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Seite:Die Gartenlaube (1855) 184.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Ein Türke.

Hyder Ali, den ich schon in Berlin als einen Theil der frühern türkischen Gesandtschaft hatte kennen lernen, begegnete mir neulich plötzlich in London. Wir erneuerten beiderseits unsere Bekanntschaft mit Herzlichkeit und besuchen uns nun gegenseitig zuweilen. Gestern trat er zu mir ein in der Dämmerstunde und grüßte mich in der üblichen, würdigen türkischen Weise: „Möge Ihr Abend glücklich sein!“ (aber auf Französisch, das er allein von allen fremden Sprachen flüssig sprach, so daß unsere ganze Unterhaltung französisch blieb.) Der üblichere, familiäre türkische Gruß: „Salem aleikum!“ (Friede sei mit Euch!) ist blos unter Muselmännern selbst Sitte. Ich wollte es ihm so behaglich als möglich machen, nöthigte ihn auf den englischen Couch“ (breites Sopha) und bot ihm eine Cigarre an, wozu ich Kaffee bestellte. Er verweigerte die Cigarre entschieden und sagte, daß der noch nie habe begreifen können, wie die „Franken“ selbst in Paris und London sich des Tabacks in einer so rohen Weise erfreuen könnten. „Wir lieben das Aroma, den Geist,“ fuhr er fort, „und destilliren selbst den Rauch durch das Wasser der Nargili. Es ist eine höhere, reinere, geistigere Art zu rauchen. Wir verunreinigen unsere Lippen nie durch eine Cigarre.“ Da ich keine Nargili hatte, wußte ich mir erst nicht zu helfen, schickte aber bald zu einem benachbarten Freunde, der wenigstens eine Chibuck-Pfeife hatte, und borgte mir sie. Ich füllte den kleinen Kopf mit englischem „Birds-eye“ („Vogelauge“, der gebräuchlichsten Sorte in England), stellte das metallene Pfeifenbrett auf den Fußboden, schrob das bernsteinbespitzte Kirschbaum-Rohr daran, legte eine Kohle auf den Taback (ein Fidibus ist dem Türken unmöglich), reichte ihm die Spitze und meinte nun, es ihm heimathlich gemacht zu haben, zumal da ich ihm auch den Kaffee in türkischer Manier schwarz mit dem „Satze“ und ohne Zucker in einem Glase bot. Er berührte die Bernsteinspitze dann und wann mit den Lippen, nahm einen „Paff“ und fuhr fort zu schweigen.

Nach einer Weile glaubte ich etwas sagen zu müssen und brach eine Gelegenheit vom Zaune der Gegenwart. „Apropos,“ frug ich, „wie geht es denn zu, daß die Türken, welche die Moskowiter (Russen heißen bei ihnen immer so) bei Oltenitza, Citate u. w. w. so tapfer schlugen und Silistria so heldenmüthig zu vertheidigen wußten, sich jetzt als Gassenkehrer der Alliirten in Balaklava brauchen lassen?“

„Ihr habt wahrscheinlich nicht von Amru, dem Sohne Madikarl’s gehört,“ war die Antwort, „dem Araber in den Zeiten der ersten Chalifen. Der Ruhm seines unüberwindlichen Schwertes war so groß, daß Omar, der Chalif, an ihn schrieb, er möge dieses Schwert in seinen Palast senden. Amru sandte es mit pflichtschuldiger Ehrerbietung; aber schon nach einigen Tagen kam eine Gesandter Omar’s zu ihm, daß das Schwert seinem Ruhme durchaus nicht entspreche und nicht besser sei, als jedes andere. Darauf sprach Amru: „Das ist wahr. Ich habe blos mein Schwert gesandt, nicht auch den Arm, der es zu schwingen weiß.“ Darauf sandte Omar zu Amru selbst und brachte Schwert und Helden zusammen, so daß er mit demselben der Schrecken aller Ungläubigen blieb. Die Alliirten haben aber durchaus nichts gelernt vom Chalifen. Sie verlangten blos das Schwert, nicht den Arm, der es schwingt, den Arm, den sie außerdem noch zu fesseln versuchen. Und nun sind sie doch zornig, daß sie das Schwert werthlos finden.“

Diese Anspielung auf Ausmerzung der einzigen Helden, welche die türkische Armee allein zu schwingen verstanden, die auf Oesterreichs Veranlassung vorgenommene Ausscheidung der Renegaten-Offiziere, welche den Stab Omer Paschas bildeten, war ganz im orientalischen Style gehalten, wie Hyder Ali überhaupt alle guten Seiten des Türkenthums beibehalten zu haben scheint, so viele Jahre er sich auch schon im „civilisirten Westen“ aufhielt.

