Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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der Höflichkeit nicht zu verletzen, beschäftige ich mich zunächst mit Ihrer Person.“
„Mein Herr, meine Geduld ist zu Ende!“ rief wuthbebend Albrecht. „Zwingen Sie mich nicht –“
„Ich werde Sie zur Geduld zwingen!“ sagte Funcal, indem er wie besänftigend seine lange, hagere Hand ausstreckte. „Hören Sie mich fünf Minuten an und Ihre Pulse werden langsam klopfen. In Tyrol, nicht weit von einem stattlichen Rittersitze, liegt ein einsames Forsthaus. Der Rittersitz, glaube ich, heißt Hegerswyl, und die Tochter des Försters, eine liebliche Alpenblume, hieß, wenn ich nicht irre, Katharina. Von dem Schlosse schlich allabendlich ein junger Mann nach dem Forsthause, wo Katharina seiner in einer duftenden Laube wartete. – Beide liebten sich mit der Schwärmerei der Jugend, und der Sohn des Schloßbesitzers, der es seines Vaters wegen nicht wagen durfte, offen um die reizende Katharina zu freien, ließ sich, unter dem Beistande des verblendeten Försters, heimlich mit ihr trauen, und schwor, sie der Welt als seine Gattin vorzuführen, wenn der adelstolze Vater das Zeitliche gesegnet habe. – Nicht wahr, Sie hören mich doch ruhig an?“ fragte der blasse Mann den erstarrenden Albrecht. „So fahre ich fort: der alte Freiherr von Beck starb nach einem Jahre, und sein Sohn trat zwar den unbeschränkten Besitz seiner Güter an, aber die arme Katharina blieb, was sie war, die verführte Tochter des Försters. Kennen Sie diese Geschichte, Herr von Beck?“ fragte höhnisch lächelnd Herr von Funcal.
„Ich kenne sie!“ antwortete Albrecht, der sich wieder gefaßt hatte.
„Nun, so müssen Sie auch wissen, daß der junge Baron nie wieder nach Hegerswyl zurückgekehrt ist, daß seine heimliche Gattin ihm einen Sohn geboren, und daß sie –“
„Den Schluß werde ich liefern, mein Herr!“ unterbrach ihn heftig der junge Mann. „Ich weiß, daß Katharina sich von einem Pfaffen bethören ließ, daß sie mit ihm entfloh, und daß die Betrogene in Wien starb. Der junge Baron, mein Herr, der Gründe hatte, seine Verheirathung noch einige Zeit zu verschweigen, hat nicht Katharina – sie hat ihn verrathen!“
„Die Tochter des Försters war ein redliches Gemüth.“
„Ganz recht, aber ihr Verführer war ein Schurke, und ihm messe ich die Schuld an ihrer Untreue und ihrem Tode bei. Ich habe ihr verziehen, Herr von Funcal –“
„Weil sie todt ist? Ah, sie hat einen klugen Streich gemacht, daß sie starb – nicht wahr? Im Tode verzeihen Sie ihr – was würden Sie thun, wenn sie noch lebte?“
„Diese Beharrlichkeit!“
„Antworten Sie mir!“
„Sind Sie mein Inquisitor?“
„Nein, aber der Bote, der Ihnen die Nachricht bringt, daß Katharina noch lebt!“
Albrecht schwieg einen Augenblick, während ein mitleidiges Lächeln seinen Mund umspielte.
„Herr von Funcal, an mir scheitern Ihre Intriguen,“ sagte er dann. „Hoffen Sie nicht, daß Sie mich durch diese Erfindung einschüchtern – aber vernehmen Sie, daß Amalie die Hülfe Ihrer christlichen Nächstenlieben nicht annimmt, auch wenn Sie ihr das Geheimniß meiner ersten Verheirathung mittheilen. Mir scheint, Sie setzen wenig Vertrauen in die Kraft der Gebete, die Sie vor dem Marienbilde verrichten, da Sie Ihren Nebenbuhler mit solchen Waffen zu vertreiben suchen. Noch heute wird Amalie Alles erfahren, und weigert sie sich dann, meine Hand anzunehmen, so ziehe ich mich vor dem frommen Manne zurück. Damit Sie aber sehen, daß ich ein Mann von Muth bin – an meiner Ehre erlaube ich Ihnen, Ihnen, Herr von Funcal, zu zweifeln – so werden Sie mir bis diesen Mittag den Beweis liefern, daß Sie kein Lügner sind. Und zu diesem Zwecke erwarte ich Sie mit Ihren Waffen bei der Marienkapelle. Wählen Sie Degen oder Pistolen – mir gilt es gleich, Sie werden mich gerüstet finden.“
„Ich bin kein Freund des Zögerns,“ sagte Herr von Funcal, „zumal wenn es sich um meine Ehre handelt.“
„Gut, so gehen wir gleich nach der Kapelle!“ rief der erregte Albrecht. „Hier sind Pistolen, hier Degen –“
„Mit den Waffen später, Herr Baron! Zunächst liefere ich andere Beweise.“
„Wie? Sinkt Ihnen der Muth?“ rief lachend der junge Mann.
