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Seite:Die Gartenlaube (1855) 147.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

immer noch die vier Haken von Fragzeichen obzuschweben fortführen. Doch war es immer schon ein Verdienst, daß die falschen und richtigen Nachrichten in etwa ein Viertel der Zeit, die 1815 noch nöthig gewesen wäre, ankamen. Aber die Electricität soll nur aus directer Quelle schöpfen und von London bis auf den Kriegsschauplatz selbst ihre Drähte ziehen. Bis jetzt geht der elektrische Telegraphenstrom von London und Dower unter dem Meere hin nach Calais und Ostende bis zu den südöstlichen Grenzen Oesterreichs, und wurde neuerdings bis nach Bucharest im Herzen der Wallachei ausgedehnt. Hier fand man schon einen Draht bis Varna und zu den Mündungen der Donau. Und in den ersten Tagen des Februar wurde in London beschlossen, von da aus bis Galatz und Ibraila, und von dem Sulina-Munde der Donau unter dem Meere hin bis gerade gegenüber, zum Cap Chersones auf der Krim fortzufahren. Dieser Plan ist großartig und wird wahrscheinlich ausgeführt, wenn der Friede den Drähten keine edlere Aufgabe stellt, als Schlachtenberichte und Todtenlisten durch Europa zu zucken; wahrscheinlich, da die Erbweisheit der Aristokratie direkt nichts damit zu thun hat. Uebrigens ist schon ein fahrender elektrischer Telegraph auf der Krim thätig, so eine Art „fliegender Buchhändler“ mit stets den neuesten Nachrichten. Die elektrische Telegraphen-Compagnie Londons schickte während des Novembers zwei elektrische Telegraphen-Wagen mit zwölf Pferden in’s englische Lager, vermittelst welcher man überall, selbst mit Schiffen innerhalb einer Entfernung von zwölf englischen Meilen elektrotelegraphische Verbindungen improvisiren kann. Jeder Wagen enthält vollständige elektrische Batterien mit der nöthigen Menge aufgerollten Drahtes. Um zwischen zwei Orten telegraphische Correspondenz herzustellen, läßt man den Draht durch Pferde von einem Ende bis zum andern ziehen, und die Sache ist sofort im Gange. Dieser wandernde Telegraph hat bereits wichtige Dienste geleistet, und die entferntesten Posten, zwischen denen Flüsse, Berge und Moräste lagen, bei Tag und Nacht in enger Verbindung erhalten, so daß sie ohne Verzug im Einklange zu handeln im Stande waren. So ungeheure Vortheile bietet die Wissenschaft, und so endlos und unentwirrbar und dick war der Unverstand und die Liederlichkeit der erbweisen Leiter der Politik und des Krieges, daß sie etwa fünf Mal so viel von ihrer eigenen Helden-Armee todt machten, als alle russischen Kugeln, Bayonnette und Säbel zusammen.

Noch feuert man keine Kanone mit Elektricität ab, aber diese Wissenschaft ist schon unterwegs zur Praxis. Vielleicht macht man noch vollständige Blitze des Himmels und läßt sie auf den Feind einschlagen. Wenigstens ist bereits ein viel kolossaleres Werk der Elektricität im Werden. Man erinnert sich, daß Fürst Menschikoff im Eingange zum Hafen von Sebastopol mehrere Kriegsschiffe versenken ließ, um ihn so gegen den Feind zu sperren. Diese Schiffe soll der Blitz aus dem Meeresgrunde in die Luft sprengen. Vor einigen Wochen gingen zu diesem Zwecke dreizehn ungeheuere Eisen-Cylinder, jeder mit tausend Pfund Pulver gefüllt, von England ab. Sie sollen zu den versenkten Schiffen versenkt und dort unten vermittelst elektrischer Batterien entzündet werden. Die Sache selbst würde unstreitig gelingen, wenn sie die Russen nicht zu verhindern wüßten. Man hat in England für Hafen- und Dock-Bauten schon größere Sprengungen mit Elektricität unter Wasser vorgenommen.

Eine noch neuere, als die elektrische Telegraphie, besteht aus Buchstaben, zusammengesetzt aus lebendigen Soldaten, ihren Gewehren, Mützen und Taschentüchern (in Ermangelung der sonst üblichen kleinen Fahnen). Sie bewährte sich besonders bei der ersten Landung auf der Krim und ist das Hauptgeheimniß ihrer meisterhaften Ausführung.

Gute Fernröhre, die jetzt jeder commandirende Offizier hat, machen diese Buchstaben und Sachzeichen bei hellem Himmel auf eine deutsche Meile weit und selbst weiter leserlich. Wir bemerken hier noch, daß zwischen den verschiedenen Schiffen mitten auf dem Meere jetzt von allen seefahrenden Nationen eine vollständige Zeichensprache vermittelst Fahnen und ihrer Stellungen, Farben und Formen gesprochen und verstanden wird, so daß sich Schiffe in meilenweiter Entfernung mitten im Laufe ganze Geschichten erzählen können. Außerdem giebt es eine besondere Zeichensprache vermittelst Kugeln an dem Hauptmaste oben in Kriegshäfen, und dann noch eine andere telegraphische Correspondenz zwischen Kriegs- und Kauffahrteischiffen vermittelst einer Combination von Flaggen und Kugeln. So weit, bis zur deutlichen, kosmopolitischen, gebildeten Sprache hat man das alte rohe Signalwesen ausgebildet. Im Alterthume beschränkte man sich lange auf Feuersignale.

