Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 14. | 1855. |
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Das Marienbild.
In dem wild romantischen Thale, das Spaa mit seinen Heilquellen einschließt, stand noch im Jahre 1840, ungefähr eine halbe Stunde von dem Badeorte entfernt, eine kleine, der Jungfrau Maria gewidmete Capelle. Das armselige, aus Holz gebaute Kirchlein lehnte sich an eine schroffe Felswand, aus deren Spalten herab großblätteriges Schlingkraut hing, das verwitterte Dach wie mit einem Mantel bedeckend. Eine Treppe von vier Stufen führte zu dem verrosteten Eisengitter, durch dessen Stäbe man das mit Flittern und bunten Kleidern geschmückte Bild der Gebenedeieten auf einem kleinen Steinaltar erblicken konnte. Man legte dem Gnadenbilde mancherlei Wunderkräfte bei, und deshalb kamen nicht selten fromme Landleute, um durch inbrünstige Gebete Erlösung von irgend einem Uebel zu erflehen.
Ein prachtvoller Juliabend hatte sich auf das Thal herabgesenkt, die scheidende Sonne vergoldete mit glühendem Scheine die felsigen Bergrücken, und die Hitze des Tages nach einer angenehmen, erquickenden Kühle, als eine höchst elegant gekleidete junge Dame die Stufen der Kapelle hinaufstieg, vor dem Gitter niederkniete, die mit zarten Handschuhen bekleideten Hände fromm zusammenlegte, und still zu beten begann. Zwei Minuten später erschien eine zweite Person, die vorübergehen wollte, aber plötzlich stehen blieb, als sie die knieende Dame erblickte. Diese Person war ein junger Mann in Jagdkleidern, ein Jäger, wie ihn die pariser Mode nur erschaffen kann. Ein zierliches Gewehr an grünem Bande hing über seiner Schulter, an der Seite trug er eine elegante Jagdtasche und ein glänzendes Pulverhorn. Eine Art Tyrolerhut und ein krauser, schwarzer Schnurrbart gaben dem schönen gebrannten Gesichte jene interessante Romantik, die man in den Bädern um jene Zeit zur Mode erhoben hatte, vorzüglich in Spaa, wo deutsche, französische und englische Elegants sich den Rang streitig zu machen suchen.
Der Jäger konnte nur das Profil der betenden Dame sehen, aber er mußte sich bewundernd eingestehen, daß sie ein zartes, reizendes Gesicht hatte. Schwarze Locken quollen unter dem leichten italienischen Strohhute auf den weißen Shawl herab, der wie angegossen auf den vollendet schönen Formen des Oberkörpers lag,.
„Eine Dame hier vor dem Bilde?“ flüsterte der Jäger verwundert vor sich hin. „Den Kurgästen scheint sie nicht anzugehören, wenigstens erinnere ich mich nicht, sie in Spaa gesehen zu haben – ich muß wissen, wer das fromme Wesen ist! Ob sie wirklich von dem Glauben an das Bild getrieben wird, von dem man sich erzählt, daß es kranke Herzen und kranke Körper heilt?“
In diesem Augenblicke ließen sich Schritte auf dem von Gebüschen versteckten Fußpfade vernehmen, der zu dem Badeorte führte. Der Jäger trat rasch hinter einen von der Capelle vielleicht zehn Schritte entfernten Strauch, von wo aus er deutlich den ganzen Raum vor dem Kirchlein übersehen konnte, ohne bemerkt zu werden. Kaum hatte er sein Versteck eingenommen, als die Gestalt eines langen, hagern Mannes auf dem Platze erschien, Sein bleiches, bereits durchfurchtes Gesicht verrieth eine freudige Ueberraschung, als er die betende Dame erblickte, und es war nicht zu verkennen, daß er sie hier zu finden gehofft hatte. Leise trat er ihr näher, zog seinen eleganten Filzhut, und sah lächelnd zu der Betenden empor, die das Geräusch seiner Schritte nicht bemerkt zu haben schien, denn ruhig verharrte sie in ihrer Stellung. Nach zehn Minuten erhob sie sich, warf ein Geldstück in die Blechbüchse, die mit eisernen Klammern an der Kapelle befestigt war, und stieg die Stufen der Treppe hinab. Der hagere Mann grüßte, ergriff zwanglos die Hand der Dame und zog sie an seine Lippen.
„Fräulein Amalie, Sie sind ein Engel“ sagte er entzückt, „Sie besitzen alle Eigenschaften, die das Herz eines fühlenden Mannes mit Bewunderung und Ehrfurcht erfüllen.“
Amalie war leicht erschreckt, als sie den Mann im schwarzen Fracke und ehrerbietig den Hut in der Hand tragend erblickt hatte. Ihr zartes Gesicht mit den lebhaften Augen überzog eine feine Röthe.
„Bei Ihnen, Herr von Funcal,“ sagte sie mit einem zauberischen Lächeln, das auf jeder der Lilienwangen ein Grübchen erscheinen ließ, „bei Ihnen darf ich wohl voraussetzen, daß meine einsamen Wallfahrten zu diesem Gnadenbilde nicht bespöttelt werden. und deshalb zürne ich Ihnen nicht, daß Sie mir heute gefolgt sind!“ sagte sie hinzu, indem sie züchtig die Blicke zu Boden senkte.
„Ich bekenne gern, daß mich nicht der Zufall, sondern die Absicht geführt hat, die liebenswürdige Amalie zu sehen. Ich wußte, daß sie sich aus dem Hotel entfernt, daß sie diesen Weg eingeschlagen hatten.“
„Denselben, den Sie Morgens bei Sonnenaufgang wählen, um hier zu beten,“ sagte die junge Dame.
Herr von Funcal setzte seinen Hut auf die Stufe der Steintreppe; dann ergriff er mit beiden Händen die kleine, niedliche Rechte der Dame.
„Amalie,“ sagte er mit bebender Stimme, „wir stehen hier, fern von dem Treiben der vergnügungssüchtigen Badewelt, an einsamer,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_177.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)