Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Bewegung und bei der vegetabilischen Kost hatte sich der gefürchtete Gast der Gefängnisse, der Skorbut, eingestellt und Hunderte ergriffen. Das Bedürfniß eines neuen Gebäudes war unabweislich; es wurde in großem Maßstabe gebaut, nach und nach durch Verwendung der innern Räumlichkeiten erweitert und unter die Leitung des Ministeriums des Innern gestellt. So dient es gleichzeitig zur Unterbringung von Untersuchungsgefangenen, Gefängnißstrafe Verbüßenden, Züchtlingen und Corrigenden, und hat in dem alten Minoritenkloster, dessen Räume sauber und luftig umgebaut sind, eine Filialanstalt, die dauernd nur mit 500 männlichen Züchtlingen belegt ist. Die beiden unter der Direktion vereinigten Anstalten zählten im Sommer über 1600 Köpfe!
Werfen wir einen Blick in das tägliche Leben und Treiben der Anstalt. Wenn die Luft der Freiheit durch die weiten, palastartigen Räume wehte, wenn der Proletarier seine Höhle mit diesen Zellen, die Unsauberkeit in seiner äußern Umgebung mit dieser minutiösen Ordnung und Reinlichkeit vertauschen könnte, wenn in den Werkstätten ein fröhliches Geplauder mit der Emsigkeit des Schaffens Stich hielte, dann wäre die Vorfrage des großen, socialen Schiboleths gelöst und die Paragraphen des Strafrechts blieben nur die Chimären einer bösen Vergangenheit. Aber die Menschengesellschaft bewegt sich hier in einem ewigen Cirkelschluß. Sie erkennt ein sociales Bedürfniß erst bei dem Verbrecher an, nachdem es die Ursache seines Verbrechens geworden ist, sie umgeht die große, sociale Frage, um eine Lösung außerhalb der Gesellschaft zu suchen. Es ist in hohem Grade erfreulich, wenn dem Elende wenigstens in der äußeren Pflege ein erträgliches Loos bereitet wird; die Eleganz und Sauberkeit in der Bauart des Hauses, in der Einrichtung der Zellen macht einen sichtlich guten Eindruck auf die Gefangenen und der Abstich ist bemerkbar, wenn man die weit stumpferen Gesichtszüge der Bewohner der alten Anstalt betrachtet, welche zwar reinlich und luftig ist, aber weit hinter dem äußern Habitus dieses Hauses zurückbleibt. Und doch ist es nicht anders, als wenn man einen kranken Baum aus seinem verkümmerten Erdreich in einen eleganten Topf versetzt, ihn in ein wohl eingerichtetes Treibhaus bringt, eine bestimmte Zeit dort bewahrt, um ihn eben so krank, wo nicht elender in dasselbe verdorbene Terrain zu bringen. Wer sollte nicht mit inniger Befriedigung schauen, wenn die humane Absicht die Zelle des Elenden zu schmücken sucht! Wer wollte nicht trauern, daß auch diese Behandlung nichts ist, als eine grausame Spielerei! Den Menschen, das Kind der Umstände, wollen wir bessern und der erste Artikel unseres socialen Glaubensbekenntnisses ist Achselzucken; die Zustände sind unverbesserlich.
Dank sei dem Himmel, die Isolirzellen Pensylvaniens verschwinden allmälig von deutschem Boden! Was dem nüchternen Calcül eines transatlantischen Kopfes wie ein lehrreiches Exempel imponiren mag, vereis’t den wärmeren Hauch des deutschen Gemüthes zum Tode des Wahnsinns oder der Erstarrung. Abstumpfen und verthieren, heißt nicht erziehen! Wir sind uns nicht klar, ob humane oder ökonomische Bedenken dieser methodischen Grausamkeit den Rest gegeben haben, ehe sie noch die Prüfungszeit überstanden hat. Beide Bedenken aber haben eine tiefe, ethische Seite, und der Schaden, der dem Staate durch eine unergiebige Beschäftigung in den Isolirzellen erwächst, verschwindet vor der Gefährlichkeit des Experimentes, einen Menschen Jahre lang mit einer Beschäftigung zu quälen, die ihn durch die Pforte des Widerwillens und der Noth bald wieder aus der Freiheit in dieselbe Zelle führen müßte.
Wer schaudert nicht bei dem Gedanken, lebendig begraben zu werden, und doch ist diese Qual auf Tage zu berechnen. Man sollte nicht sagen dürfen, daß der Hungertod barmherziger sei, als der Mensch, der in seinem Besserungsfanatismus die qualvollen Augenblicke eines langsam Absterbenden durch Speise und Trank verlängert, um dem Herzen mit ewigen Nadelstichen zu entziehen, was man ihm in dem kargsten Maße gegeben hat. Es ist keine Erziehung zur Arbeit, dieser einzigen und ersten sozialen Bürgschaft, wenn man dem Elenden eine Hand voll Federn zum Reißen, oder Kuhhaare zum Krempeln giebt, es ist keine Erziehung zur Sittlichkeit, wenn man ihn von jeder Gemeinsamkeit abschneidet, den Klang der Sprache ihn entzieht, ihn von dem Anblick eines Menschenantlitzes entwöhnt; es ist keine Erziehung zur Freiheit, wenn man Leib und Seele in das furchtbare, eiserne Joch des Zwanges steckt, unter dem der eine schwielig werden und auch die andere verhärten muß. Wohl sprach der Weise des Alterthums richtig: ein Mensch, der die Gesellschaft entbehren kann, müßte ein Gott oder ein Thier sein! Was glaubt Ihr Anhänger des pensylvanischen Systems zu erziehen?! Doch mich gelüstet es nicht, Eure verlegene Antwort zu hören. –
Die Zellen sind leer; die Tagesarbeit hat begonnen. Die Hängematte ist von den Wänden abgenestelt und liegt sauber zusammengerollt an ihrer bestimmten Stelle. Auf dem geölten
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_151.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2023)