„Aber Amru,“ erwiederte ich, mich möglichst seiner Ausdrucksweise anbequemend, „war nur ein Sterblicher. Was war das Schicksal seines Schwertes?“

„Allah ordnete es so,“ antwortete er, „daß Amru’s Schwert immer einen Arm, es zu schwingen, fände, so oft es gilt, es gegen Unrecht und Anmaßung zu führen. Wir finden es noch einmal in unserer Geschichte erwähnt. Als der byzantinische Kaiser Nikephoros den Tribut an Harun al Raschid, den großen Chalifen, verweigerte (obgleich ihn die Kaiserin Irene versprochen) und statt des Goldes ein Dutzend Schwerter sandte, nahm Harun Amru’s Schwert und hieb die zwölf griechischen Schwerter mit einem Streiche durch, als wären es Rüben. „Wenn ihr keine bessern Klingen in eurem Lande habt,“ sagte Harun zu den Gesandten, „so nimm diese Stücke zurück und bezahlt den Tribut, wie bisher.“ Aber sie verweigerten das Gold, und Harun nahm Amru’s Schwert und holte es sich, wenigstens die Stadt Erekli am schwarzen Meere, die ihr Heraclea nennt.“

„Harun,“ engegnete ich, „bekam in Heraclea eine Goldmine, obgleich er sie nicht erkannte. Und eure unthätige Regierung denkt noch bis heute nicht daran, sie sich zu Nutze zu machen. Hat man nicht bei Heraclea ein reiches Bett von Anthracit-Kohlen entdeckt? Haben wir nicht Recht, euer Volk Barbaren zu nennen, da ihr euch durchaus nicht zu industriellen Unternehmungen entschließen könnt?“

Hyder Ali behielt seine größte Seelenruhe und erwiederte mit der kältesten Würde: „Wir nehmen von Erekli gerade so viel Kohlen, als wir für unsere Dampfschiffe brauchen. In unseren Häusern lieben wir sie nicht, wie die Engländer thun. Von diesen Engländern haben wir auch gelernt, daß Baumwollemachen und Machen von allem Möglichen, um nur Geld für sich und keinen Menschen, nicht einmal sich selbst glücklich zu machen, für uns nicht paßt. Wir lieben es nicht, unser Leben zu opfern, um viel Geld zu hinterlassen, uns und unsere Herzen gegen unser eigenes Glück und das Recht der Andern zu verschließen, um sagen zu können: wir haben viel Geld. Wozu mehr Dinge schaffen, als wir zum ruhigen, einfachen Leben brauchen? Wozu Kohlen haben, die wir nicht verbrennen wollen? Die Engländer wollten Kohlen verbrennen. Die Armee bei Balaklava brauchte Feuerung. Sie schifften ihre Kohlen nach Malta, von Malta nach Corfu, von Corfu nach Balaklava, und ließen ihre Soldaten erfrieren und verhungern, während Erekli, die „Goldmine“, die Jeder kennt, Balaklava gerade gegenüber liegt. Warum gaben sich die gebildeten Franken nicht selbst den guten Rath, den sie brauchten? Mögen die Franken unsere Kohlen brennen, wir haben nichts dagegen. Ihr dürft uns nicht für eure eigenen Fehler tadeln.“

Ich merkte, daß er sich etwas verletzt fühlte und lenkte das Gespräch auf die glänzende, poetische, gebildete, weise Periode Harun al Raschids zurück. Er pries ihn mit glühender Malerei und erzählte folgende Anekdote:

„Der Chalif hatte manche Umdrehungen des Schicksals erfahren, aber sein Glaube blieb ungewunden und stark. Sein Vater al Maadi überließ die Sorge seiner Regierung seinen beiden Söhnen gemeinschaftlich, damit sie mit vereinten Kräften Recht übten und den Islam ausbreiteten. Aber der ältere Bruder weigerte sich, gerecht gegen den jüngern Bruder zu sein, verstieß ihn und beraubte ihn all seines Rechtes und seiner Habe. Al Hadi hieß der ältere, der jüngere war Harun al Raschid. Der letztere stand nun beraubt all seiner Güter an der Brücke des Tigris und sah zu, wie die Wogen des Flusses alle nach dem Meere liefen unaufhaltsam, ohne daß eine wiederkehren dürfte. Und so dachte er, wie auch sein Glück gegangen sei, eins nach dem andern, und keins wiederkehrte.

Nur seines Vaters kostbarer Ring war ihm geblieben, dessen er sich sehr freute im Glanze der Sonne auf der Brücke des Tigris. Der Schein seines Edelgesteins war ihm die letzte Bürgschaft seiner geschwundenen Größe. Aber in demselben Augenblicke kamen Boten von Al Hadi, welche den Ring zurückverlangten. Harun nahm ihn von der linken Hand, hielt ihn noch einmal gegen die Sonne, warf ihn in die Wogen des Tigris und sprach zu den Boten:

„Erzählt Eurem Meister, daß alle seine Macht diesen Ring nicht zurückbringen kann. Er ist begraben im Bette des Tigris, wo ihn kein Taucher finden kann. Soll ich das letzte Zeichen meiner Geburt verlieren, will ich wenigstens es nicht ihm geben, der mich beraubt hat aller meiner Rechte.“

Al Hadi versprach dem Taucher, der den Ring wiederbringen würde, einen königlichen Preis, aber der Fluß hatte ihn verschlungen und gab ihn nicht heraus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_184.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2023)