, als er den Platz betrat, hielt ein eleganter Ghig unter den Bäumen an. Der Jockey, ein Neger, sprang von dem Sitze, ergriff den Zügel des prachtvollen Rappen und wartet. Albrecht befand sich unter den Zuschauern, welche die Equipage mit Interesse betrachteten und darauf harrten, den glücklichen Besitzer derselben kennen zu lernen. Plötzlich erschien ein alter, schlicht gekleideter Herr, der am Arme ein junge Dame führte. Beide bestiegen den Wagen. Der Jockey reichte der Dame die weißen Zügel. Bei dieser Gelegenheit wandte sie den Kopf und Albrecht erkannte Amalie. Auch sie mußte ihn erkannt haben, wie von einer jähen Bestürzung ergriffen, sah sie ihn einen Augenblick an, dann ließ sie dem ungeduldigen Pferde die Zügel schießen, und der leichte zweiräderige Wagen rollte die Straße entlang. Noch einmal blickte sich Amalie um, dann verschwand sie zwischen den Bäumen. Albrecht wußte nicht, welchem der erwachenden Gefühle er sich überlassen sollte.

„Sie war es!“ flüsterte er. „Wer aber ist ihr Begleiter?“

Da ging der schwarze Jockey an ihm vorüber. Hastig berührte er die Schulter des Negers, der ihn verwundert ansah.

„Wem gehört der Wagen? Wer ist Dein Herr, Freund?“

Der Neger fletschte die Zähne und zuckte die Achseln als ob er entweder sagen wollte, ich verstehe Sie nicht, oder, ich kann Ihnen keine Auskunft geben.

„In welchem Hotel wohnt Dein Herr?“ fuhr Albrecht dringender fort. „Wie heißt er?“

Es erfolgte dieselbe Antwort. Doch ehe der Baron seine Frage wiederholen konnte, flüsterte eine Stimme dicht an seinem Ohre:

„Alphons von Funcal!“

Albrecht wandte sich. Ein wahrer Koloß von einem Manne stand vor ihm. Und welches Gesicht saß zwischen seinen breiten Schultern, von denen die eine etwas höher war als die andere. Unter starken buschigen Brauen, die offenbar geschwärzt waren, blinzelten ein Paar hellgraue, geschlitzte Augen. Die spitze Stirn war bleich und gerunzelt. Die kurzen Haare einer fuchsbraunen Perrücke, wohlpomadisirt, lagen dicht an den langen Schläfen. Eine dünne, fast eckige Habichtsnase saß zwischen herabhängenden welken Backen, die sehr glatt rasirt waren. Der breite Mund ward von schmalen, bläulichen Lippen gebildet, und das wie die Wangen welke Kinn ruhte behäbig in einer weißen Halsbinde. In den großen Ohren erglänzten kleine gelbe Knöpfchen. Seine Kleidung bestand aus einem weißen Filzhute, einem abgetragenen kaffeebraunen Rocke, gelben Nankingpantalons, weißen Strümpfen und Schuhen mit kleinen silbernen Schnallen. Die rechte Hand hielt ein großes spanisches Rohr.

Jeder andere würde diese kolossale Karrikatur bewundert haben; der Baron befand sich nicht in der Verfassung dazu.

„Funcal?“ wiederholte er gedehnt und ungläubig, denn der in Spaa Verwundete war ein langer, hagerer Mann von achtundvierzig Jahren – dieser hier ein Greis von vielleicht sechzig und von mittler gedrungener Gestalt. Und Amalie war bei ihm? „Irren Sie auch nicht?“ fragte er.

„Gewiß nicht, mein Herr!“ antwortete der Koloß, lächelnd auf ihn herniederblickend.

„So kennen Sie ihn?“

„Ziemlich genau. Das Fest der Heiligthümer wird alle sieben Jahre gefeiert, und das gegenwärtige ist das siebente, das dieser Portugiese besucht.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_191.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)