Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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sehnsuchtsvollem Gesange. Eine solche Gelegenheit war es, als John zuerst die junge Rothhäuterin sah, und er gestand mir noch heute, daß es ihm in seinem ganzen Leben nicht so wunderbar zu Muthe gewesen sei, als in diesen Augenblicken; es kitzelte und zuckte ihm durch alle Nerven, durch alle Glieder von oben bis unten, sobald er seine Blicke auf das bunte Gemisch der bald in glänzenden Ketten, bald in zierlich verschlungenen Gruppen hüpfenden, jungfräulichen Gestalten warf, und unter diesen seine schöne Geliebte in festlichem Glanze hervorleuchten sah.
„Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme!“ dachte John, und hatte also weiter nichts zu thun, als das holde Kind zu gewinnen und zu heirathen. Aber ach! – bald wurde es ihm wieder zu Muthe, als würde ein Strom eisigen Wassers über ihn hinweggegossen, es fiel ihm ein, sie war noch nicht seine Braut, Papa hatte ihm seine Erlaubniß noch nicht dazu gegeben, und wilde Papa’s sind oft – wie auch in der civilisirten Welt – gar wunderliche Käutze! Aber er irrte. Der wilde Papa war offenherziger und liberaler in seinen Anforderungen; er verlangte nach altem Brauch und Sitte nur eine Vergütigung für die Tochter in gleichem Werthe mit ihr – ein Pferd.
Ein Freier kauft sich nämlich das beste Pferd, führt es zum älterlichen Hause seiner Schönen, bindet es an die Thür und geht davon. Tags darauf wird das Pferd einer strengen Musterung unterworfen; wird es für gut und fehlerfrei befunden, so erfolgt eine Einladung, und die Sache wird bald zum Abschluß gebracht; wird aber das Mädchen höher geschätzt als das dargebrachte Pferd, so sind noch andere Geschenke nothwendig, um die Einwilligung des Vaters zu erlangen. So hat schon mancher reiche civilisirte Liebhaber auf diese einfache, billige Weise die schönste Jungfrau eines Stammes fortgeführt – aber John befand sich in einer mißlichen Lage. Er hatte den größten Theil seines mitgebrachten Vermögens für die übermäßigen Freuden des Branntweins und Tabacks ausgegeben, und es war ihm nun nicht mehr so viel übrig geblieben, um sich ein Pferd kaufen zu können, und das war schmerzlich! Ohne Pferd war keine Frau zu bekommen. Was war zu thun? Noch ein Monat mußte verstreichen, und man konnte wieder jagen.
John bedachte das, und als die ersehnte Zeit herangekommen war, verließ er seine Hütte, um den Löwen in seinen Höhlen, den Tiger in seinen Schluchten, den Biber in seinen Dämmen und die Antilope in ihren grasigen Ebenen aufzusuchen, und hoffte, durch seine mühevolle Anstrengung auf der Jagd in kurzer Zeit so viel zu erlangen, daß er seine rothhäutige Braut endlich heimführen könne. Die Arbeit vieler heißer Tage brachte in des Jägers Tasche einen guten Vorrath. Ottern und Biber wurden gefangen, Hirsche, Antilopen und Tiger erlegt, und der Erfolg krönte bald den unermüdlichen Eifer unseres Freundes John. So kam es auch, daß er eines Tages, nachdem er mit rastloser Ausdauer das Wild verfolgt und weite Strecken durchstrichen hatte, mit reicher Beute beladen, in seine Hütte zurückkehrte. Er legte seine Schätze in Sicherheit und ging von Neuem an das Werk, indem er einen ihm noch unbekannten Fußpfad verfolgte, der den abenteuerlichen Jäger in eine tiefe Waldschlucht geleitete, welche augenscheinlich in eine große Ebene mündete und deshalb viel Wild versprach. Als er so durch Dick und Dünn vorwärts drang und sich stellenweise den Weg mit seinem Jagdmesser bahnte, gelangte er an eine Lichtung, von welcher sich eine weite, unabsehbare Ebene ausdehnte.
Ein Ausruf seltsamer Verwunderung glitt über seine Lippen; er spähete einen Augenblick hinaus und kehrte wieder in den Wald zurück, um sich einem kurzen Nachdenken hinzugeben.
