Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
|
No. 13. | 1855. |
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.
„Es war ein schöner, stiller Juliabend, ein spanischer Sommerabend mit lauer, warmer Luft, tiefblauem Himmel und murmelndem Wellenschlag der Flüsse, die zwischen den grünen Ufern dahinströmten. Der Jasmin und Hollunder hauchten ihren köstlichen Duft aus, und durch die alten hohen Oelbäume des Klostergartens, in welchem Dolores mit ihrer Tante auf und ab ging, wehten leise flüsternde Winde. Die Priorin erzählte, um ihre Nichte von den weltlichen Schmerzen, die sie quälten, abzulenken, die Legenden von der heiligen Paula und der heiligen Bathilde von Frankreich, aber Dolores war eine unaufmerksame Zuhörerin für die frommen Sagen der Priorin, ihre Gedanken waren weit weg bei Ramon, dem verlorenen Geliebten. Tante Felicitas begann eben zum zweiten Male die Geschichte von der heiligen Paula zu erzählen, als ein dumpfer aus weiter Ferne herschallender Donner die Erzählung unterbrach.
„Was ist das?“ riefen erschrocken die beiden Frauen und blieben in banger Spannung horchend stehen.
„Es wird gedonnert haben in der Ferne,“ murmelte unsicher die Tante Priorin.
„Aber ich sehe kein Wölkchen am Himmel,“ entgegnete Dolores, „nicht einmal drüben am Gebirgssaume.“
Die Priorin antwortete nicht, und es vergingen wieder einige Sekunden, bis derselbe dumpfe Knall, aber jetzt schon etwas näher, erschallte. Aengstlich blickten sich die beiden Frauen an und Keine wagte, ihre Befürchtungen auszusprechen, als plötzlich die Pforte des Klostergartens aufgerissen wurde und schreiend und klagend, wie ein Flug gescheuchter Tauben, eine Schaar junger und älterer Nonnen mit dem Ruf: „Man schlägt sich, die Franzosen drängen die Spanier nach unserer Stadt zu!“ hereinstürzten.
Die nun näher und immer näher schallenden Kanonenschüsse bestätigten die Schreckensnachricht, und die bestürzten Nonnen waren noch zu keinem Entschluß gekommen, als der erschrockene Klostergärtner mit bleicher, entstellter Miene die Kunde brachte, daß sich schon einzelne verwundete Spanier durch’s Städtchen flüchteten und man die Ankunft der siegreichen Franzosen, die das spanische Hauptcorps vor sich hertrieben, mit jeder Stunde erwartete.
In diesem Augenblick gewann die Priorin ihre Ruhe wieder und die zitternden Nonnen um sich versammelnd, sprach sie:
„Meine Schwestern! Es ist Euch nicht unbekannt, wie der ruchlose Feind, der bald vor den Mauern dieser Stadt erscheinen wird, weder Scheu noch Furcht vor dem geheiligten Asyl des Klosters hat, welcher Schmach, welchen Mißhandlungen so oft unsere Schwestern in dem Schrecken dieses Krieges ausgesetzt gewesen sind. Ihr würdet selbst in der Kirche nicht vor ihnen sicher sein. Das Einzige, was uns noch retten kann, ist, daß wir uns in der Stadt einzeln bei guten Patrioten verbergen und das Kloster verlassen, bis der Feind wieder abgezogen.“
Einige ältere Nonnen waren zwar im Anfang nicht mit diesem Vorschlag einverstanden, und wollten sich lieber das Märtyrerthum und dadurch den Himmel erobern, als das Kloster verlassen, aber die Mehrzahl der jüngeren Schwestern stimmte der Priorin bei, und in wenigen Minuten darauf waren die weiten hohen Räume des Klosters öde und leer.
Der Tumult und der Sturm des Gefechts zog sich indessen immer näher, spanische Cavalleristen sprengten flüchtend und mit verhängtem Zügel durch die Stadt, Kanonen und Munitionswagen und Pulverkarren fuhren in verwirrter Eile durcheinander und die wenigen Compagnien der Spanier, welche den Rückzug deckten, wurden von dem feindlichen Kartätschenfeuer und dem der französischen Tirailleurs, die jetzt auf den Höhen erschienen, hart mitgenommen. Geschrei und Aechzen der Verwundeten, der Commandoruf der Befehlshaber, das Trommeln und der Signalruf der Hörner hallte dazwischen, von Zeit zu Zeit wurde Alles durch den Kanonendonner und das knatternde Gewehrfeuer übertäubt, bis ein begeistertes „vive l’Empereur!“ den Sieg der Franzosen verkündete.
Dolores hatte von dem Fenster eines Hauses auf dem Marktplatz die Niederlage und den Rückzug der Ihrigen mit angesehen. Schmerz, Scham, Haß gegen die Sieger erfüllten ihr stolzes, patriotisches Herz und trieben eine glühende Röthe auf ihre blassen Wangen. Mit düsteren Blicken betrachtete sie, noch immer am Fenster stehend, die einrückenden Colonnen – als sie plötzlich erbleichte, einen tiefen, stechenden Schmerz im Herzen empfand und dann wieder eine dunkle Purpurröthe auf ihren Wangen brennen fühlte. – Dicht unter ihrem Fenster hielt ein französischer Offizier auf schaumbedecktem Roß, mit flatterndem Federbusch und der Adjutantenschärpe um die Schultern. – Dolores stand wie festgewurzelt und betrachtete den Offizier, der, wie es schien, einem der Commandeure einen Befehl des Generals überbrachte. In diesem Augenblick hob wie durch Zufall auch der Offizier seine Augen nach dem Fenster, an welchem noch immer Dolores, bald bleich, bald roth werdend, stand. Ein schneller Ruf der Ueberraschung flog über seine Lippen, er legte die Hand auf’s Herz, warf einen raschen Blick auf das Haus, um sich sein Ansehen genau in’s Gedächtniß einzuprägen und sprengte davon. Dolores sank auf das Sopha, bedeckte sich das Gesicht mit beiden Händen und murmelte, indem Thränen und Schluchzen ihre Stimme fast erstickten:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_165.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)