„Diese Frage erlaube ich mir später an Sie zu richten; für jetzt öffnen Sie Amaliens Portefeuille, trennen Sie das schwarze Blatt, und Sie werden ein Billet finden, das Ihnen für jetzt den geforderten Beweis liefert. Oeffnen Sie, es gehört wenig Muth dazu.“
Albrecht stutzte; aber zu neugierig, den Ausgang der Sache zu erfahren, trat er rasch zu einem Secretär und holte das Portefeuille hervor, das er bei seinen Kostbarkeiten aufbewahrte. Herr von Funcal beobachtete ihn; und wahrlich, wäre er den Blicken seines Basilisken-Auges begegnet, er würde die Gefahr erkannt haben, die ihm drohte. Er entfernte die kleine silberne Nadel, die das schwarze Blatt mit dem Namen Amaliens an die perlengestickte Decke heftete, und das Billet, von dem der Blasse gesprochen, fiel ihm in die Hände. Bestürzt las er die von seiner eigenen Hand geschriebenen Worte:
„Katharina, Du bist mein Weib! Heute noch weiß es nur Gott und der Priester, der uns für die Ewigkeit verbunden hat; aber bald soll es die Welt erfahren, daß Du die Herrin von Hegerswyl bist. Zage nicht und vertraue Deinem Albrecht!“
In sprachlosem Erstaunen starrte er die Zeilen an. er erkannte nicht nur seine Züge, er erinnerte sich auch, daß dies die letzten Worte waren, die er an Katharina gerichtet hatte. Betrug war demnach unmöglich. Wie hatte Herr von Funcal sein Geheimniß erfahren? Wie war dieses Blatt in Amaliens Portefeuille gekommen, das sie, nach ihrer eigenen Aussage, selbst gestickt hatte? Welche Beziehungen mußten hier obwalten? Diese Fragen durchkreuzten wie Blitze seinen Kopf. Als er die Blicke erhob, spielte der blasse Mann gleichgültig mit dem kostbaren Diamantringe an seinem hagern Finger.
„Mein Herr,“ sagte Albrecht, „dieses Blatt beweis’t nur das, was ich nie geleugnet habe, nie leugnen werde; aber wo ist der Beweis, daß Katharina noch lebt“
„Wenden Sie gefälligst das Blatt, Herr Baron!“ war die ruhige Antwort.
Albrecht that es und er las die Zeilen:
„Erinnere Dich Deiner heiligen Pflicht, Albrecht! Jahre sind verflossen und Du hast Dein Weib nicht anerkannt. Eile zurück, so bald Du dieses Blatt gesehen hast, denn die Verzweiflung nagt an dem Herzen Deiner Katharina. Am Pfingstabend des Jahres 1840.“
„Am Pfingstabende wurden wir getraut,“ dachte er bestürzt, „und dies ist ihre Handschrift!“
Die magnetischen Blicke Funcal’s schienen den jungen Mann verschlingen zu wollen, als er fragte:
„Nun, Herr Baron, bin ich ein Lügner? Begreifen Sie nun, daß ich Sie kenne? That ich unrecht, wenn ich mich an Ihren Muth und an Ihre Ehre wandte? Wie leicht die Heirathsgedanken bei Ihnen entstehen, und wie leicht Sie sie ausführen! Noch lebt Ihre erste Gattin, und schon wollen Sie eine zweite nehmen. O, ich begreife Ihre Leidenschaft, denn Amalie ist ein Engel, in dessen Glanze alle Frauen der Erde verschwinden wie die Sterne vor der blendenden Sonne. Zögern Sie noch, mir das Portefeuille zurückzugeben?“
„Ja!“ rief Albrecht entschlossen. „Wählen Sie die Waffen, mein Herr; der Sieger wird der Besitzer des Portefeuilles und vielleicht auch der reizenden Amalie sein.“
„Gut, um Mittag also bei der Kapelle.“
„Nicht um Mittag, Herr von Funcal, Sie werden mich auf der Stelle begleiten! Ich halte Sie für einen Schurken –“
„Genug, ich begleite Sie! nehmen wir jene Pistolen, sie mögen entscheiden, wer Amalie sagt, daß ihretwegen ein Duell stattgefunden hat.“
Albrecht rief seinen Diener. Ruhig und still wurden die Vorbereitungen getroffen. Der Wagen fuhr vor, und eine halbe Stunde später befanden sich die beiden Duellanten am Platze. Man betrat die einsame Thalschlucht hinter der Kapelle, die zwar schmal, aber sehr lang war. Albrecht lud die Pistolen und präsentirte sie seinem Gegner. Herr von Funcal wählte eine derselben, indem er fragte:
„Tragen Sie das Taschenbuch bei sich?“
„Ja!“
Die Duellanten nahmen ihre Plätze ein, nachdem man festgestellt, daß nur eine Kugel von beiden Seiten gewechselt werden solle.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_190.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)