Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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zu dem Dirnd’l. Auch ist ihm der Herr Vater und die Frau Mutter der Caritas geneigt und wollen’s zu End’ haben, daß nicht ihr Kind an einen Tyroler sollt’ kommen, den sie hassen, weil er das Käppi und des Kaisers Uniform trägt. Aber die Caritas will nicht, weil sie nun weiß, daß sie den Aegidi lieber hat, als den Nazi. Das giebt Hader im Haus. Und einmal trinkt der Herr Vater ein Bier in den Zorn, hier in der Post, und wird krank und stirbt und bald drauf will’s Gott, so stirbt auch die Frau Mutter, und die Caritas wohnt mutterseelenallein in dem großen, schönen Haus. Da ist denn des Nazi Frau Mutter bei dem Göthel alle Tag’ gewesen und hat ihm in den Ohren gelegen von wegen der Heirath mit dem Nazi, da ja ihr Herr Vater und die Frau Mutter selig geflucht hätten der Heirath mit dem Mauthmann. Und die Vettern und Basen kommen und nörgeln alle Tag, sie sollt, wenn das Trauerjahr um wär’, den Nazi nehmen, da sie ja doch nicht ledig bleiben könnt’ in dem großen leeren Haus – bis das Dirnd’l endlich Ja sagt, um des Quälens los und ledig zu werden.
„Nun kommt auch der Nazi mit seiner Mutter, aber wenn er zu ihr in die Stube tritt, so schüttelt sie sich vor ihm, wie wenn ein Frost über sie käm’ und sie sagt: „Geh’ wasch’ Dich! Hast Blut an den Händen! Hu, mich schuckert’s vor Dir!“
„Könnt’ Euch denken, daß da der Buab im Zorn fortgeht und sieht, daß aus der Heirath nichts werden könnte und nicht wieder kommt; aber todtglühender wird sein Haß gegen den Aegidi und hundertmal ruft er im jähen Grimme: „Er muß sterben von meiner Hand!“
„Und wenn er nun schmuggeln geht, nimmt er den Stutzen mit, weil’s ihm zu Muth ist, als müßt’ ihm einmal der Aegidi in den Weg komm’n. Und der Aegidi trägt gleichen Todhaß gegen den Nazi, und sucht Spionaschi in Mittenwald.
„Da hört er denn, sein Weg geh’ am Rechberg ’nauf, und drauf stieg er in’s Wiesenthal ’nunter und am Wurzelstock ’nauf und klettr’ dann um den Wurzelstock ’rum auf die Matten, wo er ihm den Gamsbock abgejagt. Da leg’ er den Bündel mit den Cigarren hin und von da würde, wenn’s Nacht worden, der Bündel von Zierlern abgeholt und er bliebe dabei sitzen, bis sie kämen, manchmal einen Viertelstag, wenn er nicht weiter geht auf die Gamseljagd und den Bündel zudecke mit grünen Lerchenästen.
„Nun wußt’ der Aegidi genug und sagt zum Leitnamt auf der Scharnitz: „Herr Leitnamt i hob den Cigarrenschmuggler auskundschaft, und will ihn fong’n!“
„Das sollst!“ sagt der Leitnamt, „und sollst a’n gut Fonggeld foß’n!“ Nun geht der Aegidi drei Tage auf die Lauer und allemal umsonst. Aber er wird nicht müd und denkt: „I fong’ di doch! Todt oder lebendig, was liegt mir dran!“ Denn die Wuth kocht auch in ihm alle Tage neu auf, da er hört, wenn’s Trauerjahr um wär’, führt’ der Nazi die Caritas heim, weil eben d’ Leut’ es anders nicht wußten – denn von dem Blut wußt Niemand und die Caritas lebt wie eine Nonne im Kloster und redt mit Niemand und war schier so bleich, wie sie heut ist, und so still und so maßleidig.
„Die Matten aber am Wurzelstock muß ich Euch g’nauer beschreiben. Sie ist nicht groß und rund um von drei Seiten steht der Fels wie ein Mantel drum, wie eine runde Wand und schließt sie ein, und überall ist von ihr abi ein grausamer Abgrund, und zwar rechts und links am Ende. Grad vornen ist Geröll und Gestrüpp und Lerchenbäume, daß man heraufklettern kann. Links und rechts aber, wo die Felswand sich umbiegt und niederiger wird, hatte der Nazi einen Gang gemacht, daß man auf die Matten konnte ohne Gefahr, nur durft man nicht schwindeln und nicht fehl treten, sonst ging’s viel Hundert Fuß hinunter, wohin keines Menschen Fuß kann und auch Keiner hin kommen ist, seit die Welt steht. Aber von beiden Seiten war der Pfad gemacht, links von unten aus dem Wiesenthal ’rauf und rechts auf den Felsgrat ’nauf, wo man gehen konnte eine weite Strecke und dann in einen Pfad kam, der links nach der Martinswand und rechts nach Zierl führt; ’s ist aber ein weiter, weiter Weg, und man muß ihn kennen, um nicht irre zu gehn in dem Schnee.
