Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Er war es – er war es – er mordete heute seine Brüder.“ Nach einer Weile wurde sie ruhiger und die Hand auf die Brust legend sprach sie: „Still, Herz, vergiß den Verräther!“ – Die Liebe zum Vaterlande mag bei dem Mann zwar eine hohe, mächtige Leidenschaft sein, der er Alles und auch das Theuerste opfern kann, aber bei einem Weibe wird sie selten so stark sein, um zu einem Frauenherzen zu sagen: „vergiß den, welchen Du liebtest“ – und dann auch den Geliebten vergessen können.
So viel Mühe sich auch Dolores gab, Don Ramon’s Andenken aus ihrer Seele zu verbannen, so sah sie doch immer seine Gestalt vor ihren Blicken auftauchen, und ein jäher Schreck, ein Schreck aus Freude und Angst flog durch ihre Seele, als sie beim Einbruch der Nacht wohlbekannte Tritte auf der Treppe hörte und gleich daraus Don Ramon, die Thür öffnend, in’s Zimmer trat. Aber als sie ihn nun vor sich sah in der verhaßten französischen Uniform, in der Farbe der Unterdrücker ihres Landes, verschwand jene weiche Empfindung und das Feuer der Entrüstung loderte wieder in ihr auf. Don Ramon sah bleich und bewegt aus, er schritt auf das junge Mädchen zu und indem er sich auf ein Knie vor ihr niederließ, flüsterte er:
„Dolores!“ Aber diese wich einen Schritt zurück und ihn mit Blicken von glühender Entrüstung betrachtend, rief sie:
„Was willst Du hier, Verräther, dessen Hand noch rauchend von dem warmen Blut Deiner Brüder? Fort aus meinen Augen, bringe den Namen Dolores nicht mehr über Deine Lippen, ich habe aufgehört, für Dich zu leben, von dem Augenblicke an, wo Du diese Uniform mit den Farben des Vaterlandes vertauschtest.“
Dunkle Röthe überzog bei diesen Worten das Gesicht des jungen Offiziers.
„Dolores!“ rief er, „höre mich, ein Wort von mir, bevor Du mich verurtheilst – der Richter gestattet es dem Verbrecher, kannst Du es mir verweigern?“
Und er erzählte dem jungen Mädchen die Beleidigungen, die Kränkungen, die er von seinem Obersten hatte erdulden müssen und die ihn unter Frankreichs Fahnen getrieben. Seine lebhafte Schilderung bewegte Dolores, aber sie erweichte sie noch nicht.
„Wohlan“ rief sie aus, „ich glaube, was Du sagst, aber warum ließest Du dem Vaterland entgelten, was ein Einzelner verbrochen? – Es giebt nur ein Mittel, wodurch Du meine Liebe wieder erlangen kannst.“
„Sprich, sprich, Dolores!“ rief, von Leidenschaft und Liebe überwältigt, Ramon – aber verlange nichts, was gegen die Ehre ist; Barmherzigkeit, meine Dolores, ich will Alles opfern, mein Leben, es ist das Einzige, was ich noch habe, nachdem ich Dich und das Vaterland verloren – nur meine Ehre verlange nicht zum Opfer!“
„Deine Ehre?“ antwortete das leidenschaftliche Mädchen. „Was ist Ehre – nur im Dienste des Vaterlandes giebt es Ehre, Du verlorst sie, als Du diese Uniform anzogst. Was Du „Ehre“ nennst, ist ein leerer Begriff, ein Nichts, ein Köder, mit dem Euch Euer Tyrann an sich fesselt!“
„Dolores, Dolores!“ stammelte Ramon, „Du machst mich wahnsinnig, Du raubtest mir das Letzte, was mir geblieben.“
„Sei ruhig und höre,“ antwortete Dolores, „und willigst Du in das, was ich verlange, so bin ich Dein, Dein auf alle Zeiten!“
„Dolores,“ rief Don Ramon, „spanne mich nicht länger auf die Folter! In wenig Stunden muß ich fort, mit Depeschen meines Generals – es ist eine gefährliche Sendung, ich muß durch von Spaniern besetzte Orte, vielleicht bringt sie mir den Tod – raube mir nicht diese wenigen Minuten des Glücks, denke an die schönen Zeiten zu Saragossa, an jene Abende, wo wir an den Ufern des Guerva Hand in Hand gingen, von Liebesglück und heiterer Zukunft träumten, wo wir –“
„Schweig,“ unterbrach ihn Dolores, die fürchtete, sich durch die Erinnerung an jene schönen, vergangen Tage erweichen zu lassen, „schweig und höre – Du gehst noch heute Nacht, wie Du sagst, mit Depeschen Deines Generals ab – Du kommst, wie Du sagst, durch Orte, die den Spaniern ergeben – wohlan, ich habe hier einen Brief an den Commandanten der nächsten spanischen Garnison, es ist ein Verwandter von mir, ich werde ihn in das Futter Deines Rockes nähen und Du wirst ihn durch einen sicheren Boten an seine Adresse befördern. – Ich kann es nicht, denn die ganze Gegend ringsherum wimmelt von französischen Streifcorps.“ –
„Dolores, Dolores, was verlangst Du?“ rief schmerzlich Don Ramon, „nur das nicht, Verrath an meiner Fahne.“
„Gut, so gehe, Unglücklicher,“ rief entrüstet Dolores und stieß ihn von sich.
