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Seite:Die Gartenlaube (1855) 187.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Aïr oder Asben, das gerade wie ein Ei im Wüstensande zwischen dem 17. und 20. Grade (6. und 8. Länge) als Gebirgsland sich erhebt; die Entdeckungen innerhalb der ungeheuern Ausdehnungen zwischen Guber und Mariadi im Westen, und Darfour im Osten vom 5. bis zum 15. Grade des Aequators, besonders in den Staaten Sudan, Bornu, Fumbina (Adamana), Bagirmi, den Fellata-Districten u. s. w., lauter Ländern, in welche vorher noch kein Europäer eingedrungen war. Das Verdienst, hier zuerst als Pioniere der Civilisation erschienen zu sein, gebührt ausschließlich Barth und Overweg. Die von ihnen zuerst empfangene geographische, geologische, hypsometrische, philologische und ethnologische Kenntniß dieser Länder und Völker bildet nicht nur eine neue Epoche in der geographischen Wissenschaft von Nord- und Centralafrika, sondern auch in der Geschichte des bis daher verschlossenen afrikanischen Continents. Der von Barth entdeckte Fluß im Innern (Benué) hängt wahrscheinlich mit den Flüssen Chadda und Kowara zusammen, welche sonach aus dem Golf von Guinea, in welche sie mit vielen Armen münden, viele Hunderte von geographischen Meilen in das tiefste Innere des ungeheuern Welttheils führen und als bereits geebnete Handels- und Civilisationsstraßen einer unabsehbaren Entwickelung von Palmöl-Pflanzungen, von blühenden Städten und Dörfern an ihren üppig blühenden Ufern hin fähig sind. Die jetzt mit näherer Erforschung jener Flüsse beschäftigte Dampfschiff-Expedition giebt bereits nach den bisher eingetroffenen Nachrichten Hoffnung, daß sich Barth’s Vermuthung bestätigen und somit auf einmal der Schlüssel in das Herz Afrika’s gefunden sein werde.

Die Ergebnisse eines langen Verkehrs unserer Reisenden mit den Hauptvölkern dieses Theiles von Afrika, den Tuariks, Fellata’s, Bornuesen und andern braunen, berberischen (nicht Neger-)Völkern reichen als Anknüpfungspunkte für Missionäre, Industrie und Handel sprachlich und ethnologisch vollkommen hin. Mächtiger als alle kirchlichen und künstlichen Bekehrungs- und Civilisirungsversuche ist das Interesse und der Trieb jener Völker, Produkte und Fabrikate der europäischen Industrie kennen, gebrauchen und erwerben zu lernen. Hunderte von Meilen weit laufen sie schon durch brennenden Sand mit einem Säckchen voll Palmölfürchten, um sich ein Stückchen Kattun, Zeug zu ein Paar Nankinghosen, einen Spiegel, zu klein als daß man die Nase auf einmal darin sehen könnte, und sonstige Kleinigkeiten einzutauschen. Eine afrikanische Dampfschiffsgesellschaft, welche das Palmöl tausendtonnenweise holt, um die große Stearinkerzenfabrik in London zu versorgen, bezahlt die dortigen Könige auch schon mit gußeisernen Häusern. Der Trieb, sich mit diesen Bequemlichkeiten und Schönheiten des Lebens zu versehen, ist bei diesen Völkern, großen Kindern, so mächtig, daß sie ihre Sclavenjagden und Räubereien vergessen und eifrig friedliche Palmöl-Kultur treiben.

Unter den vielen einzelnen und gemeinschaftlichen Reisen Barth’s und Overweg’s ist die des letzteren in den auf lauter Inseln des Tsadsees verstreuten Staat der Bidduma’s jedenfalls die interessanteste. Die Reisenden hatten ein ganzes Boot in Stückchen, auf Kameelen durch die Wüste Sahara mitgebracht und es am Ufer des Tsadsees von arabischen Zimmerleuten wieder zusammenfügen lassen. Auf diesem Boote, dessen lustig-schwellende Segel die Bewohner wie ein Wunder anstaunten, stach Overweg am 28. Juni 1851 in den bis dahin noch völlig unbekannten Tsadsee und fuhr darin zwischen einem unendlichen Labyrinthe von großen und kleinen, üppig mit Bäumen, Blumen und seltsamen Pflanzen geschmückten Inseln bis zum 8. August umher, umtanzt und umjauchzt von freudig aufgeregten, neugierigen, schwarzbraunen Biddumanern und deren weiblichen Schönheiten, die nach einem an Herrn Petermann mit eingesandten Portrait der Frau eines hochgestellten Biddumaners zu schließen, wirklich nicht übel aussehen, wie sie dann eben so naiv als gefällig und ungenirt in ihrem Benehmen waren.

Die Bidduma’s waren durchweg ungemein gefällig und zuvorkommend gastfreundschaftlich gegen den ersten Weißen und Weisen, der unter ihnen erschien. Der König war ihm sogar entgegengefahren, um ihn vom Gestade abzuholen, aber zu spät gekommen. Sie führten ihn auf den verschiedenen Inseln in die schönsten Gegenden, halfen ihm sein Zelt aufschlagen, brachten ihm Milch und Früchte und was sie sonst von ihren Produkten bieten konnten. Und doch sind sie ein professionirtes Volk von Räubern, das Rittervolk Mittelafrika’s. Wenn sie Geld, d. h. Vieh brauchen, fahren sie nach den Gestaden ihres Sees und nehmen den Bewohnern weg, was sie bekommen können. Dies ist kein Krieg, sondern nur eine Art von unorganisirter, barbarischer Steuereintreibung.