„Hinter der Felswand lag der Aegidi auch am vierten Tag wieder und nicht weit davon zwei andre Mauthner zu seiner Hülf’, wenn’s der Schmuggler mehre wären.
„Da ist’s dem Aegidi, als hört’ er Einen daherkraxen, und unter seiner Last keuchen und das Herz pocht ihm und der alte Haß fing an zu gähren und zu brennen im Herzen.
„Er hält sich ruhig, bis er hört, wie der drüben seine Last auf die Matten wirft. Da ist’s aus.
„Der Nazi war links ’rauf kommen und stand an der Ecke, wo er das Pfädlein über den Abgrund mit Steinen gebaut hat. Es ist noch früh am Tage, und er meint, er könnt’ noch ein Gamsel beschleichen. Daher nimmt er den Stutzen vom Rücken und thut Pulver auf die Pfannen und macht sich fertig. Als er eben die Pfannen zuknappt, tritt der Aegidi, den Stutzen in der Hand, den Hahn gespannt, rechts um die Felswand hervor und ruft mit gluthsprühenden, toddrohenden Blicken: „Hab’ ich Dich, Meuchelmörder und Schmuggler?!“ – Nazi erschrickt und blickt auf, und als er den Aegidi sieht, spannt er seinen Hahn und ruft:
„Noch nicht, dalketer Kostbeutel!“
„Kostbeutel schimpfen die Baiern die Oesterreicher, weil sie einen leinenen Sack auf dem Marsche anhängen haben, darin sie Brot, Pfeifen und allerlei Geschirr trag’n und den sie Kostbeutel heißen.
„Da schießt das Blut dem Aegidi in den Kopf.
„Leg’ den Stutzen ab!“ ruft er.
„Meinst, Du hättest einen Narren vor?“ ruft der Nazi. „Eher nicht, als bis Dir die Kugel im Herzen sitzt!“
„Und in demselben Augenblick fahren sie Beide wie der Blitz mit den Stutzen an den Kopf und es kracht hüben und drüben fast zugleich auf zehn bis zwölf Schritt – und Nazi schlägt hinterrücks über und stürzt hinunter in die greuliche Tiefe und Aegidi thut einen Schrei, springt in die Höhe und stürzt drüben hinab, von Fels zu Fels, von Zacken zu Zacken, bis er hängen bleibt an einem Felszacken, ein blutiger, zerschmetterter Leichnam. – Nazi hatte keinen Ton mehr von sich gegeben, ihm saß die Kugel im Herzen.
„Als die Mauthner die Schüsse hören, die schier Einer waren, da eilen sie herbei und stehen wie versteinert, denn da liegt ein Bündel und es ist kein Mensch zu sehen. Endlich blicken sie hinab auf ihrer Seite in den Abgrund und sehen den Aegidi hängen, wie er im Todeskrampf noch seinen Stutzen hält mit der einen Hand, während die andre schlaff hinab hängt. Einer geht auf die andere Seite. Da liegt des Nazi Hüt’l. Von ihm aber ist nichts auszuschaun.
„Keiner redet vor Schrecken und Trauer ein Wort; aber Ein Gefühl durchdringt sie: so darf der Aegidi nicht hängen bleiben. Er muß ein christlich Grab haben und auch der Nazi, wenn man ihn kriegen kann. Einer bleibt da. Der Andere läuft nach der Scharnitz, Hülfe, Laterne und Seile zu holen. Aber wie so der Mauthner dasitzt in stummer Trauer und Schrecken, da hört er einen Fall. Er springt auf und schaut nach dem Aegidi.
„Die Spannung seiner Muskeln hatte nachgelassen. Der Stutzen war in die Tiefe gefallen, und der Leichnam des armen Aegidi hat dadurch das Gleichgewicht verloren, und grade, wie sich der Mauthner vorbeugt, sieht er, wie er rutscht, und dann hinabfällt, wohin kein Sonnenblick kommt und wohin kein Seil hinabreicht.
„Da sträuben sich seine Haare und ein Schrecken des Todes ergreift ihn, daß er von dannen läuft, und erst zurückkehrt, als die Andern kommen und nun selber sehen, daß da kein Auffahren ist.
„Sie stehen eine Weile stumm da; dann sinken sie auf ihre Kniee, beten ein Paternoster, nehmen den Cigarrenbündel und eilen weg von der greulichen Matten, die seidem die Mordmatten heißt.“ –
Mein Alter schwieg und that einen Zug aus seinem Seidel, und mir war die Brust wie zugeschnürt. Der Posthalter trat zu uns und sah bewegt aus.
„Hab Ihr’s schon gehört,“ fragte er, „was drüben passirt ist?“
„Nein!“ rief der Alte: „was denn?“
„Nun, die Caritas hat um zehn Uhr einen Blutsturz kriegt, und so schnell auch der Doktor kam, gleich einen zweiten, und eben ist sie gestorben!“
„Wunderbar!“ rief der Alte: „Gestern war’s jährig, daß der Nazi den Aegidi gestochen hat.“
Er nahm seine Mütze ab und wir thaten desgleichen und wir beteten alle Dreie, für alle Dreie, um Gnade und Frieden.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_131.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)