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Seite:Die Gartenlaube (1855) 170.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

unsern Augen dar! Rings eine weite, dumpfgrollende Wasserwüste! Wir suchten unsere Wohnstätten – sie waren verschwunden! Nur hier und da ragte das Dach eines Hauses aus der trüben Fluth empor, wie der Wrack eines versunkenen Schiffes. Wir hatten zwar das Leben gerettet, aber wir waren arme, obdachlose Menschen. Weinend drückte der Vater seine Gattin, seine Kinder an das Herz, und sandte einen Blick des Dankes zu dem Himmel empor, der ihm gnädig seine Lieben gelassen hatte.“ –




Das Stereoskop.
Einrichtung und Geschichte.

Warum hat uns die Natur, von der man sagt, daß sie ihre Zwecke stets auf dem kürzesten und einfachsten Wege zu erreichen wisse, mit zwei Augen ausgerüstet, da wir dessen ungeachtet die Dinge gewöhnlich doch nur einfach sehen? Diese Frage ist oft aufgeworfen, ohne daß sie genügend beantwortet werden konnte. Erst in neuester Zeit hat das Stereoskop, ein einfacher physikalischer Apparat, der mit Recht alle die begeistert, die sich an seinen Wundern ergötzen, das Räthsel gelöst und doch ist wohl über keinen Gegenstand so viel und so heftig gestritten worden, wie über das einfache Sehen der Dinge mit beiden Augen.

Wir haben es in unserer Macht, die Gegenstände einfach oder doppelt zu sehen; letzteres erfordert freilich einige Anstrengung. Wir sehen einfach, scharf und deutlich, wenn beide Augen für die Entfernung eingerichtet sind, in der sich der Gegenstand befindet. Geben wir aber den Augen die Einrichtung für eine größere oder kleinere Entfernung, so sehen wir doppelt und stets undeutlich, verwaschen. Bei einiger Anstrengung, bis der Leser die Uebung erlangt hat, die Augen beliebig einzustellen, kann er sich leicht davon überzeugen, wenn er zwei Finger in gehöriger Entfernung hinter einander vor die Augen hält. Man kann hier ganz nach Gefallen den vorderen oder den hinteren Finger doppelt sehen, je nachdem man die Augen in umgekehrter Ordnung eingestellt hat. Um nun diesen Umstand zu erklären, sagte man, daß beim Sehen zwar ein jedes Auge dasselbe Bild des Gegenstandes aufnehme, aber die Punkte, auf welche das Bild falle, verschiedene seien; beim einfachen Sehen falle das Bild auf übereinstimmende Punkte, d. h. solche, deren Nerven mit einander in Verbindung stehen, sich bei dem weiteren Verlauf zu einem vereinigen, und beim doppelten Sehen auf Stellen, die sich nicht entsprechen, weil deren Nerven auf ihrem Wege zum Gehirn getrennt bleiben. Daher sollte im ersteren Falle durch die Vereinigung der Nerven auch das doppelte Bild zu einem einzigen vereinigt werden und dann erst in uns zum Bewußtsein kommen, in letzterem jedoch zwei, weil jeder Nerv besonders den durch das Licht empfangenen Eindruck in unserem Gehirn zum Bewußtsein brachte. War diese Erklärung richtig, so konnte man das eine Auge als überflüssig betrachten. Man hatte hierbei aber ganz außer Acht gelassen, daß beim Sehen eines nahen Körpers keineswegs in einem jeden Auge dasselbe Bild auf der Netzhaut entstehe, sondern ein merklich unähnliches. Wenn der Leser sich z. B. einen Würfel in geringer Entfernung vor die Augen hält und ihn abwechselnd mit dem einen oder anderen Auge betrachtet, so sieht er mit jedem etwas Anderes, wie uns dies auch die nebenstehende Zeichnung anschaulich macht. Daraus wird klar,



daß man bei nahen Gegenständen mit beiden Augen mehr sieht als mit einem, und aus diesem einfachen Grunde kann kein Maler, so geschickt er auch sein möge, eine so treue Darstellung von einem nahen körperlichen Gegenstande geben, daß sie vom Original selbst nicht zu unterscheiden wäre, denn bei dem Körper sieht nicht jedes Auge dasselbe, wohl aber bei dem Gemälde, weil es auf einer Fläche dargestellt ist, die dem Auge keine verschiedenen Ansichten darbietet. Betrachtungen hierüber hat schon Leonardo da Vinci, der große Künstler und geistreiche Philosoph in einer Abhandlung über die Malerei angestellt, ohne aber darüber in’s Reine zu kommen.