Ein schöner Menschenschlag sind diese Bidduma’s, lebendig, rührig, ritterlich, schwarzbraun, spitznasig, mit kleinen Einschnitten unter den Schläfen, mittelmäßig groß, anständig in dunkle Ueberwürfe gekleidet, reichlich geschmückt mit rothen und weißen Perlen und Elfenbeinschnitzwerk. Das weibliche Geschlecht hat geflügelte Köpfe, sie tragen zwei bunte Schmetterlingsflügel am Hinterkopfe von fünfzehn Zoll Länge. Die Waffen der Männer bestehen aus Lanze und Speer, womit sie gegen Krokodil und Flußpferd Jagd machen und Steuern einnehmen. Ihre Flotte besteht aus Booten von Bohlen oder Schilf ohne Segel, da Stangen in dem größtenteils sehr seichten (aber ziemlich 100 Meilen breiten) See zur Bewegung hinreichen. Sie sind fabelhaft geschickte Schwimmer. Sie bauen Baumwolle und verarbeiten sie selbst zu allerhand Zwecken, und treiben Viehzucht mit Rindern, Ziegen und Pferden, aber mehr „Allotria“ in Tanz und allgemeiner Heiterkeit auf den üppig blühenden, dicht gestreuten Inseln. Die heiße Sonne producirt hier auf üppigem Boden mehr, als der anhaltendste Fleiß der Scholle in unserm nördlichen Klima abringen kann, und wenn dort erst Kultur, Handel und Gewerbe eingedrungen sind, wird man die Natur unerschöpflich finden, obgleich sie auch Hunderte von Quadratmeilen stets so durchglüht, daß nur das „Schiff der Wüste“, das Kameel, und der darauf sitzende, gegen die Sonnengluth dicht in Wolle gewickelte Tuarik sich hindurch wagen kann.

In den türkisch-russisch - französisch - englischen Schlachten und noch mehr an Cholera und englisch-aristokratischer Diplomatie fielen voriges Jahr in runder Summe und gering angeschlagen etwa 50,000 Jünglinge und Männer. Haben die Lebenden, die Civilisation, die Wissenschaft, die wirklichen Interessen unsers Jahrhunderts für diese ungeheurere, dem Tode bezahlte unfreiwillige Steuer einen Gegenwerth erhalten, der mit dem Preise, wofür zwei deutsche Jünglinge ihr Lebens auf’s Spiel setzten und verloren, in einem entsprechenden Verhältnisse stände? Gält’ es wirklich und ehrlich die Civilisation, d. h. die Interessen der gebildeten Menschen dieses Jahrhunderts, dürften nach der furchtbaren Geschäftsweise der Geschichte 50,000 Menschenleben nicht zu viel sein. Aber: was hat man erreicht? Was wollte, was will man erreichen? Ach, ihr habt 50,000mal das höchste Eigenthum von Menschen muthwillig, liederlich, böswillig, tückisch verspielt und verschleudert und dabei selbst nur verloren, verloren in Ewigkeit, Alle nur verloren. Wie schön und edel erscheinen dagegen die in der großen Masse noch wenig beachteten Eroberungen der beiden deutschen Helden im Herzen eines neuen (des neuesten) Welttheils, wie unendlich groß und segensreich in der Zukunft der Werth, wofür sie ihr Leben hingaben!

Die Deutschen brauchen sich ihrer Neutralität in dem so verdiplomatisirten Kriege nicht zu schämen, während sie alle der Eroberungen zweier ihrer verstorbenen Helden freuen können, an deren Ruhme kein edeles Menschenblut klebt, sondern nur das schönere Roth einer vielen unbekannten Staaten und Völkern aufgehenden Lebenssonne.




Blätter und Blüthen.

Herzen, in seinem jüngst erschienenen Buche über Rußland schreibt: Ein junger Offizier erzählte mir, daß er im Jahre 1831 den Befehl hatte, einen polnischen Gutsbesitzer, den man beschuldigte, mit den Emissairen Verkehr zu haben, und der sich in der Nachbarschaft seines Guts versteckt hielt, aufzusuchen. Nachdem er gehörige Erkundigungen eingezogen hatte, begab er sich an den Ort, wo der Gutsbesitzer sein sollte, umringte mit seiner Compagnie das Haus und ging selbst mit zwei Gensd’armen hinein. Das Haus war leer; sie gingen durch alle Zimmer, durchwühlten alle Winkel – Niemand war zu finden. Und doch bewiesen manche Kleinigkeiten, daß das Haus unlängst bewohnt worden war. – Der Offizier ließ beide Gens’darmen unten und ging selbst ein zweites Mal hinauf auf den Dachboden, untersuchte ihn aufmerksam und fand eine kleine Thüre, die in irgend eine Vorrathskammer führte. Die Thüre war von innen zugemacht. Er stieß mit dem Fuß dagegen, sie that sich auf, und eine hochgewachsene, schöne Frau stand vor ihm. Schweigend zeigte sie auf einen Mann, der ein zwölfjähriges, fast bewußtloses Mädchen in seinen Armen hielt. Das war der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_187.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2023)