„Erhebet ein Feuerzeichen in Bethhaccerem,“ sagt Jeremias, „denn Böses nahet vom Norden und große Verwüstung.“

Troja’s Fall wurde durch eine Reihe von Feuersignalen nach Griechenland hinüber telegraphiert, wie es Aeschylus in seinem „Agamemnon“ so ergreifend schildert. Polybius beschreibt in späterer Zeit eine etwas vollkommene Art von Telegraphie zwischen Schiffen, die aber sehr complicirt und unsicher war. Der geheimnißvollen Arme, welche bis zur Anstellung des Blitzes als Briefträger und Telegraphist auf den Dächern der Telegraphen-Bureaux langsam und unbeholfen Grimassen schnitten, wird sich wohl noch Jeder erinnern. Erst im Jahre 1798 wurde in England eine ordentliche Marine-Telegraphensprache von 400 Sätzen und Zeichen eingeführt. Man hat es jetzt bis zu etwa 2000 gebracht, die ich aber nicht verstehe. Wer die militärische Telegraphensprache studiren will, wo der Soldat den Grundstrich, seine Flinte, Haarstriche und Taschentuch und Mütze die Haken daran bilden, kann sich an den Erfinder selbst wenden, den französischen Capitain de Reynold Chauvancy, dessen betreffendes Werk sowohl in’s Englische als in’s Deutsche übersetzt worden ist.

Wie weit die Wissenschaft im Kriege noch gehen wird, ist noch gar nicht abzusehen. Der Engländer Malson, Erfinder eines elektrischen Lichtes, welches das der Mittagssonne übertrifft (ich habe Proben davon gesehen), hat vorgeschlagen, Sebastopol damit in der Nacht von Luftballons aus zu erleuchten und zu besehen, um die schwachen Stellen und alle Geheimnisse haarklein zu studiren. Vielleicht findet sich auch mit der Zeit Einer, der da sagen kann, wie man’s machen muß, es zu nehmen, wenn die Erbweisheit zuletzt doch nicht noch vorziehen sollte, es stehen zu lassen.

Um noch eine solide Wissenschaft zu erwähnen, welche allen Denen bedeutend zu Gute gekommen ist, die nicht zu weit davon weg waren auf der Krim, so ist das frisch eingemachte Fleisch, die frisch eingemachten Früchte u. s. w. (nicht in Salz und Essig, sondern blos in luftdichten Verschluß gegen unersättlichen Sauerstoff und sonstige Appetit fühlende Luftarten) ein Segen, den nur Die würdigen können, welche Monate und Jahre lang zur See oder in Wässern und Wildnissen waren. Jetzt conservirt man alles Vergängliche, selbst die zartesten Früchte und Milch blos durch luftdichten Verschluß, so daß man nicht mehr sagen kann: Alles Gleich vergeht wie Heu. Manche verstehen sogar die Kunst, schon Gewesenes und Verwes’tes hübsch frisch zu halten.

Zündnadelgewehre, gereifelte Büchsen, Lancaster-, Dampf- und elektrische Kanonen, Spitzkugeln, ovale Kugeln, Schmiedeeisenkanonen, Schmiedeeisenkanonen-Boote mit Dampf-Bomben-Mörsern, Schießbaumwollenkanonen, elektrische und lebende Telegraphen, Kriegseisenbahnen, fahrende Telegraphen, elektrische unterseeische Explosionen, die Sonne bei Nacht in Luftballons mit Dampfkanonen vielleicht, kurzum Wissenschaft im Kriege, wodurch sich zwei feindliche Heere, jedes 300,000 Mann stark, binnen drei bis vier Stunden bis auf den letzten Mann aufzehren können, wie die bekannten wüthenden Löwen in der Wüste, die sich gegenseitig so weit auffraßen, daß man von beiden nur noch die Schwänze auf dem Kampfplatze fand (nur mit dem Unterschiede, daß hier die Häupter übrig bleiben würden).

So weit kann’s die Wissenschaft im Kriege bringen. Nein, jedenfalls noch weiter, denn wenn es erst sicher ist, daß, wie bei schlechten Schachspielern, am Ende nur König und Königin und ein vereinsamter, halb närrischer Springer übrig bleiben, spielt man entweder gar nicht mehr Kriegsschach, oder die Schachfiguren laufen auf beiden Seiten davon oder fallen sich in die Arme und sagen: großer christlicher Gott, wir sind ja alle Brüder, die sich noch dazu im Leben zum ersten Male sehen und sich gegenseitig nichts zu Leide gethan haben können. Also trinken wir lieber etwas Feuchtes mit einander und rauchen eine Friedenspfeife.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_147.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2023)