Um sein Benehmen zu erklären, muß ich eine eigenthümliche Sitte der Fisch-Kaffern erwähnen. Kein junger Mann, selbst wenn sein Vater der tapferste Häuptling seines Stammes ist, darf sich in die Reihen der Krieger stellen oder sich in irgend einer Weise ihrer Rechte erfreuen, bevor er selbst nicht eine That von Muth und Unerschrockenheit vollführt und sich mit dem Blute seiner Feinde rühmlichst befleckt hat. Im Frühlinge versammeln sich alle Jünglinge auf einem abgelegenen freien Platze im Hochwalde, um dem „Morhunnu“, ihrem Kriegsgotte, einen Tempel zu errichten. Sie tragen junge schlanke Bäume zusammen, binden sie an ihren Kronen in Form einer kegelartigen Hütte an einander und bedecken sie mit Zweigen und Blättern aller Art. Der blutende Kopf eines Tigers, den sie so eben erlegt, Skalpe, Waffen und die Haut einer weißen Antilope werden als Opfer für den Gott innerhalb dieses Gebäudes aufgehängt, worauf gewisse Ceremonien, von denen das Rauchen aus der „Manocco-Co,“ der Friedenspfeife die wichtigste ist, verrichtet werden. Der Aelteste der jungen Männer stopft die Pfeife mit Tamariskenblättern und Cayennepfeffer, legt eine Kohle aus dem Feuer der Behausung Morhunnu’s darauf, zieht den Rauch ein und läßt ihn durch die Nase wieder heraus. Darauf wird die Erde mit dem Kopfe der Pfeife berührt, und unter wildtönenden Schlachtgesängen, welche von verschiedenen Ceremonien begleitet werden, macht die Pfeife die Runde. So gehen viele Tage unter Fasten und Tanzen vorüber, ehe sie zu ihren heldenmüthigen Unternehmungen in gehöriger Weise vorbereitet sind. Endlich verlassen sie den Tempel, und der qualvollste, grauenvollste Tod ist dessen unabänderliches Schicksal, der es wagt, während ihrer Abwesenheit den Tempel zu betreten oder ihn sonst auf eine Weise zu entheiligen: „denn Morhunnu’s Haus ist heilig und gefährlich, es zu entweihen.“ – Wehe dem Verwegenen, der einen Stein in die Oeffnung „der großen Grotte“ des Kriegsgottes würfe: der ungestüme Wind, Morhunnu’s Odem, der mit seinem ewigen Hauche den Eingang derselben bewacht, würde ihn mit dreifacher Gewalt zurückschleudern und die Frevelthat mit dem Tode des Frevlers bestrafen!
Auf solch’ ein verhängnißvolles Heiligthum war John soeben auf seinem Streifzuge gestoßen, und verschiedenartig waren die Gefühle und Gedanken, welche sich seiner jetzt bemächtigten, denn groß dünkten ihm die Schätze und werthvoll genug, um sich dafür das so heiß ersehnte Pferd zu kaufen. Aber John war doch etwas zu ehrlich, als daß es ihm gleich in den Sinn gekommen wäre, den geheimnißvollen Tempel der Braunhäute zu berauben.
„Es ist mir wie in den Weg geworfen,“ dachte er bei sich, „so daß ich kaum Nein sagen kann. Ueberdies erinnere ich mich, daß auch einmal ein armer weißer Jäger, der noch kurz vor der hereinbrechenden kalten Zeit aller seiner Habseligkeiten beraubt worden war, freien Gebrauch von einer wollenen Decke machte, welche er in einem Kafferntempel fand. Man fing ihn, stellte ihn vor den Rath der Aeltesten und beschuldigte ihn der Entheiligung des Tempels, doch er vertheidigte sich damit, daß er gewaltsam beraubt worden sei, daß Morhunnu deshalb Mitleid mit seinem schutzlosen Zustande gehabt, ihm die Decke gezeigt und geboten habe, sich damit zu bekleiden.“
„Morhunnu hat das unbezweifelte Recht, sein Eigenthum zu verschenken!“ war die richterliche Entscheidung, und der Jäger ward in Freiheit gesetzt.
John schüttelte den Kopf; seine Neugier trieb ihn vor die Oeffnung des Tempels, und er war eben im Begriff, den Fuß hineinzusetzen, als sein Selbstgespräch unterbrochen und ihm von hinten eine Hand auf die Schulter gelegt wurde.
Wie vom Blitzstrahl getroffen blickte er um, und siehe da, hinter ihm stand, die Keule in seiner nervigen Rechten, Bogen und Köcher auf dem Rücken, ein rothhäutiger Krieger in seinem Schlachtkostüme. Die Begrüßung war indeß freundlich und herzlich, denn der junge Kriegsmann war kein Anderer, als Takoni, der Bruder unserer schönen Rothhäuterin, welchem John in der letzten Jagdzeit eine kostbare Tomahagk-Pfeife geschenkt hatte.
„Mein weißer Bruder ist sehr wachsam, er steht früh auf!“ sagte Takoni mit freundlichem Tone.
John erröthete und erwiederte betroffen: „„Meine Hütte ist leer, ich möchte sie schmücken mit der Schwester meines Unami – er wird ein großer Krieger werden!““
Der junge Tapfere schüttelte bedenklich mit dem Kopfe; er zeigte auf seinen Gürtel, wo noch kein Skalp zu sehen war und antwortete: „Fünf Monate sind zu Schlafe gegangen, und das Kaffernbeil ist nicht erhoben worden; die Braunfüße sind Hunde und verkriechen sich in ihre Höhlen!“
Ohne mehr zu dem genugsagenden Winke, daß noch Keiner der jungen Männer sein Gelübde hätte erfüllen können, hinzuzufügen, schritt der Häuptling den Weg zum Lagerplatze der Kaffern voran. John, erfreut, nach so langer Zeit wieder einmal ein menschliches Wesen zu sehen, folgte schweigend den Fußstapfen Takoni’s, die ihn in’s Lager der Krieger führten, das John, ohne es zu wissen, vor Kurzem schon einmal passirt hatte. Mitten im Thale im Dunkel fast undurchdringlicher Umwaldung, saßen in weitem Kreise die Kaffern, um ihr Mahl einzunehmen. Sie empfingen unseren Jäger freundlich und luden ihn ein, an ihrer
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_159.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2017)