Anders ist es nun, wenn wir einen fernen Gegenstand betrachten. Ob man ihn mit einem Auge ansehen mag oder mit beiden – der Anblick ist immer derselbe, weil hier die Stellung der Augen zu dem Gegenstande fast eine gleiche zu nennen ist, da die Sehachsen – die Linien, die man sich von dem Punkte, auf welchen das Auge gerichtet ist, mitten durch die Augen gezogen denkt, – einen so kleinen Winkel bilden, daß man sagen kann, sie liefen parallel. Da hier der Anblick für beide Augen derselbe ist, so kann auch ein geschickter Künstler eine so treue Darstellung von entfernten Gegenständen aufnehmen, daß man geneigt ist, das Gemälde für Wirklichkeit zu nehmen, wie das bekannte Diorama, eine Erfindung Daguerre’s, lehrt.

Je näher nun aber der Gegenstand dem Auge rückt, um so größer wird der Winkel, den die beiden Sehachsen bilden; mit dem zunehmenden Winkel wird auch die Stellung der Augen immer mehr eine verschiedene, bis endlich die Gleichheit der Anschauung aufhört und jedes Auge eine andere in sich aufnimmt. Die große Verschiedenheit, die zwischen der Betrachtung naher und entfernter Dinge wirklich stattfindet, kann sich der Leser sehr leicht auf folgende Weise recht deutlich zur Anschauung bringen. Er stelle einen großen Ring in geringer Entfernung von sich so auf, daß die schmale Seite der Nase zugekehrt ist, also die Oeffnung seitwärts liegt, so wird er bald von rechts, bald von links durch den Ring hindurch sehen, je nachdem er das eine oder das andere Auge gebraucht. Rückt man den Ring weiter fort, so wird man bald nichts weiter davon wahrnehmen als den schmalen Reif, mag man das rechte oder das linke Auge schließen.

Auf den besprochenen Unterschied machte zuerst 1838 Wheatstone, ein berühmter englischer Physiker, dem die Wissenschaft viele und wichtige Entdeckungen zu verdanken hat, aufmerksam. Er wunderte sich selbst darüber, daß diese für die Theorie des Sehens so wichtige Thatsache bis dahin noch nicht die Aufmerksamkeit eines naturforschenden Auges auf sich gezogen und hinreichend gefesselt hatte. Als völlig neu stellte er sie hin und die Früchte der neuen Anschauung liessen auch nicht lange auf sich warten. Diese Betrachtungen führten sehr bald zum Stereoskop. Wheatstone stellte sich nämlich die Frage, was wohl der Erfolg sein möchte, wenn man anstatt des Gegenstandes perspectivische Zeichnungen, genau so entworfen, wie jedes Auge für sich den Gegenstand sieht, gleichzeitig einem jeden Auge darböte. Da beide Zeichnungen jedoch nothwendigerweise bei der Betrachtung verschiedene Plätze einnehmen, so war dafür zu sorgen, durch irgend eine Einrichtung beide Bilder so auf die Netzhaut der Augen fallen zu lassen, daß beide Eindrücke vereint dem Beschauer zum Bewußtsein kamen. Dieser Versuch bedingte die Entdeckung des Stereoskopes, die Wheatstone mit zu seinen größten Triumphen rechnet, die er auf dem Gebiete der Wissenschaft errungen hat. Während eine jede Zeichnung für sich mit einem Auge angesehen sich als das darstellt, was sie ist – eine Fläche – war der Eindruck, der sich Wheatstone darbot, als er beide Zeichnungen zugleich mit beiden Augen betrachtete ein überraschender; die Zeichnung, die Darstellung auf einer ebenen Fläche war verschwunden und an die Stelle beider war das genaue Gegenstück des Originals, eine Figur von drei Dimensionen, also ein Körper getreten. Diese Eigenthümlichkeit, Abbildungen körperlich zur Anschauung zu bringen, wird schon durch den fremdländischen Namen des kleinen Apparates angedeutet. Er erfüllt auf die überraschenste Weise das, was die Perspective wohl verspricht, aber meistens doch nicht halten kann.

Indessen ist kein Meister bis jetzt vom Himmel gefallen. Daher waren auch die ersten Einrichtungen Wheatstone’s sehr unvollkommen. Der Hauptübelstand war der, daß das Sehen hier ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_170.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2023)