„Dolores, was machst Du aus mir?“ stammelte erschöpft Ramon, den die Liebe überwältigte – „verstoße mich nicht – ich willige ein.“
„Du willigst ein?“ jauchzte Dolores und flog an Ramon’s Brust, „Du willigst ein – Dank, Dank Dir, mein Ramon, nun bist Du wieder mein, Du, mein Einziger, mein Geliebter.“ Und die lang unterdrückte Glut der jungen Spanierin brach unaufhaltsam hervor, und mit feurigen Küssen hing sie an dem Munde des jungen Offiziers, der sie bebend vor Leidenschaft in seine Arme schloß. – – –
Mehrere Stunden vergingen so den Glücklichen. Da schlug die Uhr der alten Klosterkirche Mitternacht und verkündete dem Offizier, daß ihn die Pflicht rufe. – Der bittere Augenblick der Trennung war gekommen.
„Leb’ wohl, mein Geliebter, leb’ wohl,“ flüsterte das junge Mädchen, den letzten Abschiedskuß ihm gebend, „lebe wohl! Ich bleibe ewig Dein!“
„Lebe wohl! Dolores – lebe wohl – vielleicht auf immer,“ murmelte von trüben Ahnungen bewegt der junge Mann und ging – Dolores sah ihm nach, so lange ihr Blick seinen weißen Federbusch in der Dunkelheit erkennen konnte.
Aber der Besuch Don Ramon’s bei Dolores war nicht unbeobachtet geblieben – eine Patrouille hatte ihn aus dem Hause gehen sehen, und da man auf alle im Heere dienenden Spanier ein sehr wachsames Auge hatte, so meldete man dies dem General. Der General empfing die Meldung ruhig und ließ Don Ramon mit den Depeschen abreisen, schickte ihm aber unmittelbar eine Reiterpatrouille nach, die ihn anhalten und untersuchen sollte.
In Träumereien über Dolores versunken, ritt Ramon langsam durch den Morgennebel dahin, als er mit einem Mal den Schall von Huftritten hört; in der Meinung, daß es Spanier, greift er zu seinen Pistolen und lockert den Säbel in der Scheide, aber das: qui vive! mit welchem man ihn anruft, sagt ihm, daß es Franzosen. Eine düstere Ahnung befällt ihn – aber er sucht sich zu fassen. Der Führer der Patrouille zeigt ihm den Befehl des Generals. Unwillkürlich erbleicht Don Ramon und – man untersucht ihn, und in dem Futter seines Rockes findet man den Brief Dolores an den spanischen Befehlshaber.
„Sacre bleu!“ flucht der Wachtmeister, „das wird eine schlimme Affaire – Also links um, nach dem Hauptquartier.“
Und der Trupp, Don Ramon als Arrestanten in der Mitte, reitet wieder nach G. zurück. – Augenblicklich wird ein Kriegsgericht zusammen gerufen, und der Wirbel der Trommeln ruft die Truppen, welche bei der voraus zu sehenden Execution zugegen sein sollten, unter die Waffen.
Die traurige Geschichte fliegt, obgleich es noch am frühen Morgen, mit grausiger Eile durch die Stadt, von Mund zu Mund – die Bürger ballen ingrimmig die Fäuste und die Frauen beten ein Vaterunser für die Seele des Unglücklichen.
Im Quartier des Generals sitzen die Offiziere noch beim Kriegsrath zusammen, und da Don Ramon sein Vergehen eingesteht und nicht läugnet, so soll eben das Urtheil gesprochen werden, als vor der Thür die Stimme eines Mädchens gehört wird, die einen lauten, heftigen Wortwechsel mit der Schildwache hat. „Laß mich hinein!“ ruft sie in stürmischer Erregung, „laßt mich hinein, es gilt das Leben eines Unschuldigen zu retten. – Um der heiligen Jungfrau willen, laßt mich durch.“
Der General, der den Lärm hört, wendet sich zu einem der Offiziere und spricht:
„Lassen Sie das Mädchen hereintreten.“
Die Thür wurde geöffnet und herein stürzte mit aufgelöstem Haar, das über den weißen Nacken herunterfiel, in leichtem Morgenkleid, über welches in der Eile eine schwarzseidne Mantille geworfen war, in bloßen Füßen, wie sie vom Bett aufgesprungen – Dolores und warf sich zu den Füßen des Generals.
„General,“ sprach sie in fliegender Eile, „Ihr wollt einen Unschuldigen morden – Don Ramon ist unschuldig an dem Vergehen, das ihm zur Last gelegt wird – ich schwöre es Euch bei dem Haupte meiner Mutter. – Wir lieben uns, ich bin seit einem Jahr seine Verlobte. – In vergangener Nacht war er bei mir,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_166.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)